Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Die Lebensuhr der Traviata

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
22. Dezember 2015
(Premiere am 19. Dezember 2015)

 

 

Staatsoper Berlin im Schiller-Theater

Bei La Traviata denkt man oft an große Oper, große Ausstattung, allen voran die legendäre Produktion von Franco Zeffirelli mit Teresa Stratas und James Levine. Bei der neuen Inszenierung unter der Regie des schauspielerischen Großmeisters Dieter Dorn ist es das genaue Gegenteil.  Eine kammermusikalisch dichte Interpretation aus Sicht der sterbenden Violetta.

Ein Einheitsbühnenbild prägt den leeren, schwarzen Raum. Nur notwendige Türen im Hintergrund, um Auftritte und Abgänge zu ermöglichen. Joanna Piestrzynska gestaltet darin einen verspiegelten, übergroßen Kubus mitten im Raum und verbindet somit Gegenwart mit Vergangenheit. Vielleicht als Zitat aus Jean Cocteaus Film Orpheus aus dem Jahre 1949 ist der Spiegel zart zerbrochen und erlaubt den verzerrten Blick auf eine Gruppe von acht Mimen-TänzerInnen, choreographiert von Martin Gruber, die sich in einen Totenkopf verschränken. Oft treten diese hageren Totentänzer hervor, gehen auf Violetta zu, erinnern sie, dass Ihr Ende naht. Diese Tatsache wird ferner von einem riesigen Sack, aus dem unentwegt feiner Lebenssand rinnt, unterstrichen. Letztendlich „schwindet“ Violetta einfach in diesem Kubus, sie tritt ins Jenseits. Alfredo, ihr Vater, Annina und Dr. Grenvil sehen sich erstaunt an – war es doch nur alles ein Traum, eine Projektion ihrer bürgerlichen Fantasien?

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Kostümbildnerin Moidele Bikel kreiert mondäne Gewänder für die feine Pariser Halbwelt. Sehr effektiv das silberne Kostüm der Violetta, das sie als dramaturgisches Mittel mal als schützenden Umhang, mal als torrerohaftes Cape, mal als gesellschaftliche Haut, die abgestreift wird, verwendet.

Foto © Bernd Uhlig

Sonya Yoncheva glänzt in dieser Rolle. Das kann und muss man ohne wenn und aber sagen. Ein samtiger Sopran, mit dem sie die ganze Lebendigkeit ihrer Figur, Selbstbewusstsein, Zerbrechlichkeit, Liebe und Verzweiflung mühelos ausdrückt. Ihre Stimme ist für die großen Bühnen bestimmt – allemal größer als die der Staatsoper im Schillertheater. Der kurzfristig eingesprungene Saimur Pirgu gibt einen eher blassen Alfredo ab. Ob das in seinem Naturell liegt oder von der Regie vorgegeben ist, wird nicht klar. Simone Piazolla erntet großen Beifall für seine Interpretation des kleinbürgerlichen Vaters Germont.

Der ausgezeichnete Chor – einstudiert von Martin Wright – hat schon beim Brindisi im ersten Akt seinen dramatischen Höhepunkt erreicht, unterstützt von blau strahlenden Gläsern. Eine neue Modedroge? Lebenselixier? Oder nur eine Spielerei mit LED-Leuchtmitteln?

Von Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin ist man Raffinement gewöhnt.  Und wird nicht enttäuscht.  Die so bekannte Musik von Verdi erhält unter seiner Führung gesellschaftspolitische Anschläge – es ist eine kalte Gesellschaft, die über Violetta Valery richtet. Anfänglich ruppig und eisig, entlockt Barenboim, oft mit sehr breiten Tempi, dem Orchester die schönsten Pianissimi, besonders im vierten Akt.

Am Ende Jubel beim Publikum und standing ovations – etwas sehr Seltenes in Berlin – besonders für Sonya Yoncheva und das Orchester mit seinem Dirigenten Daniel Barenboim.

Zenaida des Aubris