Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Herrmann

Aktuelle Aufführungen

Frage nach dem Danach

(T)HERE AND AFTER
(Alexandra Waierstall)

Besuch am
25. November 2016
(Uraufführung am 24. November 2016)

 

 

Rückblickend sind zwei Jahre meist eine ziemlich kurze Zeit. So lange waren Alexandra Waierstall, Sebastian Matthias und Jan Martens die ersten „factory artists“, also Residenzkünstler, am Tanzhaus NRW. Am letzten Novemberwochenende verabschieden sich die drei Choreografen mit Aufführungen ihrer Arbeiten. Waierstall präsentiert zum Abschluss die Uraufführung von (T)here And After, wiederum eine etwa 50-minütige Choreografie.

Waren ihre Arbeiten A City Seeking Its Bodies und And Here We Meet durchaus spektakulärer, wirkt (T)here And After komplexer und filigraner. Alexandra und ihr Vater, Horst Weierstall, haben wiederum Bühne und Kostüme entwickelt. Die Bühne ist leergefegt, auf dem Boden eine schwarze, spiegelnde Folie ausgelegt. So ergeben sich vor allem, wenn die Tänzer sich auf dem Boden liegend bewegen, unauffällige, aber wirkungsvolle Effekte. Die vier Tänzerinnen und drei Tänzer sind in graue Overalls gekleidet, die wohl bewusst jede Geschlechtlichkeit aufheben und in krassem Gegensatz zum Auftritt der nackten Tänzerin stehen, die nach ihrem Gang vom Bühnenhintergrund zur Rampe ebenfalls in einen Overall gesteckt wird und damit den letzten Funken von Individualismus erstickt.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Waierstall hat gemeinsam mit Marianna Christofides die Bewegungssprache nicht nur beibehalten, sondern in ihrer Ästhetik weiterentwickelt. Anstatt den Tänzern Wege und Figuren vorzuschreiben, geht sie den entgegengesetzten Weg: Die Akteure bekommen neben einigen Grundmustern viel Raum für ihre Improvisationsfähigkeiten, die nun aber genauer in Abschnitten und Tempi konturiert werden. Mutige Pausen lassen den Eindruck entstehen, hier würde das Zeitkontinuum unterbrochen.

Foto © Christian Herrmann

Mehr Wert als üblich haben die Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit Ansgar Kluge auf die Lichtgestaltung gelegt. Dabei genügt ihnen weißes Licht in verschiedenen Farbtemperaturen und Scheinwerferkonstellationen, um eine Lichtdramaturgie zu schaffen, die die Intensität auf ein Höchstmaß treibt.

Die Tänzer werden an die Grenzen ihrer Kondition getrieben, um Situationen zwischen Weltuntergang, Neubeginn und Poesie entstehen zu lassen. Orientierungslos herumhüpfend, finden sie zu neuen Ordnungen, die nach nur wenigen Versuchen nicht von Bestand scheinen, kumulieren zu Zellverbänden, die in immer höheren Aggregatszuständen wieder auseinandersprengen, oder finden sich in quälender Einsamkeit des Alleinseins, die sie auf dem Boden dahinvegetieren lässt. Texte, die bei And Here We Meet eine eindrucksvolle Rolle spielten und noch während der Proben fest eingeplant waren, sind ersatzlos gestrichen. Die richtige Entscheidung. Nicht nur technische Umsetzungsprobleme sind damit behoben, sondern neue Interpretationsräume öffnen sich. Damit ist Waierstall im letzten Moment noch der entscheidende Kick gelungen. Jetzt geht es nicht länger nur um die Zeit nach der Im- oder Explosion aller Systeme, sondern auch darum, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen. Vielleicht die hilfreichere, weil zeitnahere Fragestellung.

Weniger hilfreich ist die Geräuschkulisse von Hauschka, die vom Band eingespielt wird. Immerhin stört sie nicht und unterstützt die Rhythmisierung.

Lange ist es still im Saal, nachdem das Licht endgültig erloschen ist.

Endlich setzt erschöpfter, aber begeisterter Applaus ein. Das waren – eindeutig – erfolgreiche 50 Minuten, auf die die Choreografin und ihr Team stolz sein dürfen. Und ein gebührender Abschied, der zeigt, dass Alexandra Waierstall ihre Zeit am Tanzhaus gut zu nutzen wusste. Dass sie an ihren Deutschkenntnissen noch weiter feilen muss, ist eher unwahrscheinlich. Denn schon jetzt warten internationale Projekte auf sie.

Michael S. Zerban