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In memoriam



 
 

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Das Glück währt kurz im Leben

Maria Friderike Radner wählte ihren Traumberuf. Sie wurde Opernsängerin. Und überaus erfolgreich dazu. Ob Metropolitan Opera New York, die Scala in Mailand oder die Münchner Staatsoper – sie trat dort ebenso gern auf wie in der Max-Kirche in Düsseldorf. Dabei blieb sie eine „ganz normale“ junge Frau. Das machte sie so besonders.

Mit Oper hatten die Eltern eigentlich gar nichts am Hut. Der Aufbau der eigenen Firma verlangte vollen Einsatz. Drei Kinder waren großzuziehen. Da bleibt für jemanden, der ohnehin nicht viel von klassischer Musik kennt, wenig Zeit und Lust, sich mit Musiktheater zu beschäftigen. Die Eheleute Radner vermissten da auch nichts. Schließlich gab es Gesang genug auf jeder Urlaubsreise. Auf der Fahrt vom Wohnort Düsseldorf ins österreichische Elternhaus vertrieb Tochter Maria sich am liebsten die Zeit mit Singen, oft stundenlang. Als sie vierzehn Jahre alt war, beschlossen die Eltern, die Sangesfreude auf die Probe zu stellen. Sie erlebten eine Überraschung, als sie Maria bei Angelo Melzani in seinem Gesangsstudio vorstellten. „Ich bringe dich an die Opera“, formulierte der Maestro nach dem Vorsingen sein Urteil mit herrlichstem, italienischem Akzent. Und so ähnlich geschah es.

Maria verbringt ihre Kindheit wohlbehütet in Düsseldorf. Sie besucht das Ursulinengymnasium in der Düsseldorfer Altstadt. Sie ist eine eher unauffällige, beliebte Schülerin mit den üblichen Schwierigkeiten in der Mathematik und großer Liebe für den Musikunterricht. Ihr Gesangstalent bleibt der Schule unentdeckt. Stattdessen gibt es Gesangsstunden bei Maestro Melzani. Derweil entwickelt sich der Teenager zu einer echten Düsseldorferin. Karneval und Große Rheinkirmes gehören da zu den Pflichtveranstaltungen. Eines Abends ruft Maria aufgeregt ihren Vater von der Kirmes an. Sie hat soeben einen Karaoke-Wettbewerb in einem Bierzelt gewonnen.

Immer wieder die Freude am Gesang. Aber nicht um jeden Preis. Später, nach ihrem ersten – und einzigen – Engagement am Theater Hagen, wird die junge Sängerin verkünden, dass das Ensemble nicht ihre Welt ist. Nicht etwa wegen der Kolleginnen und Kollegen, nein, mit denen versteht sie sich prächtig. Die Arbeit bereitet ihr richtig Spaß. Aber von Spaß allein wird man nicht satt. Auch ohne große Ansprüche reicht das Honorar als Jungsolistin hinten und vorne nicht. Schließlich entstammt sie einer Familie von Kaufleuten. Und da misst sich der Erfolg auch am finanziellen Ergebnis. Sie entscheidet sich für die Selbstständigkeit und folgt damit der Tradition der Familie.

Sie müssen ihr Bestes geben

Klaus Radner ist zu Recht stolz auf seine Kinder. Marias Mutter und er haben immer viel Wert darauf gelegt, die Sprösslinge so zu erziehen, dass sie ihren eigenen Weg finden, egal, wohin der sie führt. Einzige Prämisse: In dem Beruf, in dem sie arbeiten, müssen sie ihr Bestes geben. Bruder Bozidar ist Unternehmensberater, Schwester Anna ist als Medizinisch-technische Angestellte in einem Düsseldorfer Krankenhaus aktiv. Bei Maria läuft es zunächst nicht ganz so geradlinig, aber ihre Entschlussfreude bewahrt sie davor, allzu lange den falschen Fahnen nachzulaufen. Nach dem Abitur beginnt sie zunächst ein Germanistik-Studium, das sie nach einem Semester mit dem Satz beschließt „Einen Satz drei Monate lang zu interpretieren, das ist nicht meins“. Dann doch lieber in Vaters Firma eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskauffrau. Bestnoten auf der Berufsschule führen aber auch nicht zum Glück. Sie fühlt sich unwohl. Die Eltern tragen auch das mit und sind gespannt, was bei ihrem Vorsingen an der Robert-Schumann-Hochschule für Musik in Düsseldorf herauskommt. Von 200 Bewerbern werden sieben genommen. Maria ist unter ihnen.

