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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Lehár in der Quasselbude

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)

Besuch am
25. Dezember 2016
(Premiere am 16. Dezember 2016)

 

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Franz Lehárs populärster und wohl auch bester Operette Die lustige Witwe mangelt es nicht an Ohrwürmern, nicht an musikalischer Substanz und auch nicht an amüsanten Dialogen. Warum Sandra Wissmann in ihrer Inszenierung am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier diesen Stärken des Stücks nicht vertraut und die Dienerrolle des Neagus zu einem Moderator aufwertet, der vor allem den langen ersten Akt mit Anekdötchen, Werkserläuterungen und sonstigem Firlefanz verquasselt, bleibt ihr Geheimnis. Merkwürdig, wenn die zündende Musik Lehárs als Füllmaterial eines Dauermonologs herhalten muss.

Das bessert sich zum Glück nach der Pause. Doch Dirk Weiler, der charmante und eloquente Darsteller der Rolle, hätte mit ein wenig mehr Zurückhaltung der Aufführung eine angemessenere Prise Pfeffer geben können. Ansonsten bemüht sich Wissmann um eine temporeiche, teilweise grell überdrehte Inszenierung, die im Wesentlichen die Grenzen des Klamauks meidet. Sie führt den Zuschauer ohne Aktualisierungstendenzen oder sonstige originelle Zutaten solide am Erzählstrang entlang. Durchaus unterhaltsam und gekonnt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dass die gute Laune der Wiener Operette im Vorfeld des Ersten Weltkriegs an einen Tanz auf dem Vulkan gemahnen könnte, interessiert Wissmann nicht. Sie zeigt Lehár pur. Dabei verschenkt sie die Chance auf eine nicht nur amüsante, sondern auch spannende Auseinandersetzung mit Lehár und dem Genre, wie es der Deutschen Oper am Rhein jüngst mit dem Graf von Luxemburg gelungen ist.

Foto © Pedro Malinowski

Wenn die Produktion trotz frivoler Männerscherze, gackernder Frauenzimmer und flotter Tanzeinlagen unterkühlt wirkt, ist das dem aufwändigen, aber durchweg dunkel gehaltenen Bühnenbild von Britta Tönne zu verdanken. Es fehlt an nichts: weder an einer ins Nirgendwo führenden Freitreppe noch an üppigen Kronleuchtern. Mit Farbe klotzt lediglich Kostümbildner Andreas Meyer. Die Bühne bleibt meist bedeckt und bewahrt die Produktion vor oberflächlichem Revue-Glimmer. Und in diesem Umfeld kann man auch wahrnehmen, wie sehr sich die Regisseurin um ein individuelles Profil jeder der zahlreichen Figuren bemüht. Qualitäten, die freilich immer wieder durch überflüssige Moderationstexte zerredet werden.

Dass man die Operette in letzter Zeit so ernst nimmt, dass etwa die Düsseldorfer Oper für den Graf von Luxemburg sogar Weltstars engagiert, ist eine erfreuliche Tendenz, die dem Genre gut tut. Auch Gelsenkirchen kocht nicht auf kleiner Flamme. Generalmusikdirektor Rasmus Baumann erklärt die Operette zur Chefsache und animiert die Neue Philharmonie zu einem üppigen, geradezu symphonischen Klang.

Anke Sieloff bringt ihre gleichermaßen große Stimme und Erfahrung in die Titelpartie in und präsentiert eine differenzierte Rollenstudie, der es weder an Temperament noch an Melancholie fehlt. Michael Dahmens Danilo überzeugt vor allem durch seine Natürlichkeit, bei der ihm auch sein warmer Bariton zugutekommt. Zu den besten Leistungen zählt zudem Bele Kumbergers Valencienne. In die Herzen des Publikums singt sich mit dem jungen Ibrahim Yesilay in der Rolle des verführerischen Camille ein Tenor mit geradezu heldischen Qualitäten, dem ein großes Repertoire zur Verfügung stehen und von dem eine ebensolche Karriere zu erwarten sein dürfte. Prächtig die von Stefan Eberle einstudierten Chöre.

Das Publikum findet großes Vergnügen an der insgesamt etwas unausgegorenen Produktion, die nicht zu den besten Lehár-Inszenierungen der letzten Zeit gehören dürfte.

Pedro Obiera