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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Karl Forster

Aktuelle Aufführungen

Vier Rätselstunden

LOHENGRIN
(Richard Wagner)

Besuch am
4. Dezember 2016
(Premiere)

 

 

Aalto-Musiktheater Essen

Erfolge sind schön und erwünscht, können sich allerdings auch als Fallstricke erweisen. Der hymnische Hype, mit dem die Regisseurin Tatjana Gürbaca zu einem Star am Regiehimmel katapultiert wurde, birgt die Gefahr zu unkritischer Selbstüberhebung in sich. Niemand missgönnt ihr die Fantasie, mit sie in Essen Wagners Lohengrin mit skurrilen Geschichten erweitert und verfremdet. Wenn sich solche Eingriffe jedoch zur Willkür verselbstständigen, ist am Ende niemandem gedient. Weder dem Werk noch ihr selbst. Und erst recht nicht dem Publikum, das sich einem fast fünf Stunden langen Rätselspaß ausgesetzt sieht, bei dem freilich kein noch so origineller Einfall dem Verständnis dient, sondern höchstens verwirrt, was vor allem die musikalische Crew, die ausnahmslos ihr Bestes gibt, nicht verdient hat. 

Nun schlugen die Leistungen Tatjana Gürbacas in der Vergangenheit ohnehin uneinheitlich wie eine stark schwankende Fieberkurve aus. Davon sind auch ihre Auseinandersetzungen mit den Werken Richard Wagners in Antwerpen, neben dem Parsifal bisher Der Fliegende Holländer, nicht ausgenommen. Und mit ihrem neuen Lohengrin zeichnen sich ihre Talente zwar ab, zugleich werden jedoch eklatante konzeptionelle Schwächen deutlich.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Angesichts der unausgegorenen Inszenierung verdient es das tüchtige musikalische Team, ausnahmsweise an erster Stelle genannt zu werden. Generalmusikdirektor Tomáš Netopil entlockt den Essener Philharmonikern einen ebenso voluminösen wie duftigen Klang. Die Kontraste zwischen der lichten Gralswelt, der martialischen Realität und den finsteren Mächten der Gegenspieler arbeitet er mit packender Transparenz aus, wobei der dramatische Impetus nicht zu kurz kommt. Ein weiterer Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des Dirigenten. Stark auch die von Jens Bingert einstudierten Chöre. Dass sie klanglich konservenhaft eingeengt wirken und dass es in der Premiere zu wiederholten Wackelkontakten zwischen dem Orchester und den Sängern gekommen ist, ist nicht Netopil anzulasten, sondern den denkbar unglücklichen Bühnenbauten.

Foto © Karl Forster

Auch das Solistensextett kann sich hören lassen. Daniel Johansson bringt für die Titelpartie eine lyrisch warme und dennoch duchsetzungsstarke, metallisch schimmernde Stimme mit. Dabei könnte er sich szenisch durchaus selbstbewusster präsentieren. Doch die makellos vorgetragene Grals-Erzählung kniend singen zu müssen, belastet nicht nur unnötig die Kondition, sondern schmälert auch das Charisma der Rolle. Die Auftrittsarie der Elsa bewältigt Jessica Muirhead mit müheloser Schwerelosigkeit. Dass ihr vor allem im Schlussakt dramatische Aktionen wie der dem Wahnsinn verfallenen Lucia di Lammermoor abverlangt werden, führt zu forcierten Anstrengungen, die den positiven Gesamteindruck eintrüben und auch der Stimme nicht gut bekommen. Katrin Kapplusch bemüht sich weitgehend mit Erfolg, die schon in der Komposition angelegte stimmliche Hysterie der Ortrud in Grenzen zu halten. Heiko Trinsinger präsentiert einen vokal sattelfesten, düster wie Jago vor sich hin brütenden Telramund. Von Almas Svilpa könnte man sich für den König Heinrich eine zusätzliche Prise satter Bassschwärze wünschen. Den Heerrufer singt Martijn Cornet klar und markant.

