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Foto © Matthias Baus

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Folgen eines Dornenstichs

LUCI MIE TRADITRICI
(Salvatore Sciarrino)

Besuch am
10. Juli 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Berlin

Liebe, Treue, Eifersucht, Tod – ewige Themen des Lebens, der Literatur und natürlich der Oper.  So auch bei Luci mie traditrici – der deutsche Titel lautet Meine verräterischen Augen und es geht eben um diese Themen. Der Graf Malaspina – sinnigerweise heißt das „schlechter Dorn“ – schenkt seiner Gemahlin einen Strauss roter Rosen, sie sticht sich an einem Dorn, zeigt ihrem Mann den blutenden Finger, und er bricht zusammen – allein aus dieser Szene kann man eine ganze Freudsche Analyse ableiten – sie, cool, bedient sich an ihrem Frühstücksei. 

Das Ehepaar beschwört sich ununterbrochen Liebe und Treue im fast monotonen Plauderton. Dabei wird der Riss an der Schlossmauer immer grösser, auch diese Tatsache folgenschwer. Der Graf verlässt das Haus, es kommt ein Gast, der der Gräfin seine Liebe gesteht und sie leidenschaftlich bedrängt, alles unter den Augen des selbst in die Gräfin verliebten Dieners, der wiederum alles dem Grafen erzählt.

Als im zweiten Akt der Graf als Todesengel mit riesigen schwarzen Flügeln auftritt, und sich die Eheleute abermals Liebe und Treue schwören, ist klar, dass es kein Happy End geben wird. Am Ende wird der tolpatschige Diener stuntreif über einen Sessel gestolpert und tot sein. Der Liebhaber-Gast schleppt sich blutüberströmt auf die Bühne und bricht ebenfalls tot zusammen. Die Gräfin wird von ihrem Gatten ermordet, die Hinterwand des Raumes bricht weg, und er steht da, Pistole in der Hand – die noch vor kurzem heile Welt ist eingestürzt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Hausherr Jürgen Flimm siedelt die Geschichte in einem Wohnraum des gut bürgerlichen Fin de Siècle an. Es sind die Szenen einer Ehe-Hölle, in der die Ehepartner sich siezen und doch eine leidenschaftliche Beziehung haben, eine Hass-Liebe, die immer unter der glatten Chabrol-ähnlichen Oberfläche aufflackert. Flimm inszeniert das Stück so, dass es auch ohne Musik ein spannendes Theaterdrama wäre.  Die Bühne von Annette Murschetz und Kostüme Birgit Wentsch sorgen hier für eine passende Einrichtung und Ambiente, die auch für ein Ibsen- oder Strindberg-Stück herhalten kann.

Foto © Matthias Baus

Salvatore Sciarrino schrieb dieses Werk 1998 für die Schwetzinger Festspiele, damals mit dem deutschen Namen Die tödliche Blume. Das Libretto basiert auf der wahren Gegebenheit in den 1950-er Jahren, als der Komponist Carlo Gesualdo seine Frau und deren Liebhaber ermordet hat. Da Alfred Schnittke sich jedoch dieses Themas schon bedient hatte, hat Sciarrino tiefer in der Geschichte gesucht und einen ähnlichen Leidenschaftsmord im Theaterstück von Giacinto Andrea Cicognini aus dem 17. Jahrhundert gefunden. Vermutlich, um einen Bezug zu schaffen, beginnt Sciarrinos Stück mit einer off-stage gesungenen Elegie von Claude Le Jeune, einem flämischen Komponisten aus dem 16. Jahrhundert.

Damit ist aber dann Schluss mit der Vergangenheit, und Sciarrino entwickelt seine ganz eigene Sprache.  Und die ist eine leise, nervöse, voller fragmentarischer Töne, winzigen Gesten, illustrativ sinnlich, dann wieder analytisch. Hochachtung dem Kammermusikensemble der Staatskapelle, mit nur 21 Musikern besetzt, die alle sehr konzentriert auf den Dirigenten David Robert Coleman achten. Nicht umsonst ist Coleman als Fachmann für zeitgenössische Musik bekannt – er hält diese höchst komplizierte, filigrane Komposition elegant zusammen.

Ebenso hervorzuheben sind die Leistungen der vier Darsteller, die es alles andere als leicht haben, die 110 Minuten fast durchweg nur einen rhythmisch vertrackten, flüsternden Sprechgesang hervorbringen müssen. Otto Katzamaier als Graf Malaspina wächst von einem idiosynkratrischen Kleingeist zu einem leidenschaftlichen Todesengel heran. Katharina Kammerloher als Gräfin zeigt mit ihrem schlanken Mezzosopran eine breite Facette an müder Eleganz bis zu dem lebhaften Flirt mit dem Gast und dann die fatalistische Todeseinsicht. Der Gast ist Lena Haselmann, eine zwar kleine, aber zentrale Rolle, als Spiegelbild der Gräfin auch ein Mezzo, die auch mit ihr bestens harmoniert. Der Diener, verkörpert von Christian Oldenburg, ist als Gegenspieler zum Grafen als Commedia-dell’Arte-Figur angesetzt.

Luci mie traditrici ist der Höhepunkt des diesjährigen Infektion-Festivals für Neue Musik der Berliner Staatsoper. Ein konzentriertes Publikum weiß die Leistungen des gesamten Ensembles gebührend zu würdigen.

Zenaida des Aubris