Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Aktuelle Aufführungen

Wissend, doch ratlos

DER RING DES NIBELUNGEN
(Richard Wagner)

Besuch am
7., 8., 10., 12. August 2016
(Premiere Juli 2013)

 

 

Bayreuther Festspiele

Was man schon zu kennen glaubt, schaut man beim nächsten Mal mit einem anderen Blick an. So kann es passieren, dass hinter dem Bekannten Neues in den Fokus gerät, das vorher nicht bemerkt wurde. Die sinnliche Wahrnehmung ist sensibilisierter und konzentrierter, um Zwischenräume und Zwischentöne zu entdecken und ihnen nachzuspüren.

Castorfs Bildwelten seiner Ring-Inszenierung in Bayreuth seit 2014, die die Bühne fluten und das Auge beim ersten Mal in eine Zwangsgefangenschaft nehmen, verlieren beim wiederholten Erleben 2016 ihre allumfassende Überwältigungsmacht. Zwar bleibt es insgesamt bei einer philosophisch intellektuellen Attitüde mit dräuender Bedeutungsschwere. Wo sich jetzt die Wahrnehmung weniger von den Bildern vereinnahmen lässt, öffnen sich Assoziations- und Reflexionsräume hinter der Opulenz der Bilder und ihren Manierismen, die Castorfs Konzeption in einzelnen Szenen nachvollziehbarer machen.  

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Marek Janowski verführt das Festspielorchester zu einem impressionistisch gefärbten Klang. Er ist der eigentliche Garant dafür, dass Wagners Musik Castorfs filmmusikalischen Überwältigungsversuchen souverän standhält.

Foto © Enrico Nawrath

Das hat sachliche und subjektive Gründe. Wagner hat den Ring von hinten, von der Götterdämmerung her komponiert. Erst später hat sich die Reihenfolge als Bühnenfestspiel für drei Tage – Die Walküre, Siegfried, Götterdämmerung – und einen Rheingold-Vorabend ergeben. Das Ring-Elaborat zu entwirren, bleibt eine Herkulesaufgabe, auch für den Zuhörer, den Castorf in eine Bildgefangenschaft nimmt.

Das Rheingold

Das Rheingold, der Schatz im großen Strom der deutschen Identität, dem Rhein, verborgen, soll in Castorfs Inszenierung nun schon im dritten Jahr an einer Tankstelle im amerikanischen Nirgendwo gehoben werden. Wie dieses Unterfangen gelingen soll?

Die Inszenierung wird auch in diesem Jahr nicht schlüssiger als zur Premiere 2014. Castorf setzt das Publikum, aber auch die Solisten einer Reiz- und Bilderflut aus, die ihresgleichen auf den Opernbühnen sucht.

Die vollgestellte Drehbühne zeigt ein Universum von Protagonisten, die ihrer von Wagner apostrophierten Göttlichkeit  entkleidet sind. Erzählt wird von den Niederungen menschlicher Charaktere in einer Welt, die auf Macht, Gier und Geld gegründet ist. Mitmenschlichkeit im Lieben und Leiden stehen als Idee von einer anderen Welt dagegen. Um diesen Sumpf zu illustrieren, zieht Castorf alle Register des Text-Bild-Zertrümmerers, wie ihn das Regietheater kennt. Aufmerksamkeitsheischende, kalkulierte Provokation, die selbstverliebt häufig nicht mehr als nur noch selbstreferentielles Kalkül ist.

Dem Chaos auf der Bühne wird durch flimmernde Filmsequenzen noch mehr Gewalt verliehen, als ohnehin schon vorhanden. Doch sollte der Regisseur, der sich im Sprechtheater nur sparsam an Texte der Autoren gebunden fühlt, in Bayreuth in Wagners Partitur mehr als nur eine musikalische Vorlage sehen. Seine Erzählung hält unter der Regie Castorfs diesem Anspruch nicht wirklich stand. Die Musik verkommt zuweilen zur einer theatralisch umfunktionierten Begleitmusik. Der Gestaltungswille des Regisseurs ist grenzenlos allumfassend. Er lässt die Solisten durch die Kulissen irren.

Das Publikum wird durch die großformatig auf eine Leinwand projizierte Bilderflut visuell manipuliert. „Wenn es nicht Bayreuth wäre, fühlte ich mich wie im Kino“, sagt eine Besucherin zu ihrem Begleiter.