Dass die Sänger sowohl akustisch als auch darstellerisch ihre Möglichkeiten nicht immer voll zur Geltung bringen können, liegt nicht zuletzt an der bizarren Architektur des Bühnenbilds von Marc Weeger. Begnügen muss man sich mit einer sich nach hinten verengenden, in die Höhe steil ansteigenden „Schachtel“, in die sich auch der gesamte verstärkte Chor zwängen muss und die nicht einmal die Hälfte der Bühne einnimmt. Riesenstufen zwingen die Sänger zu akrobatischen und alles andere als eleganten Verrenkungen. Zumindest, solange die Bühne nicht so vollgestellt ist, dass sich außer ein paar gestelzten Posen gar nichts mehr bewegt und die Solisten in den Chormassen optisch geradezu verloren gehen. Dass es angesichts der Höhenunterschiede zwischen Orchester und hoch platzierten Sängern zu Unstimmigkeiten kommt, lässt sich kaum vermeiden.

Was diese Konstruktion bezwecken soll, bleibt, wie so vieles in der Inszenierung, unklar. Die Regisseurin weist im Programmheft auf die damalige Enge und Engstirnigkeit der kleinen Provinz Brabant hin. Eine Intention, für die sich weniger gefährliche und effektivere Lösungen finden lassen dürften. Noch rätselhafter ist die ständige Präsenz des kleinen Gottfried, des legitimen Herzogs von Brabant, der in Essen bereits in der ersten Szene geoutet wird, noch bevor er als verzauberter Schwan den tapferen Ritter auf die Bühne ziehen darf. Für Wunder ist in der Inszenierung ebenso wenig Platz wie für die suggestiven Stimmungen der metaphysischen Gralswelt. Lohengrin erscheint wie die gesamte Staffage in nüchterner Alltagskleidung, die auch nicht prickelnder wirkt, wenn sich die Brabanter Mannen später in mausgraue Bundeswehr-Uniformen und der Gralsritter in einen ordengeschmückten Generals-Zwirn werfen.

Zum Orchestervorspiel lässt Tatjana Gürbaca die Vorgeschichte pantomimisch spielen, die freilich auch in dieser Darstellung unverständlich bleibt, wenn man den Verlauf der Geschichte nicht kennt und damit nur von der irisierenden Schönheit der Musik ablenkt.

Unter die Haut geht die Inszenierung, wenn sich die Regisseurin auf eine saubere Personenführung konzentriert und die Wirkung nicht mit aufgepfropften Mätzchen welcher Art auch immer verstellt. Zu den geglückten Teilen der Produktion zählen die Auseinandersetzung zwischen Telramund und Ortrud im zweiten Akt und die Brautgemachsszene mit Elsa und Lohengrin im Schlussakt. Hier werden die unausgesprochenen Spannungen zwischen den Figuren, die Erwartungen einschließlich sexueller Begierden detailgenau ausgeformt. Hier passt die Szene zur Musik, hier wird nichts verschlüsselt. Solche Momente gibt es nicht viele, weil die Profilierung der Figuren unklar bleibt. Davon betroffen ist vor allem die Rolle der Ortrud, die ihr bösartiges Intrigenwerk mit spitzer Zunge, warum auch immer, im Angela-Merkel-Outfit samt passender Frisur spinnt, der armen Elsa das Leben zur Hölle macht und am Ende vor lauter Empathie mit ihrem Opfer zu zerfließen scheint. Dass Elsa nicht entseelt zu Boden sinkt, sondern sich die Kehle durchschneidet, gehört zu den Mätzchen, mit denen man heute leben muss.

Das Publikum reagiert auf die zerklüftete Produktion überwiegend begeistert. Einhellig, was das musikalische Team, gespalten mit eher zurückhaltenden Protesten, was die Meister der Szene betrifft.

Pedro Obiera