Mehr als wohl in jedem anderen Beruf ist der Sänger, ist die Sängerin abhängig davon, auf den richtigen Lehrer zu treffen. Oder mehr noch: Den falschen Lehrer zu erkennen. Zunächst fühlt Maria sich gut aufgehoben. Michaela Krämer, ihre Gesangsprofessorin an der Musikhochschule, schätzt sie als Mezzosopranistin ein und sorgt für entsprechende Stimmbildung. Weil aber Vater Klaus der Auffassung ist, dass man in eine gute Ausbildung auch gutes Geld investieren muss, damit das Ergebnis stimmt, nimmt Maria zusätzliche Gesangsstunden, erst bei Jeannette Zarou in Düsseldorf, dann bei der Mezzosopranistin Marga Schiml, beide ausgewiesene Expertinnen für Alte Musik und Lied. Sie erkennen in ihrer Studentin die Altistin.

Noch bevor Maria ihr Studium abschließen kann, liegt das vielleicht schwerste Schicksalsjahr vor ihr. 2003 stirbt ihre Mutter nach schwerer Krankheit. Es gibt im Leben zwei Ungerechtigkeiten, mit denen wir nicht umgehen können. Das eine ist der Tod eines Elternteils in jungen Jahren. Das andere, und vielleicht Schlimmere, ist, wenn die Kinder vor den Eltern gehen. Maria schafft das scheinbar Unmögliche: Noch nicht ein Jahr später schließt sie ihr Studium mit Diplom ab. Das geht nur, weil die Familie enger zusammen gerückt ist. Klaus Radner erinnert sich an die Abschlussfeier, als sei es heute. Der aufbrandende Applaus, als seine Tochter ihren Auftritt hat, die anschließende, angemessene Feier. Da hat er ja noch keine Ahnung, dass seine Tochter auf dem Weg zu einer Weltkarriere ist.

Er hat auch, gibt er offenherzig zu, keine Ahnung von klassischer Musik, von Oper noch weniger. Maria wird ihn in den nächsten Jahren – behutsam – dahin führen. Oft genug schont sie ihn. „Papa, Du bist willkommen, aber tu Dir das nicht an, die Oper dauert fünf Stunden“, sagt sie ihm, weil sie doch immer häufiger im Wagner-Fach unterwegs ist. Stattdessen lädt sie ihn zu den Konzerten und vor allem den Oratorien in der Düsseldorfer Max-Kirche ein, die sie immer wieder mit großer Begeisterung – auf beiden Seiten – singt.

Der Mut zur Selbstständigkeit

Maria Radner hat sich nach ihrer Hagener Erfahrung rasch eine Agentur gesucht. Und sie mit IAAC Italartist Austroconcert auch gefunden. Von Wien aus, Sitz der von Elisabetta Hartl geführten Agentur, geht es in die Welt. Klaus Radner erinnert sich noch gut an den ersten Auftritt in der Met. Seine Tochter hat ihm das quasi en passant mitgeteilt. „Das war so ihre Art“, erzählt er. „Vollkommen unprätentiös.“ Und dabei ist es vollkommen egal, ob es sich um das Teatro alla Scala in Mailand, Covent Garden in London oder die Staatsoper in München handelt. Für Maria zählt die Rolle. Nach New York ist der Papa aber doch gereist. Und darf nicht nur das Gefühl der „Opernfamilie“ erleben, sondern auch die Normalität im Umgang miteinander. Das gefällt ihm. Noch mehr, sagt er, gefiel ihm aber der Moment, als seine Tochter ihm die Urkunde des Grammy Award für die beste Opern-CD-Produktion unter die Nase hielt, auf der ihr Name als Solistin aufgeführt war. Die hat er gerahmt und zu Hause aufgehängt.