Die Solisten können trotz gesanglicher Brillanz nicht kontinuierlich zum Publikum durchdringen. Häufig sucht man sie, die auf dem Display durch die Kamera in Großaufnahme flüchtig ins Bild rücken,  vergeblich im wirklichen Leben. Sie agieren irgendwo, und von irgendwoher kommen dann auch ihre Stimmen unter Verlust ihrer Leuchtkraft.

Es bleibt als herausragende Stimme vor allem die der Erda der Mezzosopranistin Nadine Weissmann in Erinnerung. Nach ihrer von einem Großteil des Publikums atemlos verfolgten Warnung Weiche, Wotan, weiche senkt sich Ruhe über das sonst so ruhelose Geschehen. Doch diese Stille ist nicht von Dauer. Der Einzug der Götter in Walhall, musikalisch einer der Höhepunkte des Werks, wird durch das Partygeschehen in Castorfs Schwulen-Bar, an dem auch die seherische Erda beteiligt ist, wiederum gebrochen.

Ian Patersons Bariton in der Rolle des Wotan kommt erst in der Schlusssequenz zum Tragen. Als dieser der Burg den Namen Walhall verleiht, darf auch in Castorfs Inszenierung ein wenig Pathos walten.

Albert Dohmen als Alberich ist eine der Sängerkontinuitäten. Sein Bariton schillert satt glänzend. Loge, dem Roberto Sacca seinen in den Mittellagen im Volumen relativ begrenzten Tenor schenkt, bleibt in den Mühen der Ebene stecken.

Sarah Connolly und Caroline Wenborne geben Fricka und Freia mezzosopranen und sopranen Ausdruck, ohne durchgängig zu überzeugen. Fasolt hat mit dem grundtief artikulierenden Bass von Günther Groissböck einen überzeugenden Protagonisten.

Castorfs Rheingold bleibt letztlich ein leeres Versprechen. Das Publikum nimmt allerdings auch diese Interpretation des Ring-Vorspiels mit Begeisterung und vielen Bravi an. Nur ganz zum Schluss des Applaussturmes ist ein einsames Buh zu hören, das, wie sich zeigt, Castorf vergeblich auf die Bühne ruft.

Die Walküre

Hatte Castorf im Rheingold eine amerikanisch vergoldete Öl-Spur gelegt, wendet er sich in der Walküre der Öl-Drecksarbeit in russisch-aserbaidschanischer Perspektive nach Osten, ans Kaspische Meer. Versetzt in die Zeit revolutionärer Umbrüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, schickt er die Walküre auf kapitalismuskritische Pfade. So stupend die Idee, so angestrengt die Aufführung.

In dem von Aleksandar Denić aufwändig gebauten Bühnenbild bewegen sich Sieglinde, Siegmund und Hunding merkwürdig sparsam und verloren durch die verschiedenen Kleinräume am Fuße eines festlich beleuchteten Öl-Förderturmes.

Die aus Rheingold mitgenommene Befürchtung, überdimensioniert mit Video-Kommentaren bombardiert zu werden, erfüllt sich zunächst nicht. Doch die Hoffnung ist trügerisch. Bald wird eine Leinwand entrollt, und die Bilderflut dominiert wieder über weite Strecken. Fragende Gesichter beim Blick ins Publikum: Was hat Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin auch nur im Entferntesten mit der Geschichte der Wälsungen zu tun?

Im ersten Akt breitet sich trotz des Befremdens über den rätselhaften Ort nach dem am Vorabend erlebten komödienhaften Rheingold eine wohltuende Ruhe im Festspielhaus aus.  Eine Ruhe, die es erlaubt, der Musik wirklich lauschend folgen zu können.

Neben Heidi Melton als Sieglinde und Christopher Ventris als Siegmund besticht vor allem Georg Zeppenfelds Hunding durch seinen kultivierten Bass, gepaart mit fast durchgängigem Textverständnis. Das ist besonders bemerkenswert, da Hunding den zweiten Akt bekanntlich nicht überlebt und damit seine sängerische Vorgabe auch nicht. Die Textverständlichkeit der weiteren Solisten ist ungleich schwächer. Wer den Text nicht memoriert hat, wird der Handlung nur mühevoll folgen können. Die Finessen Wagnerscher Diktion bleiben jenen größtenteils verborgen.

Im zweiten Akt hat die Kamera nicht viel zu holen. Die Handlung besteht im Wesentlichen aus überlangen Monologen und Dialogen zwischen Wotan und Brünhilde sowie zwischen Siegmund und Sieglinde. Um diese Anstrengung mit einer nachvollziehbaren Bildersprache abzumildern, ist dem Regisseur dazu leider nichts wirklich Belebendes eingefallen. Frontal zum Publikum auch in den dialogischen Szenen singend, verlängert er die dem Libretto schon eigene Langatmigkeit unnötig.

