Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Robert Recker

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Old Man Danube

MARINKA
(Emmerich Kálmán)

Besuch am
18. Dezember 2016
(Premiere)

 

 

Komische Oper Berlin

Wer hätte das vermutet? Der tragische Doppelselbstmord des österreichischen Kronprinzen Rudolf von Habsburg und der blutjungen Baroness Marie Vetsera, genannt Marinka, auf Schloss Mayerling fand gar nicht statt. Stattdessen fingierte das Liebespaar sein Ableben, floh inkognito nach Amerika und wurde dort glücklich. So jedenfalls erzählt es der Nachfahre von Josef Bratfisch, dem damaligen kaiserlichen Kutscher, in dem „Romantic Musical“ Marinka von Emmerich Kálmán, das 1945 in New York Premiere feierte und jetzt an der Komischen Oper Berlin erstmals nachgespielt wurde. Mit Riesenerfolg, denn die Wiederbelebung von Kálmáns einzigem Bühnenstück für den Broadway überrumpelt dank der Fülle von satten, ohrwurmträchtigen Melodien und einem Solistenquartett, das mit Herzblut bei der Sache ist.

In Marinka trifft die gute alte europäische Operette auf das amerikanische Musical. Wobei Kálmán nur das Walzerlied Only one touch of Vienna original für das Stück vertonte, den Rest der Musik aber der früheren Operette Der Teufelsreiter, dem Tonfilm Ronny und dem unvollendeten Musical Miss Underground entnahm. Das Werk verleugnet nie den österreich-ungarischen Hintergrund des Komponisten, wie die zahlreichen Wiener Walzer oder die effektvolle Auftrittsnummer der Gräfin Landowska à la Cszárdásfürstin belegen. Aber es beinhaltet auch eine Reihe von gekonnten Songs im Stil der Broadwayklassiker, darunter eine Kuriosität: Das Lied von der alten Donau bezieht sich auf Jerome Kerns Show Boat und zitiert am Ende tatsächlich den Ol‘ man river.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Mixtur aus europäisch-amerikanischer Operettenkultur spiegelt sich in der Besetzung wider. Denn mit Ruth Brauer-Kvam ist die Titelpartie mit einem Musical-Star besetzt, einer Vollblutdarstellerin von Kopf bis Fuß, die genauso mitreißend singt wie spielt. Auch die Sopranistin Talya Lieberman beherrscht das Metier der leichten Muse aus dem Effeff. Stimmlich hinreißend gerät ihr Auftritts-Czárdás, nonchalant serviert sie die Zweideutigkeit der Nummer Speak to me of sex. Johannes Dunz als Rudolf sieht wie ein rechter Prinz aus, lässt seinen Tenor so fesch und elegant wie gewohnt klingen, bleibt nur darstellerisch etwas steif. Mit Entertainer-Qualitäten führt Peter Bording durch den Abend und sorgt zugleich durch seine einschmeichelnde, zurückgenommene Interpretation Only one touch of Vienna für einen sängerischen Höhepunkt.

Foto © Robert Recker

Koen Schoots dirigiert die von Ferdinand von Seebach neu instrumentierte Partitur mit Schmiss und Temperament, ohne die Walzerseligkeit zu vernachlässigen. Chor und Orchester der Komischen Oper sind ihm dabei zuverlässige Partner.

Bombenstimmung im fast ausverkauften Haus. Wehmut über das Auslaufen der Kálmán-Reihe muss aber nicht aufkommen. Denn ab nächster Spielzeit wird, wie Barrie Kosky in seiner launigen Einführung mitteilt, ein konzertanter Zyklus mit Operetten von Paul Abraham starten.

Karin Coper