Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Werner Kmetitsch

Aktuelle Aufführungen

Liebestrank im schicken Loft

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)

Besuch am
24. September 2016
(Premiere)

 

 

Opernhaus Graz

Der Mond wird langsam größer und nimmt bald fast den gesamten Hintergrund ein, als Isolde Mild und leise ihren Liebestod ergreifend singt: Ein, auch ausgeleuchtet, faszinierendes und versöhnliches Schlussbild von Tristan und Isolde von Richard Wagner zur Saisoneröffnung am Grazer Opernhaus. Von großer Ästhetik ist auch das davor gelegene, schicke Loft mit seinem offenen Kamin, seinem Indoor-Pool und seinem Schlafraum im ersten Stock. In diesem Einheitsbild ohne Hinweise auf ein Schiff oder eine Burg begegnen sich modisch elegant angezogene Menschen und trinken gleich zu Beginn Champagner. Ins Heute haben Verena Stoiber und ihre Ausstatterin Sophia Schneider, die gemeinsam 2014 den Grazer Ring Award gewonnen haben, die zeitlose Liebesgeschichte gehievt, die in Graz schon lange nicht mehr zu erleben war.

Sie zeigen detail- und symbolreich innere Seelenzustände, psychotische Visionen, die Bedrohlichkeit eines immer näher kommenden Waldes. Aber abgesehen davon wirkt ihre Inszenierung nicht immer schlüssig und wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Offenbar als Wunschbild von Isolde liegt von Anfang an ein Kindin einer Wiege, das sich jedoch bald nur als Stoffballen herausstellt. Der Liebestrank wird nicht getrunken, sondern verschüttet. Während des Liebesduetts muss sich Tristan zwischen schwebenden, entwurzelten Bäumen in der Erde wälzen und sich damit bedecken, auch Isolde reibt sich stehend, seltsam distanziert zu Tristan, dabei mit Erde ein. Dann beginnt er wieder stehend einen Hasen zu häuten und über einem Feuer zu braten. Mit völlig archaischen Kostümen erscheinen Marke, einen erlegten Hirsch schleppend, und Melot, die aber nur Tristan und keine Isolde vorfinden. Marke rennt selbst in das gezückte Schwert von Tristan und stirbt, ist aber im dritten Akt wieder dabei. Tristan blendet sich selbst und erscheint im dritten Akt als weißhaariger zitternder Tattergreis im Rollstuhl.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Töne, die aus dem Nichts heraus entstehen, zarte Poesie, eruptive dramatische Ausbrüche: Die dynamische Palette ist allumfassend und raffiniert. Raffiniert auch der Detail-, Nuancen- und Farbenreichtum, die Steigerung der Spannungsbögen. Es ist bewundernswert, welch große emotionale Intensität die Grazer Philharmoniker unter Dirk Kaftan verströmen. Der Dirigent hat sich die ihm besonders liegende Oper ausdrücklich gewünscht und schon in Augsburg dirigiert.

Foto © Werner Kmetitsch

Da können die sängerischen Leitungen nicht ganz mithalten: Beide Titelhelden sind Rollendebütanten. Gun-Brit Barkmin, schon mehrfach als Salome an der Wiener Staatsoper zu erleben, singt die irische Maid mit strahlender Höhe und bemerkenswerter Textdeutlichkeit, kämpft aber hin und wieder mit Kondition und ihren Höhen.  Auch Zoltán Nyári, hier am Haus schon als Paul in Korngolds Die tote Stadt zu hören, stößt in dieser mörderischen Partie in den dramatischen Szenen, insbesondere im dritten Akt auch an seine Grenzen.  Sein Tenor ist aber insgesamt sehr durchschlagskräftig, wenn auch nicht einer der edelsten. Den Vogel schießt aber das Ensemblemitglied Dshamilja Kaiser ab, als ungefährdete, kraftvolle und ausdruckstarke Brangäne. Guido Jentjens singt den Marke nobel, der in der Höhe aber etwas nasal klingt. Markus Butter ist ein markanter, nur manchmal etwas angestrengt wirkender Kurwenal. Ohne Tadel singt Manuel von Senden den Melot ebenso wie der Männerchor des Hauses, dessen Einstudierung Bernhard Schneider besorgte.

Jubel hallt den Solisten und dem Dirigenten mit Orchester entgegen, während das szenische Führungsteam sich auch einige Missfallenskundgebungen anhören muss.

Helmut Christian Mayer