Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Jörg Landsberg

Aktuelle Aufführungen

Die Toten sind Zeugen

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)

Besuch am
7. November 2015
(Premiere am 3. Oktober 2015)

 

 

Theater Bremen

Mit dieser Peter-Grimes-Inszenierung stellt sich Marco Storman erstmals dem Bremer Publikum vor und fordert ihm gleich einiges ab: nicht nur, dass die Oper insgesamt ein eher dunkles, um nicht zu sagen finsteres Sujet bietet, das so recht in die Totenstimmung des November passt, auch Bühne, Figurenführung, Tempo und Musik vermitteln eine düstere Stimmung, in die sich der Hauptprotagonist, der Fischer Peter Grimes, immer tiefer hinein versenkt, um schließlich wie die zwei Knaben darin unterzugehen.

Mit zwei auf einander gestapelten Zimmerkästen, Containern nicht unähnlich, haben Anna Rudolph und Dominik Steinmann die Bühne ausgestattet. Großwandige Videoprojektionen holen das Meer und Jungengesichter auf die Bühne, die alle Beteiligten durch ein fußhohes Wasserbett zwingt – für eine Hansestadt am Meer eine etwas merkwürdige Assoziation. Aktuelle Alltagskleidung holt das Geschehen in unsere Zeit, lediglich die vier Knaben präsentieren sich internatsähnlich in gleicher „Uniform“. Peter Grimes erzählt in rezitativähnlichem Tonfall die Geschichte des Sturmes, die schließlich einen Schiffsjungen das Leben kostet und ihn selbst in den Augen der übrigen Dorfbewohner zum Mörder macht. Lediglich die verwitwete Lehrerin Ellen Orford hält noch zu ihm und versucht, mit ihm einen Ausweg zu finden. Dorfgemeinde oder Frauenchor – die Chorpartien sind ein mächtiger musikalischer Pfeiler dieser Oper, der Chor des Theaters Bremen ist musikalisch und auf der Bühne bestens präsent. Die im Wirtshaus von Grimes erzählte Geschichte zeigt keine klare Linie, der „Sturm unterm Sternenlicht“ bleibt undurchsichtig, der Name des „Ihr-wißt-schon-wer“ im skurril-gleichförmigen Alltag des Fischerdorfes unausgesprochen. Der verstoßene Grimes muss das Dorf und sich fragen „Was ist schon daheim?“ Er bleibt mit seinem Schatten allein auf der Bühne.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Im Dorf stehen sich die Autoritäten mit ihren Grundsätzen und die Mächte des Bösen, die sie in Peter Grimes personifizieren, feindselig gegenüber. Immer mehr verschwimmen die Grenzen zwischen der rauen, brutalen Wirklichkeit des Lebens der Fischer im Dorf und ihren Phantasmen, in die sie sich vor Meer und Sturm flüchten – aussichtslos. Grimes schwankt zwischen den Wünschen, zur Dorfgemeinschaft gehören zu wollen und doch sein eigenes Individuum zu sein, ein Traum, an dem er schließlich scheitert. Da kann auch die Zuneigung der Lehrerin Orford zu Grimes keinen Ausweg finden. Diesen Grimes in all seinen Widersprüchen will Storman zeichnen, eine Figur, die „den Preis nicht zahlen will, seine Naivität, seine Emotionalität gegen Rationalität und Effizienz zu tauschen“.

Will Hartmann als Peter Grimes bei der Premiere - Foto © Jörg Landsberg

Diesen zerrissenen Grimes bringt Chris Lysack glaubhaft und authentisch auf die Bühne. Seinem verhaltenen Tenor hätte man gern etwas mehr Dynamik gewünscht, die seine Zerrissenheit auch musikalisch deutlich macht. Patricia Andress, Sopran, verfügt stimmlich wie darstellerisch über diese Dramatik, sie bringt Leben in Passagen, die schon einmal einige Längen aufweisen. Dazu trägt auch eine recht statische Personenführung bei, die wenig Bewegung auf die Bühne bringt. Neben dem immer agilen und musikalisch sehr präsenten Chor, den Daniel Mayr zupackend vorbereitet hat, sind es die Lehrjungen, die das Bühnenleben auflockern. Die Wirtin Auntie stellt Nathalie Mittelbach kühl und distanziert dar. Melody Wilson als schrille Witwe Sedley trägt dazu bei, dem Leben im Fischerdorf einige Farbtupfer zu setzen.

Die eigentliche Spannung des Abends bringt Markus Poschner mit den Bremer Philharmonikern in die Aufführung. Ob es die gefürchteten Sturmgewalten oder die empfindliche Emotionalität der Orford sind, das Orchester malt und erzählt die ganze Breite der Empfindungen dieses Abends bis hin zum trostlosen Schluss, an dem langsam feine Flötentöne verklingen.

Über weite Strecken zeichnet Marco Storman einen Peter Grimes, der sich dem tristen, belanglosen Alltag des Dorf- und Fischerlebens entziehen möchte und sich in seine Träume flüchtet. Dazu reichen seine Kraft, seine Ideen nicht aus – er scheitert und verschwindet langsam in einer Welt der Trostlosigkeit und Finsternis. Dieses Konzept verleitet Stormann dazu, immer mehr auf dramaturgische Akzente zu verzichten, die Aufführung zeigt Längen. Erst gegen Schluss gelingt es den Darstellern noch einmal, mit darstellerischer und stimmlicher Intensität die Aufmerksamkeit zu fesseln – obwohl das Scheitern des Träumers vorgezeichnet ist. Nicht alle Zuschauer haben die Kondition bis zum Schluss, einige Sitze bleiben nach der Pause leer. Hierzu dürften neben dem düsteren Gesamtgemälde, das Brittens Oper liefert, auch einige Längen der Inszenierung vor allem im zweiten Akt beigetragen haben.

Horst Dichanz