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Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Georges Pauly

Aktuelle Aufführungen

Sympathisches Gangster-Milieu

FRANKIE BOY
(Sara Örtel/Erich Sidler)

Besuch am
9. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Deutsches Theater Göttingen

Brandy, cigarettes and kisses – man könnte glauben, das seien die Grundnahrungsmittel der Musiker und Gangster, der Huren und kleinen Mädchen, die in dieser Musikshow ihr unterhaltsames Unwesen treiben. Der Musikagent im feinen Zwirn, der Gangsterboss standesgemäß im Frack oder weißen Smoking, mit Zigarre und Sonnenbrille auch in der Bar, zwei Mafiosi im Gefolge. Alle Zutaten des meist doch sympathischen Gangster-Milieus sind in dieser bunten Mischung aus Träumen, Gerüchten, Märchen und Mythen und manchmal einer kleinen Prise Realität locker vermischt.  Anlässlich des 100. Geburtstags von Frank Sinatra im Dezember 2015 erinnert das Deutsche Theater Göttingen an diesen Meister des swingenden Entertainments. Sie widmet einem der Großen der Showgeschichte, den Kenner „zu den wichtigsten Sängern des 20. Jahrhunderts der Popmusik“ zählen, eine eigene Musikshow. 

Frank Sinatra, in der Szene einfach „The Voice“, mit bürgerlichem Namen Francis Albert Sinatra, stammt aus einer italienischen Einwandererfamilie. Zwar bringt er es nicht vom Tellerwäscher, aber doch vom Barsänger zur internationalen Showgröße und zum Millionär, und wird so ebenfalls eine Verkörperung des amerikanischen Mythos: If I can make it there, I'm gonna make it anywhere.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Diese vielseitige, schillernde Figur des Showgeschäfts zu füllen, fällt dem jungen Sänger und Darsteller Moritz Schulze in der Göttinger Inszenierung noch schwer, es fehlt ihm vor allem im ersten Teil an jener Leichtigkeit und Lässigkeit, die jeden Auftritt von „The Voice“ kennzeichnet. Allerdings darf man Schulze gern bescheinigen, dass er stimmlich dem Original-Frankie gut gewachsen ist, wie er bei einigen Ohrwürmern, viele von Cole Porter komponiert, gekonnt zeigt. Das swingt, wenn You'd be so nice und When you´re smiling ertönt. Schade, dass einige der richtigen Reißer wie Strangers in the Night, New York, New York, Chicago oder My way fehlen, da sie aus späteren Shows stammen. Eigentlich klingt Schulzes Stimme in Volumen, Klangfarbe und Intonation besser als das Original, und mit dieser Rolle dürfte Schulze sich für das Musicalfach bestens empfohlen haben. Aber wer sich einmal Mitschnitte von Frankie Boys Soloauftritten oder von Shows mit Dean Martin und Sammy Davis jr. gemeinsam im legendären Rat Pack – Rattenmeute – angehört hat, wird erleben, wie diese Entertainer ihr Publikum mit ihren Songs nicht nur bestens unterhalten, sondern mit ihm souverän und lustvoll spielen. Um solch eine Lockerheit und Sicherheit zu erreichen, muss man wohl eine Showgröße sein. In den weiblichen Rollen bringen Katharina Uhland als Ava Gardner, Sinatras zeitweiliger Ehefrau, und Andrea Strube in der Doppelrolle der Connie Haines und Marlene Dietrich Schwung auf die Bühne.

Audiobeitrag mit Michael Frei, dem musikalischen Leiter der Aufführung - Foto © Georges Pauly
Hier kommen die auf dem Bild zu sehenden Figuren und das © Copyright des Fotos hin

Dramaturgin Sara Örtel und Intendant Erich Sidler fügen ihrer Inszenierung einige biografische Mosaiksteine bei, die das bunte Leben von Frankie Boy ein wenig illustrieren und bühnenreif ausschmücken. Dabei geht es meist um Alkohol, Contracts, also Dollars, Girls und die Frage, ob Sinatra nun mit der Mafia oder doch nicht ... Ob es die zwei Mafiosi sind, der Bandleader Tommy Dorsey, die teils schrillen Figuren der Marlene Dietrich und Ava Gardner oder der überragende Diener, sie alle bringen weitere sehr unterschiedliche Farbtupfer in dieses bunte Gangster-Gemälde, das munter und unverkrampft zwischen Fantasie und Realität changiert.

Da sich fast alles um die Sängerkarriere des jungen Frankie Boy dreht, spielt die Musik eine tragende Rolle. Der „Simply Swing Society“ unter Michael Frei genügen dazu acht Musiker, um Swing und Jazz auf die Bühne zu bringen, dass es eine Freude ist. Wenn man sich den lässigen Entertainer Frank dazu fantasiert, kann man sich vorstellen, dass es bei einigen seiner Auftritte zu Massenhysterien gekommen sein soll.

So weit geht das Göttinger Publikum dann doch nicht. Das überraschenderweise mehrheitlich silberhaarige Publikum lässt sich offensichtlich gern in die eigene Swingtime zurückversetzen und bedankt sich mit lang anhaltendem Beifall für einen unterhaltsamen Musikabend, an dem The Voice offenkundig wieder einmal den richtigen Ton getroffen hat.

Horst Dichanz