Nach Catherine Fosters erstem Hojotoho!, etwas gepresst klingend, nimmt die Handlung Fahrt auf. Caroline Wenburn gelingt der Ruf Hojotoho! als Gerhilde mit großer Eleganz.

Die Walküren stürmen, polemisierend verstärkt durch rote Proletarier-Fahne und Sowjetstern sowie durch Video-Sequenzen aus russisch-sowjetischen Kultfilmen, treppauf, treppab und stoßen im Angesicht der gefallenen Revolutionäre hochfahrende Rufe aus. Rasen sie in die  oder durch die Revolution schon wieder hinaus? 

Die Walküren werden ständig von einer Handkamera verfolgt. Die projizierten Bilder schaffen eine wuselnde Unruhe. Was treiben sie da eigentlich? Wohin verschwindet die verfolgte Sieglinde? Wohin der getötete Siegmund?

Brünhildes Bannspruch durch Wotan treibt sie und die Walküren in Täler der Verzweiflung. Des Göttervaters Urteilsspruch,  Brünhilde solle wehrlos ewig schlafen, und dessen Wandlung in die Hoffnung, durch Siegfried einst erlöst zu werden, lässt das Orchester den Raum mit unglaublichem Zauber erfüllen.

Schließlich werden die optischen Reize gebündelt im Feuerring, der, aus dem Ölfass lodernd, Brünhildes Schicksal symbolhaft illustriert. Hier gibt man sich endlich ganz Wagners überwältigender Musik hin. Der Zauber dieses Ortes Festspielhaus Bayreuth geht in Brünhildes Feuerzauber auf. Alles ist nur noch Musik.

Das Publikum dankt nach einem Wimpernschlag andächtigen Innehaltens besonders dem Dirigenten Marek Janowski mit frenetischem Applaus.

Siegfried

Foto © Enrico Nawrath

Der Ring nimmt jetzt in seiner zuweilen kryptischen Erzähllogik Fahrt auf. Nach Wotans Strategie soll jetzt Siegfried die Göttermacht stabilisieren. Aber noch mehr: Im Besitz von Tarnkappe und Ring göttliche Macht für immer sichern. Wotan als Wanderer, der Siegfrieds Kampfbereitschaft ständig im Auge behält, zieht die Strippen. Es muss nicht nur der in einen Schlangenwurm verwandelte Fafner beseitigt werden, auch Mime, der ungeliebte Ziehvater Siegfrieds und Alberichs.

Da gibt es für einige Bayreuth-Neulinge offenbar Bedarf, den Text nachzulesen. In der ersten Pause ist jedenfalls auffällig, dass sich einige Besucher gegenüber  der allgemein üblichen  Pausenentspannung bei Sekt oder Bier abstinent verhalten und intensiv das Libretto studieren.

Einige haben nach dem ersten Akt von Siegfried offensichtlich die Nase voll vom Castorf-Trash und geben auf. Auf hochgehaltenen, handgeschriebenen Zetteln ist zu lesen: Biete Karten für Götterdämmerung. Wie sich allerdings dann zeigt, gewinnt die Musik immer stärker die Oberhand.

Für jenen, der die Inszenierung nicht zum ersten Mal sieht, stellt sich der eingangs beschriebene Effekt einer konzentrierten Musik-Wahrnehmung ein. Sie wird sich bis zum Ende der Götterdämmerung verstetigen. Diejenigen, die gerade dabei sind aufzugeben, handeln möglicherweise vorschnell.

Als sich schon während der Ouvertüre der Vorhang öffnet, ist ein tiefatmendes Stöhnen im Saal zu hören. Skulptural überdimensionale Köpfe der revolutionären Stichwortgeber Marx, Lenin, Stalin und Mao zieren die Bühnenwand. Der Wohnwagen aus der amerikanischen Ortlosigkeit eines Golden Motels, auf dem Weg über die russische Ölplattform mit dem schwarzen Gold ist jetzt auf den Berliner Alexanderplatz angekommen: Walhall modern.

Nach zwei Tagen Castorf vermerkt man schon fast mit Erstaunen, dass er im ersten Akt ohne Video-Kommentare auskommt. Siegfried, Mime, Alberich sowie Wotan als Wanderer, sind als Kletterer gefordert. Stefan Vinke meistert als Siegfried neben seiner sängerisch ausdrucksvollen Gestaltung auch die sportliche Anforderung ohne Substanzverlust.