Die Sängerin, die ihre Karriere sehr sorgsam vor allem im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Stimme pflegt, ist derweil mit ganz anderen Themen beschäftigt. Sascha Schenk, Versicherungsmakler, wird der Mann ihres Lebens. Mit ihm zieht sie nach Wuppertal-Kronenberg. Ihr ist nicht so wichtig, wo sie wohnt. Der Lebensmittelpunkt ist da, wo sich ihr Leben abspielt. Und das ist häufiger das Ausland als das Bergische Land. Auch wenn der Vater – so wie es sich für Väter gehört – zunächst mit Skepsis reagiert, muss er eingestehen, dass Sascha das Häuschen mit handwerklichem Geschick herrichtet.

Träume geraten zur Wirklichkeit

Eigentlich geht also, Maria ist Anfang 30, alles seinen Gang. Ihre schon immer vorhandene Kinderliebe könnte nur noch durch eigene Kinder übertroffen werden. Und beruflich bleibt für die Altistin nur noch ein Traum offen. Bayreuth. Das Leben könnte herrlicher nicht sein. „Vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende – das war die glücklichste Zeit ihres Lebens“, sagt Klaus Radner – und zum ersten Mal und für einen kurzen Augenblick findet das Lächeln in seine Augen zurück. Sohn und Enkel Felix kommt auf die Welt. Plötzlich rücken Wuppertal und Düsseldorf ganz nah zusammen. Ganz schnell mal ist man doch nach Wuppertal rüber, oder Maria und Sascha kommen eben mit Felix in Düsseldorf vorbei. Dann die Nachricht: Maria Friderike Radner wird in diesem Sommer in Bayreuth auftreten. Schnell ist die Unterbringung von Felix geregelt, der Rest auch schon organisiert. Alles klar. Maria, die den Gesang und die Menschen so sehr liebt, hat eine Weltkarriere absolviert, ohne davon großes Aufheben zu machen. Für sie war klar, dass sie ihre Stimme für die ganz großen Partien vorbereiten muss. „Mit 30 geht es langsam los“, hat sie ihrem Vater erklärt.

Bevor Maria nach Barcelona aufbricht, um dort in einer Ring-Produktion aufzutreten, ist die junge Familie noch einmal zu Gast bei Vater Klaus und seiner zweiten Frau Karen, die längst zur Familie gehört. „Ich koche gerne, und Maria mochte meine Küche“, sagt Radner. Mit ganz viel Wärme in der Stimme. Wie üblich, wenn Sascha Schenk seiner Frau nachreist, kommt er nach Düsseldorf, stellt dort den Wagen ab, und Klaus Radner fährt Schwiegersohn und Enkel zum Flughafen. So auch eine Woche vor der geplanten Rückkehr. Und Radner fährt auch am 24. März wieder zum Flughafen. Um Maria, Sascha und Felix abzuholen. Vergebens.

Michael S. Zerban, 31. März 2015

 


Am 24. März 2015 kamen Maria
Radner, Sascha Schenk und Sohn
Felix b
ei einem Flugzeugabsturz in
den französischen Alpen ums Leben.

Erinnerung an fröhliche Zeiten: Maria
Radner mit Pavol Breslik und Laura
Tătulescu an der Bayerischen
Staatsoper.


Maria Radner liebte den klassischen
Gesang in all seinen Fassetten. Hier
bei einem Recital mit Simon Lepper.


Giulio Cesare in Egitto - Marias Debüt
im Ensemble des Theaters Hagen. Es
war die einzige Spielzeit in fester
Anstellung.