Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Das Schicksal entzieht sich dem Zugriff

DIE MACHT DES SCHICKSALS
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
30. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Hannover

Unter den Opern mit den unwahrscheinlichsten Handlungen liegt Die Macht des Schicksals ganz vorne! Vieles erscheint an den Haaren herbeigezogen und wirkt wie die Parodie ihrer selbst. Die treibenden Elemente der Handlung sind Standesdünkel und Rassismus, blinde Rachsucht und Verführung zum und Folgen des Krieges. 

Regisseur Frank Hilbrich übersetzt viele Situationen der Handlung in Bilder, die der Zuschauer unmittelbar zu Ereignissen der heutigen Zeit in Beziehung setzen kann. So zum Beispiel, wenn der gesellschaftliche Zerfall hinter den Linien des zivilisatorischen Krieges von heute etwa gestrandete Büromenschen mit selbst gemalten Plakaten mit Aufschriften wie „Mehr“, „Burnout“ oder „Kommt noch was?“ ziellos und ohne Hoffnung durch die Szenerie laufen oder warten lässt. In einem anderen Bild werden Kinder in einer obskuren Gaststätte mit Plakaten wie „Frischfleisch“ oder „Jungfrau“ sichtbar, die offenbar in einem enthemmten, gewaltgeprägten Umfeld ebenso wie alles andere käuflich zu erwerben sind.  Nur der einfache Mönch Melitone versucht hilflos, den weiteren Verfall der Verhältnisse aufzuhalten, gerät aber im Zynismus der Masse beinahe unter die Räder.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Heldin des Dramas, Leonore, geistert nach dem durch einen sich aus einer Pistole lösenden Schuss unbeabsichtigten Tod des Vaters, für den sie verantwortlich fühlt, als Obdachlose mit Einkaufswagen und Plastiktüten, die ihre Habseligkeiten beinhalten, durch das Leben. Im Kloster findet sie keine Aufnahme, ihr bleibt nur die geduldete Einsiedelei, ausgeschlossen von aller menschlichen Gemeinschaft. Leonores Bruder verfolgt den Geliebten seiner Schwester und sie selbst mit versteinerter Rachsucht über Jahrzehnte, bis er schließlich in Alter und Habitus wie ein Ebenbild seines alten Vaters erscheint.

Foto © Jörg Landsberg

Die Bilder erschließen sich unmittelbar, das Regieteam kann das alles zum Ausdruck bringen, aber auch die Relevanz der Themen für die heutige Zeit verdeutlichen. Aber ist die Aufführung dieser Oper aus sich heraus wirklich zwingend als inhaltlicher Träger dieser Inhalte?  Es gibt viele Stücke des Theaters und Musiktheaters, die ähnliche Inhalte transportieren, mit weniger disparaten Handlungsmotiven operieren und eine präzisere szenische und emotionale Fokussierung auf diese ohne Zweifel bewegenden Themen ermöglichen.   
Das Bühnenbild von Volker Thiele, die Kostüme von Gabriele Rupprecht und das Licht von Susanne Reinhardt vermögen diese Notwendigkeit ebenso wenig zu verdeutlichen, kreieren Visualisierungen, die uns schon von zahlreichen anderen Umsetzungen ähnlicher Inhalte bekannt sind. Immerhin zieht das Produktionsteam am selben Strang.
Die Sänger sind gut geführt, wenn sie auch teilweise in undankbarem Ambiente wie Don Carlos langes, intensives Suchen von Dokumenten und Briefen aus der Mülltonne oder Leonores Dauerauftritt als Obdachlose verweilen müssen. Sie können sich in den Arien und Ensembles stimmlich gut entfalten – und nutzen diese Möglichkeit auch. Hannover verfügt über die geeigneten Sängerdarsteller für alle Partien: Brigitte Hahn gibt eine wohltönende, hoch-erfahrene dramatische Leonore, Xavier Moreno ergreift durch eine kraftvolle und in den lyrischen Momenten betörende Tenorstimme, die er darstellerisch nachhaltig emotional zu gestalten weiß. Der Don Carlo von Brian Davis vertritt den in seinem Hass erstarrten Bruder Leonores mit kraftvollem Bariton und der Vater Calatrava des Michael Dries bleibt dem Alten nichts schuldig.
Pater Guardiano von Shavleg Armasi kann mit seiner großen und zugleich salbungsvollen Stimme die Reste einer Milde und Wärme gewährenden katholischen Kirche verkörpern. Karel Martin Ludvik wird zwar der Partie des Melitone stimmlich mit Schöngesang gerecht, lässt aber den notwendigen Buffo-Charakter zu kurz kommen.      
Figürlich, schauspielerisch und stimmlich vermag Monika Walerowicz der Preziosilla Gewicht zu verleihen, allerdings kann die Regie mit dieser Figur wenig anfangen und lässt sie in einem buntschillernden, figurbetonten, travestierten Militärkostüm mit Plastikknarre agieren.     
Eine gute Leistung zeigen Chor und Extrachor der Staatsoper unter der Leitung von Dan Ratiu.
Das Orchester spielt einen feinnervigen, sehr exakten und klangschönen Verdi, der immer auch die Sänger stützt – in gewisser Weise im Kontrast zu den kruden Handlungselementen der Oper und ihrer buntscheckigen Umsetzung durch die Szene.
Großer Beifall für alle Beteiligte, mit Bravorufen wird das hingebungsvolle Spiel und der schonungslose Stimmeinsatz von Xavier Moreno gewürdigt, ebenso die Leistung von Brigitte Hahn und des Orchesters. Einstimmigen Beifall gibt es ohne Buhs für das gesamte szenische Leitungsteam.

Achim Dombrowski