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Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Folklore aus dem Bilderbuch

DON QUICHOTTE
(Ben van Cauwenbergh)

Besuch am
10. November 2016
(Premiere am 5. November 2016)

 

 

Aalto-Theater, Essen

Lässt man die kunterbunte Bilderfolge und die Späßchen in Ben van Cauwenberghs Choreografie von Marius Petipas Ballett-Klassiker Don Quichotte zur harmlosen Musik von Ludwig Minkus an sich vorüberrauschen, melden sich zwei Stimmen in der Brust. Bewunderung für das tänzerische Niveau der gut geführten Compagnie, gleichzeitig aber Unbehagen an der seichten Vorlage aus dem Jahre 1869, die Cauwenbergh nur marginal mit ein paar Späßchen auffrischt.

Von einem Ballett des 19. Jahrhunderts erwartet zwar niemand, dass es der geistigen Tiefe einer literarischen Vorlage vom Rang des Don Quichotte gerecht werden kann, aber mehr als eine klischeebeladene Folie für dankbare Tanzeinlagen dürfte es schon bieten. Sonst öffnet sich eine unheilvolle Schere zwischen überkandidelter Abstraktion à la Schläpfer und Tanz als populistischem Reißer à la Essen, mit der niemandem gedient wäre. Dass sich Klassik und Moderne auf dem Tanzboden nicht ausschließen müssen, zeigt beeindruckend Bridget Breiner in Gelsenkirchen.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Nun hat sich Ben van Cauwenbergh für eine risikolose Lösung entschieden. Dass das Publikum das harmlose Divertissementchen begeistert aufnimmt, dass die Tänzer die vielen dankbaren Aufgaben mit sichtlichem Vergnügen erfüllen, kann und will ihnen niemand verdenken. In der losen Folge von meist kunstvollen Pas de deux‘, Soloeinlagen und Ensembleszenen mutet das Ganze reichlich angestaubt an, auch wenn die bunten Kostüme und blitzblank gewienerten spanischen Landschaften von Ausstatter Dorin Gal kein Staubkörnchen aufweisen.

Foto © Bettina Stöß

Die Titelfigur nebst ihrem Gefährten Sancho Pansa wertet van Cauwenbergh auch in seiner zweiten Version nach seinem ersten Versuch am Wiesbadener Staatstheater vor elf Jahren nur mäßig auf. Die Gattungsbezeichnung „Ballettkomödie“ nutzt er zu einigen mehr oder weniger witzigen Einlagen, etwa einem skurrilen Pas de deux der beiden Männer, einem recht tuntig auftretenden Galan namens Gamache und vor allem durch das Gebaren des von Statisten betriebenen Pferds Rosinante. Humor auf niedriger Flamme.

Die Kernhandlung dreht sich ohnehin um die Liebe zwischen der schönen Schankwirtstochter Kitri und dem Friseur Basile, die aber Kitris Vater verhindern will. Der hat für seine Tochter den aufgeblasenen Schnösel Gamache vorgesehen. Dass sich auch Don Quichotte vom Zauber des Mädchens entflammen lässt, ist von eher marginaler Bedeutung. Das Liebespaar hat einige Abenteuer zu bestehen, bevor es zur ersehnten Hochzeit kommt, die Petipa und Cauwenbergh für ein Feuerwerk tänzerischer Highlights nutzt.

Und damit verstärkt sich das Bedauern, dass sich die Fähigkeiten der Essener Truppe an einem solchen harmlosen Stück entzünden müssen. Grandios Yanelis Rodriguez als ebenso anmutige wie temperamentvolle Kitri und die Essener Neuerwerbung Aidos Zakan als Basile, der nicht nur wegen seiner Sprungkraft zum Publikumsliebling avancierte. Ein Torero mit entsprechendem Selbstbewusstsein, wie ihn Armen Hakobyan demonstriert, darf nicht fehlen. An Geschmeidigkeit fehlt es Kitris Freundinnen Yusleimy Herrera León und Yurie Matsuura nicht. Auch wenn man die gestelzten Pirouetten des Don Quichotte alias Tomáš Ottych oder seines Kumpans Sancho Pansa alias Denis Untila nur bedingt komisch findet. Auch sie machen, wie das gesamte Ensemble inklusive zahlreicher solistischer Einlagen, ihre Sache mehr als gut.

Das alles spielt sich in pittoresken Bühnenbildern von Dorin Gal ab, die eher an Fernsehballette der 1950-er Jahre erinnern als an ein Tanztheater unserer Tage. Da helfen selbst die Videoprojektionen von Lieve Vanderschaeve wenig, auch wenn die berühmte Windmühlenszene dadurch effektvoll aufgeputscht wird.

Die endlose Tanzfolge der geschickten, aber recht konventionellen und ebenfalls von folkloristischen Klischees durchsetzten Kapellmeistermusik von Ludwig Minkus ist bei den Essener Philharmonikern gut aufgehoben. Dass die Musik wenig Kontraste und noch weniger Steigerungen aufweist, versucht Yannis Pouspourikas durch dynamischen Druck zu übertünchen. Mit gewissem Erfolg, der die begrenzte Originalität der Musik allerdings nicht übertönen kann.

Begeisterter, in gewisser Weise auch dankbarer Beifall für ein Unterhaltungsstück ohne jeden innovativen Gewinn, das immerhin gute zwei Stunden auf hohem tänzerischem Niveau bietet.

Pedro Obiera