Da offenbar für Castorf Wagners Libretto unvollständig ist, schickt er seinen Assistenten und dramaturgischen Mitarbeiter Patric Seibert  als Alter ego ins Feuer. Als Platzhalter der politisch Rechtlosen agiert er seit Rheingold sprachlos in den Szenen. Beim Schlussapplaus gibt es deutlich vernehmbare Buhs, wenn Seibert dabei ist. Er ist offensichtlich der Ersatz-Buhmann für den abwesenden Castorf. 

Mit dem zweiten Akt verändert sich die Wahrnehmung. Auf einmal mehr Platz für das Musikhören, obwohl Castorf unvermindert dem Publikum einiges zumutet. Stühle, Liegen, Tische werden umgeschmissen, landen krachend im Bühnenaufbau, wenn fortissimo gefordert ist.

Die Bühne dreht sich zwischen den revolutionären Köpfen und der Tristesse am Alexanderplatz in Berlin. Für  sie, für ihn, für alle. Sozialistische Propaganda-Rhetorik, didaktisiert mit der wegweisenden Hand des Kommunisten Ernst Thälmann im Wechsel mit der Rot-Front-Faust von Georgi Dimitroff in Form von Video-Still, wird überblendet von einem Siegfried-Screen mit Wagnerschem Understatement.

In der Szene, in der der Waldvogel Siegfried das herrlichste Weib verspricht, lässt Castorf die Musik anhalten. Siegfried kramt aus einem Abfallkübel Plastikschalen, verteilt sie um sich und intoniert auf ihnen die momentan ausgesetzte Musik.

Plastikmüll ist überhaupt ein bevorzugtes Spielmittel, bedeutungsschwer aufgeladen. Über den toten Mime leert Siegfried einen Müllsack.  Die Aneinanderreihung von szenischen Bildern mit DDR-Signets steht in der Gefahr, sich bedeutungslos zu entleeren.

Schließlich findet Siegfried Brünnhilde nicht schlummernd im schattigen Tann, noch in einer vom Feuer umlohten Festung, sondern in einem Licht-Meer. Sie liegt unter einer schmutzigen Plastikplane vor dem U-Bahnhof Alexanderplatz.
Den Solisten ist Respekt zu zollen, wie sie trotz schauspielerischer und sportiver  Parforce-Ritte, die die Inszenierung ihnen ständig abverlangt, durchgängig brillant und ausdrucksstark singen.
Albert Dohmen als Alberich und Karl-Heinz Lehner als Fafner sowie Nadine Weissmann als Erda repräsentieren nach drei Tagen sowohl substantielle als auch verlässliche, sängerische Gestaltung. Andreas Conrad singt spielend, spielt singend Mime bis zu seinem Tod mit markant geschärften, ironisierenden Untertönen.

Ana Durlovskis Waldvogel zeigt exemplarisch, wie sich ihr Sopran gegen Castorfs obskure Spielvorgaben behauptet. Die Braut gewinnt … nur wer das Fürchten nicht kennt, singt sie mit lyrischem Verve gegen die Castorf-Dramaturgie an.

Catherine Foster und Stefan Vinke sind eine ideale Besetzung von Brünnhilde und Siegfried. Solistisch erfüllen sie überzeugend die hoch gesteckten Erwartungen an ihre umfangreichen Rollen, wie sie vor allem gemeinsam durch abgestimmt schwebenden Klangfarben beeindrucken. 

In ihrem freudetrunkenen Duett in C-Dur Leuchtende Liebe, lachender Tod ist für einen Moment alles gut: Uneingeschränkte Liebe obsiegt über die bösen Mächte von Macht und Geld.

Das Publikum jubelt dem Dirigenten Marek Janowski am Ende ganz besonders zu. Er ist als gereifter, kenntnisreicher Wagner-Dirigent spät in Bayreuth angekommen. Nicht zu spät, um mit der ihm eigenen, akribisch detaillierten Partiturstudienarbeit seinen Wagner unaufgeregt, aber sehr eindrucksvoll zu präsentieren.

Götterdämmerung

Castorf folgt mit dem dritten Tag der Ring-Tetralogie konsequent seiner inszenatorischen Intention. Bildreiche Assoziationsketten gleicht er mit der Realität ab.

