Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ludwig Koerfer

Aktuelle Aufführungen

Dreiecksbeziehungen mit spanischem Kolorit

LE TORÉADOR/L'HEURE ESPAGNOLE
(Adolphe Adam, Maurice Ravel)

Besuch am
2. Juli 2016
(Premiere am 25. Juni 2016)

 

 

Theater Aachen

Seit mehr als 20 Jahren beendet das Theater Aachen seine Saison mit einer in Zusammenarbeit mit der dortigen Musikhochschule erstellten Produktion. Alle Instrumentalisten und Sänger stellt die Hochschule, Regie, Bühnenbild und Technik steuert das Theater bei. Eine schöne, wenn auch viel zu seltene Gelegenheit, die Studenten hautnah auf die Praxis des Theateralltags vorzubereiten. In diesem Jahr einigte man sich auf zwei Kurzopern französischer Komponisten, deren Handlungen zwar alle in Spanien angesiedelt sind, sich auch inhaltlich nahestehen, zeitlich, stilistisch und qualitativ jedoch wenig miteinander verbindet. Schade, dass sich ausgerechnet das schwächere Stück fast doppelt so lang hinzieht wie Maurice Ravels Geniestreich L’Heure Espagnole – Die spanische Stunde – aus dem Jahr 1911.

Im direkten Vergleich mit Ravel schneidet Adolphe Adams 60 Jahre ältere komische Oper Le Toréador ou l’accord parfait – Der Toréador oder Der vollkommene Dreiklang – nicht gut ab. Vielleicht ist ein solcher Vergleich aber auch ungerecht. Denn im Grunde handelt es sich um eine Art Liederspiel mit ausgedehnten Dialogen und Arien, die wie eine sich virtuos steigernde Variationskette des beliebten Liedes Ah! vous dirai-je, maman anmutet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Adams Zwei-Akter wurde 1849 natürlich als „schlüpfriger“ empfunden als heute. Die ehemals erfolgreiche Opernsängerin Coraline versauert in der tristen Ehe mit dem abgehalfterten Torero Don Belflor und trauert ihrer ehemaligen Liebe zum Flötisten Tracolin nach. Der zieht zufällig in die Nähe des Paares, es kommt zu einer Eifersuchtsszene der beiden Rivalen und man einigt sich auf ein Dreier-Arrangement: Die Ehe bleibt bestehen, aber mit dem Liebhaber als aktivem Aufpasser. Ein „vollkommener Dreiklang“ also.

Foto © Ludwig Koerfer

Während Adam die Handlung als federleichtes kapriziöses Liebesspiel versteht, stimmt Maurice Ravel in der Spanischen Stunde dunklere, ungleich differenziertere und faszinierend schillernde Töne an. Auch hier fühlt sich eine Ehefrau vernachlässigt, nämlich Concepcion, die Gattin des unermüdlich arbeitenden Uhrmachers Torquemada. Wenn der seine Runden dreht, um die städtischen Uhren aufzuziehen, ist die Stunde für ihre Liebhaber gekommen. Den recht langweiligen Schöngeist Don Gonzalve und den nicht wesentlich spannenderen, aber erheblich reicheren Bankier Don Inigo Gomez. Dumm nur, wenn beide gleichzeitig eintreffen und noch dümmer, wenn zur Zeit des Schäferstündchens ein Kunde des Uhrmachers im Laden auf den Meister wartet wie der arme, aber attraktive Maultiertreiber Ramiro. Concepcion hat alle Hände voll zu tun, die Liebhaber in Uhren zu stecken und von dem starken Ramiro in verschiedene Räume transportieren zu lassen, bis sie merkt, dass der Maultiertreiber ihren Vorstellungen von einem rassigen Liebhaber am Nächsten kommt. Das Ende kann man sich denken.

Ein glänzendes Libretto, geniale Musik und eine Handlung, die Regisseur Christian Raschke, seines Zeichens Abendspielleiter und Regieassistent am Theater Aachen, zu einer erheblich subtileren Arbeit animiert als Adams Werk. Die Personen erhalten ein scharf gezeichnetes Profil, das Timing des virtuosen Versteck-Spiels wird pointiert getroffen, so dass die einstündige Aufführung wie im Flug vergeht. Was man von dem Toréador nicht sagen kann. Die dünne Handlung versucht Raschke so amüsant wie möglich aufzupeppen. Aber sogar durch die Luft geschleuderte Stierhoden können das Stück nicht retten. Den meisten Schwung hinterlässt noch der eingeschobene Paso Doble España Cañi, der zugleich für eine Prise spanischen Nationalkolorits sorgt.

Auch Bühnenbildner Detlev Beaujean ist zu Adams Stück nicht allzu viel eingefallen. Ein wie zufällig zusammengewürfeltes Arsenal spanischer Versatzstücke vom Stierkopf bis zu Stierkampf-Plakaten und überdimensionalen Blumen bildet eine eher dekorative Kulisse. Anders das zweigeschossige Bild zu Ravels Meisterwerk. Riesige Zahnräder erinnern an Chaplins Modern Times. In dem Getriebe zappeln die Figuren wie verirrte Insekten und verleihen dem Geschehen einen beklemmenden Anstrich.

Nahezu ungetrübte Freude verbreiten die musikalischen Leistungen des Hochschulorchesters und der blutjungen Sängercrew. Dekan Herbert Görtz dirigiert den Toréador mit erfreulicher Präzision und so viel Elan, wie das Stück hergibt. Noch eindringlicher können sich die jungen Musiker mit einer klanglich leuchtenden Interpretation von Ravels Spanischer Stunde beweisen, deren Leitung in den Händen von Kapellmeister Raimund Laufen liegt.

Im Mittelpunkt des Toréadors steht die Sopranpartie der Coraline, die koloraturreiche Aufgaben im Fahrwasser Rossinis zu bewältigen hat. Kompliment für Larisa Vasyukhina, die die heiklen Aufgaben nahezu mühelos bewältigt, freilich noch an den Höhen arbeiten muss. Nicht nur als Studentenleistung ein beachtlicher Talentnachweis. Weniger dankbar dürfen sich die Herren des Stücks produzieren. Agris Hartmanis als etwas blass gezeichneter Toréador bedient die Bariton-Partie ebenso untadelig wie sein tenoraler Nebenbuhler Tobias Glagau als Tracolin.

Allerdings hat der Tenor bei Ravel Gelegenheit, sich nuancierter und hintergründiger zu profilieren. Als Uhrmacher Torquemada lässt er eine substanzreiche, sicher geführte Stimme hören. Beachtliches komödiantisches Talent und gut geführte Stimmen bringen der Tenor Soon-Wook Ka als Gonzalve und Jan Schulenburg als Don Inigo ein. Überstrahlt werden sie freilich von Fabio Lesuisse mit seinem wohltönenden und sauber geführten Bariton als Ramiro und vor allem der virtuos singenden und agierenden Sopranistin Panagiota Sofroniadou als Concepcion.

Das trotz der konkurrierenden Fußball-Europameisterschaft recht zahlreich erschienene Publikum feiert den talentierten Nachwuchs mit gebührender Begeisterung. Und die Zusammenarbeit zwischen Theater und Hochschule lohnt auf jeden Fall eine Fortsetzung.

Pedro Obiera