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Foto © Martin Steffen

Aktuelle Aufführungen

Wenn eine Fabrikhalle zur Kathedrale mutiert

SPEM IN ALIUM
(MusicAeterna Perm)

Besuch am
16. August 2016
(Premiere)

 

 

Ruhrtriennale, Zeche Zollern Dortmund

Ob Oper, Konzert, Schauspiel oder Ballett: Die 24 Spielorte der Ruhrtriennale in stillgelegten Stahlwerken und Kohlezechen des Ruhrgebiets bieten zwischen Duisburg und Hamm so eindrucksvolle Kulissen, dass man sich aufwändige Bühnenbilder oder -bauten meist sparen kann. Die Zeche Zollern in Dortmund ist zwar nicht so bekannt wie die Bochumer Jahrhunderthalle oder die Essener Zeche Zollverein, gehört mit ihrem weiträumigen Industriepark und ihrer grandiosen Maschinenhalle jedoch zu den interessantesten Aufführungsorten der Ruhrtriennale. Eine lichtdurchflutete Halle mit großen Fenstern und mächtigen Stahlgewölben, die jetzt beim Konzert der MusicAeterna zur Kathedrale mutiert. Das betrifft auch die nahezu idealen akustischen Bedingungen mit einer moderaten, aber völlig ausreichenden Nachhallzeit, um den Klang homogen aufblühen lassen zu können. Kein Ton erstickt in Trockenheit und kein Ton versinkt im Klangbrei.

Der Chor MusicAeterna stammt aus der russischen Millionenstadt Perm im Uralvorland und wird von Teodor Currentzis als künstlerischem Direktor in Zusammenarbeit mit dem Chorleiter Vitaly Polonsky erfolgreich als Konzert- und Opernchor geführt. Von der noblen Gesangskultur, dem voluminösen Wohlklang und der Spielfreude des Chors kann man sich noch bis zum 28. August in Johan Simons Neuinszenierung von Glucks Alceste in der Bochumer Jahrhunderthalle überzeugen. Auf der Zeche Zollern zeigen sich die vierzig Sängerinnen und Sänger in schwarzer Tracht mit einem hoch interessanten geistlichen Programm von ihrer spirituellen Seite.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Titel Spem in alium – Hoffnung auf einen anderen – bezieht sich auf die berühmte Motette des englischen Renaissance-Meisters Thomas Tallis. Ein klanglich höchst differenziert strukturiertes Werk für 40 Stimmen, das höchste Anforderungen an den Ensemblegeist stellt. Der Chor eröffnet den Abend mit diesem christlichen Hoffnungs-Hymnus unsichtbar im Hintergrund der riesigen Halle und wiederholte ihn am Ende auf dem Podium im mittlerweile dunklen, mit zarten Blautönen illuminierten Raum.

Foto © Martin Steffen

Unter der Leitung von Vitaly Polonsky lässt der Chor alle Tugenden hören, die man von einem erstklassigen russischen Chor erwartet. Tiefe und aufrichtige Spiritualität, eine beeindruckende Klangfülle, ein etwas herbes Kolorit in den höheren Stimmen und profunde Substanz in den tieferen Registern. Intonationssicherheit, Textverständlichkeit und rhythmische Präzision kann man als selbstverständlich voraussetzen. Bedingungen, mit denen Polonsky weiträumige dynamische Entwicklungen entfalten kann, die von der brillanten Hallenakustik ohne jede Verzerrung getragen werden. Das führt in György Ligetis bahnbrechendem Requiem-Gesang Lux Aeterna zu frappierenden Ergebnissen.

Drei Motetten des englischen Barockmeisters Henry Purcell wurden kombiniert mit geistlichen Gesängen des modernen russischen Komponisten Alfred Schnittke. Stücke, in denen sich Schnittke am zeitlosen Stil der russisch-orthodoxen Vokalkunst orientiert und mit denen er ohne jeden avantgardistischen Ehrgeiz eine Aura tiefer Religiosität verströmt. Wie vor ihm in den geistlichen Werken Tschaikowskys und Rachmaninows werden auch bei Schnittke die alten Vorlagen orthodoxer Liturgie-Gesänge hör- und spürbar, ohne dass dessen Musik in irgendeiner Weise anachronistisch wirkt. Gesänge, die ihren vollen Reiz allerdings erst mit dem spezifischen Kolorit russischer oder slawischer Chöre entfalten können. Und an Kolorit mangelt es den Vorträgen der MusicAeterna nicht.

Das Publikum verfolgt den bewegenden anderthalbstündigen Auftritt der 40 Gäste mit wachsender Ergriffenheit und Begeisterung. Ein Chor, der sich mit der Alceste und diesem Konzert als heimlicher, wenn auch bescheidener „Star der Ruhrtriennale“ empfiehlt.

Pedro Obiera