Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sarah Jonek

Aktuelle Aufführungen

Industrialisierung der Gefühle

L'ELISIR D'AMORE
(Gaetano Donizetti)

Besuch am
3. Dezember 2016
(Premiere)

 

 

Theater Bielefeld

Ein bisschen Sorgen macht sich ja schon um den Unterhaltungsgrad des Abends, als zwei depressiv wirkende Chordamen den Vorhang zu Donizettis L’elisir d’amore lüften. Dann fallen auf den zweiten Blick zwei Sachen auf: Zum einen scheint es dem Rest des Chores gut zu gehen. Zweitens: Die Fabrikhalle, die Nikolaus Webern auf die Drehbühne des Theaters Bielefeld gebaut hat, und die direkt die Richtung der Inszenierung von Johannes Pölzgutter vorgibt.

Ein Haufen von Arbeitern wuselt emsig über die Bühne und verpackt tausende rosafarbene Teddys in Kartons. Kuschelige Plüschtiere für die Konsumenten, aber vor Ort gibt es keine rechte Herzlichkeit. Adina führt hier ein strenges Regiment, und besonders der verliebte Nemorino bekommt besonders oft Ärger. Es ist kein schönes Umfeld: statt malerischer Dorfkulisse à la Bella Italia herrscht triste Fabrikmentalität. Dann taucht mit Belcore kein schmucker Soldat auf, sondern ein schmieriger Vorgesetzter mit blonder Tolle, der sich dann mit seinen zwielichtigen Bodyguards auch noch als Drogenverkäufer entpuppt. Diese Interpretation ist etwas problematisch, da man ja ständig von dem Sergeanten und den Soldaten singt. Schließlich erscheint auch der Quacksalber Dulcamara wie aus dem Nichts, und seine medizinischen Künste sind nicht nur wegen seiner unhygienischen Kleidung anzuzweifeln. Der bunt durcheinander gewürfelte Haufen von Kostümen, den Janina Ammon an die Akteure gebracht hat, ist einfach nur wunderbar und passt bestens in das konsequent umgesetzte Konzept.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Für falsche Romantik ist in dieser Geschichte keinen Platz, stattdessen gibt es viele Aktionen und auch einige Slapstick-Einlagen. Das Ganze läuft dann, sehr gut mit der Musik abgestimmt. Und so lockert sich die Betriebsatmosphäre immer mehr auf, wenn plötzlich von Hochzeit, Erbschaften und erfolgreichen Liebestränken die Rede ist. Da kommt auch die depressivste Arbeiterin plötzlich und tanzt wild mit. Emotionale Ausbrüche sind das eigentlich aber nicht. Selbst Adina und Nemorino verfallen einander nur in körperlicher Annäherung.

Foto © Sarah Jonek

Da traut Dirigent Pawel Poplawski den Noten mehr Romantik zu und lässt die Bielefelder Philharmoniker stellenweise geradezu liebenswert aufspielen. Die Instrumente dürfen seufzen und flirten, und ein Hauch von ehrlicher Liebe weht durch die Streicher. Aber das sind bloße Kontraste zu halsbrecherischen Kapriolen im Arbeitsalltag, in dem die Musik Donizettis die aufkommende Industrialisierung nachahmt. Respekt für das Orchester, dass es derartige Tempi sehr elegant aufnimmt. Schön, dass Poplawski so mutig diese Tempi wählt und auch Sänger und Chor derart sicher durch die Passagen leitet. Apropos Chor: Hagen Enkes Sängerschar mischt in dieser lebendigen Szenerie sowohl stimmlich als auch körperlich sehr gut mit. Wäre da nicht der homogene Zusammenklang, könnte man fast gar nicht mehr von einem Chor sprechen, denn hier wird ausgesprochen individuell gespielt.

Der Nemorino ist Lianghua Gong quasi auf Leib und Stimme geschneidert. Seine lange, schlaksige Gestalt ist die eine Seite, die andere ist sein schönes Timbre, das genau diesen herzensguten Kern hat, den man für diese Rolle braucht. Durchweg auf hohem Niveau singend, krönt er seine Leistung mit der Arie Una furtiva lacrima. Bei seiner Adina klafft da noch eine kleine Lücke zwischen körperlicher und vokaler Ausstrahlung. Nienke Otten spielt die Chefin Adina souverän und dominant. Genau dieses Selbstverständnis fehlt ihr noch in ihrem Sopran, weshalb auch noch manche Höhe eher gedrückt klingt. Eigentlich völlig unnötig, da die Sängerin ja technisch durchaus das Rüstzeug hat und Koloraturen wie Legato auf dem Körper sitzt. Dorine Mortelsmans‘ Gianetta fällt durch ihre Spielfreudigkeit und ihre sicheren Einsätze auf, die in den Ensembles immer für eine hörenswerte Oberstimme sorgen.

Caio Monteiro begeistert wie immer mit seiner komischen Präsenz auf der Bühne. Sein Bariton ist manchmal eine Spur zu fest für den Belcanto, aber auch er weiß, sich überzeugend zu präsentieren. Yoshiaki Kimura beginnt als Dulcamara eine Spur zu hektisch und verschenkt daher die Auftrittsarie. Im Laufe des Abends aber kommt er immer mehr in die Partie, weiß seinen Bass agil und resonanzreich einzusetzen und ist außerdem für die Schlusspointe zuständig.

Beim Schlussapplaus ist er einer der Publikumslieblinge, aber jedes der Ensemblemitglieder hat seine Fans im Publikum sitzen. Überraschenderweise ist der Schlussapplaus zwar sehr positiv in der Stimmung, aber nicht so überschwänglich wie erwartet. Während das Regieteam ohne großartige Abweichung einfach in den Applaus mit einbezogen wird, ist der Beifall für Gong berechtigterweise am lautesten. Mit diesem Liebestrank wird das Theater Bielefeld noch ein bisschen Spaß haben in der laufenden Saison.

Christoph Broermann