Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Iko Freese

Aktuelle Aufführungen

Ein Onegin mit Gewissen

JEWGENI ONEGIN
(Pjotr I. Tschaikowski)

Besuch am
31. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Komische Oper Berlin

Ganz in der romantischen Tradition und doch modern – bei diesem Onegin kann der Besucher sich in die Arme der unsterblichen Musik von Tschaikowski legen und einfach genießen. Der Hausherr der Komischen Oper hat eine in sich stimmige und homogene Inszenierung geliefert. Und alles in der Originalsprache – eine Ausnahme für die Komische Oper.

Der Vorhang öffnet sich auf einer sehr realistischen, nicht gemähten, sommerlichen Wiese am Rande eines Birken- und Laubwäldchens. Gutsbesitzerin Larina und die Amme Fillipewna sitzen gemütlich auf Stühlen und füllen Einmachgläser mit einer typisch russischen Delikatesse – Varenje, hausgemachte Erdbeermarmelade. Die ländliche Idylle der vorbeiziehenden, feiernden Ausflugsgesellschaft erinnert an Bilder von Manets Dejeuner sur l’Herbe. In dieser ungezwungenen Atmosphäre erscheint dann auch Lenski mit seinem neuen Nachbarn, Onegin. Die introvertierte Tatjana schließt die mondäne Figur gleich in ihr Herz. Sie ringt nach Worten, um ihren vermutlich ersten „Liebesbrief“ im Kegel des Mondlichtes zu schreiben. So schreibt sie auch keinen Brief, sondern unterstreicht die vielleicht besser ausgedrückten Gefühle auf den Seiten ihres Buches. Die reißt sie dann auch aus und schickt sie, in ein Weckglas gepackt, auf dem Weg zum Angebeteten. Als Onegin dann seine Gleichgültigkeit der jungen Frau vorträgt, spielt er mit der Flaschenpost, er spielt mit ihrem Herzen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auch die Namenstagsfeier für Tatjana mit dem darauffolgenden Fest, während dem Onegin mit Olga flirtet und ihren Verlobten Lenski rasend vor Eifersucht macht, ebenso wie das Duell finden alle auf der satten Wiese statt. Die Gestik der beiden Freunde, volltrunken, lässt die gefühlsmäßige Bereitschaft der Versöhnung erahnen, die dann doch zugunsten der gesellschaftlichen Konventionen verworfen wird.  Das Duell findet im Off statt, ein blutüberströmter Onegin taumelt aus dem Wäldchen und verkündet der völlig schockierten Tatjana den Tod von Lenski.

Foto © Iko Freese

Barrie Kosky führt sein junges Sängerensemble mit sensibler und leichter Hand, aber lässt auch die emotionalen Abgründe zu, die Puschkin seinen Charakteren zugrunde gelegt hat. Minutiös werden Details ausgearbeitet – Tatjanas Handbewegungen sprechen lauter als jegliche Arie es könnte, wenn sie auf eine Antwort auf Ihren Brief wartet.

Rebecca Ringst, einzige Frau im Regieteam, zaubert eine zeitlose Welt auf der sehr realistisch aus Sisal handgewobenen, 400 Quadratmeter großen Wiese. Dass diese Wiese sich auch noch tanzend an gewissen Stellen dreht, gibt den Szenen einen zusätzlichen Schwung. Der Wald, in der russischen Seele ein unentbehrlicher Teil der Romantik, und dann der klassizistische Palastbau des zweiten Teils zeugen von einer gelungenen stilistischen Auseinandersetzung. Klaus Bruns schafft mit seinen Kostümen den Spagat zwischen dem ländlichen und städtischen Flair. Besonders hervorzuheben ist die dramaturgisch bedeutende Beleuchtung von Franck Evin, der mit seinen Einstellungen sehr zum gefühlvollen Ton der Szenen beiträgt.

Die stimmlich großartige Asmik Grigorian gibt im ersten Teil einen überzeugenden Backfisch dar, der sich mit der ganzen Kraft ihrer jungen Seele nach der Liebe von Onegin sehnt. Als Fürstin Gremin im zweiten Teil hat sie enorm an Haltung und weltlichem Flair gewonnen, fast ist sie nicht mehr wieder zu erkennen.  Erst in der letzten Szene, als sie sich mit Onegin auf der Wiese ihrer Jugend trifft und mit sich und den Konventionen der Gesellschaft, in die sie eingeheiratet hat, ringt, erahnt man noch einmal die frühe Leidenschaft.

Der Onegin von Bariton Günter Papendell ist ein verzweifelter, nach Sinn suchender junger Mann. Freud hätte seine Freude an ihm. Stimmlich überzeugt er mit differenzierter Phrasierung und Sensibilität, trotz des Zynismus‘ des Charakters.

Aleš Briscein bringt ein schönes, jugendliches, tenorales Timbre für den Lenski. Etwas jähzornig und besitzergreifend ist sein Lenski allerdings schon. Karolina Gumos gibt eine bezaubernde, liebevolle Olga, die die Geschehnisse kaum glauben kann. Beide Paare würden einen unbeschwerten Sommer im Schatten der Bäume erleben, wenn es nicht diese allzu menschlichen Gefühle von Liebe und Eifersucht gäbe.

Die Arie des Fürsten Gremin ist bekanntlich die kürzeste und dankbarste Hauptrolle der Operngeschichte. Alexey Antonov trägt sie mit ehrlicher Würde hervor, dankbarerweise ist er ein eher junger Fürst und somit ist sein Liebesbekenntnis glaubhafter.

Auch der von David Cavelius einstudierte Chor wurde von Barrie Kosky individuell geführt – viele Details zeugen von guter Probenarbeit und einem ausgereiften Konzept.

Das Orchester liefert unter seinem Musikdirektor Henrik Nánási eine überdurchschnittliche Leistung. Die leidenschaftliche Musik von Tchaikowski scheint Nánási und dem Orchester zu liegen, so tönen sie wunderbar kammermusikalisch in den intimen Szenen, lassen aber auch das Großbürgerliche des Balls und große Emotionen zu.

Das Publikum reagiert auf diese – für den Hausherrn eher konservative – Produktion mit langanhaltendem und dankbarem Applaus für das gesamte Ensemble.

Zenaida des Aubris