Drei Nornen spinnen vor einer Berliner Brandmauer mit angeschlossener Döner-Box das Seil des Schicksals. Wiebke Lehmkuhl, Stephanie Houtzeel und Christiane Kohl geben mit ihrer klanglich differenziert abgestimmten Alt-Sopran-Mezzosopran-Trinität die Richtung für die Götterdämmerung an diesem Abend vor. Ihre sängerische Überzeugungskraft drängt am Ende Castorfs Bilderwelt in den Hintergrund.

Das Seil des Schicksals reißt, und alles ist offen. Alle Hoffnung ruht auf Siegfried, dem Held. Vorerst entschwebt er wie ein Abbild des malträtierten Menschen aus dem Figuren-Kosmos des Malers Francis Bacon auf der Videowand ins zeitlose Irgendwo. Leitmotive verlieren ihre bisherige Signalfunktion. Sie werden zum Material sinfonischer Durchführungen, die assoziative Mehrdeutigkeit gewinnen. Anfang und Ende kreisen und gebären orchestrale Klangräume, die trotz allem Hoffnung auf Liebe in einem wie auch immer gearteten neuen Leben enthalten.

Stefan Vinke spielt Siegfried als naiv-gutgläubigen Naturburschen. Sein Tenor ist ausgreifend in den Höhen, geschmeidig in den Mittellagen und mit sonorer Klangfülle in den Tiefen. Auch das von den Wagnerianern immer mit besonderer Aufmerksamkeit bedachte hohe C beim Hoiho im dritten Akt gelingt ihm problemlos.

Catherine Foster ist an diesem Abend in Hochform. Sie singt Brünnhilde mit kämpferischer Attitüde. Ihre Stimme ist energiegeladen. Zusammen mit Stefan Vinke eine beglückende, überzeugende Besetzung.

Die Fahnen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges schwenkend, bekräftigt der von Eberhard Friedrich dynamisch disponierte Chor den Rachekomplott. Mit Heil, Dir Gunther! Heil, Deiner Braut!, gewissermaßen mit Volkes Stimme besiegelnd. Der Festspielchor besticht durch beeindruckende, spielerische Dynamik und  Klangfülle, die vom Publikum mit großer Begeisterung gewürdigt wird.

Markus Eiche, Stephen Milling und Allison Oakes spielen das intrigante Trio Gunther, Hagen und Gutrune zu Beginn mit großer sängerischer Intensität. Ihre solistische Überzeugungskraft lässt auch dann nicht nach, wenn sie in ihren Rollen getrennte Wege zu gehen haben.

Marina Prudenskaya ist als Waltraute die Entdeckung des Abends. Besonders besticht ihr Gespür für lyrische Nuancierungen.

Stephen Millings Hagen zeichnet sich durch klar verständliche Artikulations- und Sprechkultur aus. Jeder Ton gerinnt bei ihm zu einer kraftvoll grundierenden Bass-Linie. Der Beifall des Publikums bestätigt das einstimmig.

Janowski entwickelt mit dem Festspielorchester einen alle Schattierungen von Tonhöhe, Tempi sowie Betonungen auslotende, die Grenzen mythischer Zeitlosigkeit streifenden Klang. Das Orchester malt vom Blech über die Holzbläser bis zu den Streichinstrumenten Wagners Musik mit impressionistischer Anmutung klangschön aus. Janowskis in einem Rundfunkbeitrag jüngst geäußerte Hoffnung, dass Publikum möge sich mit seinem Beifall nach dem letzten Ton einige wenige Sekunden zurückhalten, erfüllt sich an diesem Abend nicht. 

In den Parkanlagen gegenüber dem Festspielhaus steht seit 1996 die Skulptur Der Traum von Setsuzo Matsusaka. Auf ihrem Sockel ist ein Brief-Skript Wagners zu lesen: „Mein Freund, … Glaubst innig, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traum aufgeh’n … Was gilt’s, es geht der Traum einher wie heut‘, ihr sollet Sieger sein.“ Man kann den Text als offenbarende Idee von Wagners Konzeption eines Gesamtkunstwerkes lesen.

Er legt eine Spur von Wahn und Wahrheit in der Kunst zu der ernüchternden Erkenntnis, dass jeder Traum letztlich nur ein Traum bleibt. Wenn man bedenkt, dass auch Wagner diese auf Calderon zurückgehende Sicht nicht fremd war, hat der geneigte Bayreuth-Besucher die Chance, den gerissenen Schicksalsfaden der Nornen zu flicken.

Peter E. Rytz