Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wil van Iersel

Aktuelle Aufführungen

Hintergründigkeit, Magie und Komik

DIE VERKAUFTE BRAUT
(Bedřich Smetana)

Besuch am
16. Juni 2016
(Premiere am 5. Juni 2016)

 

 

Theater Aachen

Von den neun Opern Bedřich Smetanas hat sich auf deutschen Bühnen nur Die verkaufte Braut durchsetzen können. Und auch wenn das Opernrepertoire nicht gerade von wirksamen und gehaltvollen Komödien überschwemmt wird, macht sich selbst dieser Hit seit einigen Jahren recht rar. Dabei haben Zwangsheiraten, wenn auch unter anderen Vorzeichen, mittlerweile an Aktualität zurückgewonnen. Ist das in Zeiten der political correctness, in denen man sich über Astrid Lindgrens „Negerlein“ mehr entrüstet als über massenhaft verhungernde, dunkel pigmentierte Kinderlein aus süd-äquatorialen Regionen, der rechte Stoff für eine musikalische Komödie? Warum eigentlich nicht? Das beweist Smetanas feiner, ironischer Umgang mit dem Thema, und das beweist auch das Aachener Theater, das in seiner letzten großen Premiere der Saison nicht nur mit einer vorbildlichen musikalischen Ensembleleistung überzeugen kann, sondern dem auch szenisch der schwierige Spagat zwischen kritischer Distanz und bühnenwirksamer Komik gelingt.

Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck war gut beraten, die französische Regisseurin Béatrice Lachaussée mit dieser Aufgabe zu betrauen, die in Köln mit ungewöhnlich subtilen Inszenierungen von Rihms Jakob Lenz und Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen Aufmerksamkeit erregte. Alles keine Lachnummern, die in der Regie der einst von Christof Loy und Andrea Breth geförderten Regisseurin jedoch jede aufgepfropfte Schwere verloren, ohne den ernsten Gehalt der Stücke zu gefährden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Beste Voraussetzungen, um Smetanas Verkaufte Braut nicht mit todernsten, sozialkritischen Botschaften zu belasten und erst recht nicht zur kaulauernden Klamotte verkommen zu lassen. Lachaussée hört der Musik aufmerksam zu. Und die zeigt, was in den Menschen vor sich geht. Menschen, die sich nach Liebe sehnen, sie aber nicht ausleben dürfen. Jedenfalls nicht bis zum erlösenden Happy End. Die Regisseurin nimmt die Menschen und ihre Gefühle ernst. Die zarten Elegien der Marie, die Ausbrüche des Micha, auch die Seelennöte des unsicheren Vašek inszeniert Lachaussée so menschlich, wie sie Smetana komponierte. Und es scheint, dass sie für den benachteiligten und von den Eltern nicht ernstgenommenen Vašek besondere Sympathien empfindet, was zusätzlich für ihre Sensibilität spricht.

Foto © Wil van Iersel

Zündende Chöre und nicht zuletzt die Zirkus-Szenen verhindern, dass die Inszenierung zum reinen Rührstück entgleiten könnte. Aber auch hier arbeitet die Regisseurin mit feinen Mitteln suggestiver Theatermagie. Keine krachledernen Clownerien sind zu sehen, sondern Fantasiewelten mit raffinierten Lichteffekten, die die Dorfbewohner für kurze Zeit aus ihrem Alltag entführen.

Auf folkloristischen Aplomb wird verzichtet. Für ihre Kostüme orientiert sich Nele Ellegiers an der dunkel getönten Mode der 1950-er Jahre, aus der Maries leuchtend rotes Mädchenkleid heraussticht. Dominique Wiesbauer zaubert mit ihren Bühnenbildern auch keine böhmische Postkartenlandschaft, sondern begnügt sich mit einem scheunenartigen Einheitsbild, das nie den Bezug zum nachdenklichen Hintergrund der Handlung verliert, ohne den Träumen, Sehnsüchten und Fantasien der Figuren im Wege zu stehen.

Man muss schon in Kauf nehmen, dass die noble Zurückhaltung der Regisseurin im musikalisch etwas schwächeren dritten Akt manche Länge spüren lässt. Ein erträgliches Manko, animiert doch Kapellmeister Justus Thorau das bestens präparierte Aachener Sinfonieorchester zu einer erfreulich brillanten Leistung, mit der selbst schwierige Sprintstrecken wie die Ouvertüre oder der Furiant präzis und mühelos gemeistert werden.

Für die Marie stehen mit Katharina Hagopian und der jungen Französin Camille Schnoor, die in der nächsten Spielzeit ans Münchner Gärtnerplatz-Theater wechseln wird, zwei gleichwertige Sängerinnen zur Verfügung, die die Zerbrechlichkeit und das Selbstbewusstsein der Figur szenisch wie gesanglich vorzüglich zur Geltung bringen. Zwei Sängerinnen mit taufrischen Stimmen von hoher lyrischer Qualität.

Ein wenig stark tremoliert Pawel Lawreszuk als Micha, der dafür den dramatischen Impulsen der Rolle nichts an Nachdruck schuldig bleibt. Woong-jo Choi nutzt seinen ebenso mächtigen wie kultivierten Bariton für eine differenzierte Gestaltung des Heiratsvermittlers Kezal. Den armen und letztlich doch mit der reizenden Esmeralda reichlich beschenkten Vašek von Keith Bernard Stonum schließt das Publikum rasch in seine Herzen. Kein Wunder, wenn man ihn so rührend darstellt und singt. Nicht zu vergessen der schlagkräftige, verstärkte Opernchor des Theaters.

Dass auch die kleineren Rollen adäquat, im Falle der Ludmilla mit Irina Popova geradezu luxuriös besetzt sind, beweist wieder einmal, welche Leistungen auch kleinere Häuser erbringen können, wenn sie das größte Kapital der deutschen Opernlandschaft behutsam und nachdrücklich pflegen: das Ensemble. Das lässt sich, blickt man nur in die rheinische Region, beim Theater Krefeld Mönchengladbach ebenso nachweisen wie am Theater Hagen. Bühnen, die mit ihrer vorbildlichen Arbeit unter schwierigen Umständen manches größere Haus ausstechen.

Ein schöner Saisonausklang in Aachen. Das Publikum zeigte sich rundum zufrieden. Dass eine etwas holprige deutsche Übersetzung verwendet wird, ist schade, lässt sich aber verschmerzen.

Pedro Obiera