Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas M. Jauck

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Lachen und Einsamkeit

DIE VERKAUFTE BRAUT
(Bedřich Smetana)

Besuch am
29. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Hannover

In Hannover wird die Verkaufte Braut in einem imaginierten Rahmenkonzept erzählt, in dem eine fiktive Firma ProLocal den gesamten Opernabend bezahlt und großzügig mit einer Moderation, sprich Werbeveranstaltung, durch den Chefkommunikator der Digitalplattform – Fabian Springer – umrahmt.  Die Firma offeriert das Produkt „Heimat“ und mit dem Partner Shavleg Kezal unter dem Namen „dopfunddeckel.de“ eine Ehevermittlung. Bei der Vorstellung der Firmenprodukte darf unter Bezug auf Heimat und Ehe freundlicherweise auch die Musik von Smetanas Verkaufter Braut erklingen.

Im Rahmen einer kruden, jedes Heile-Welt-Klischee aufgreifenden und durchschaubaren Moderation wird versucht, die Handlung der Oper für die heile Produkt- und Gefühlswelt der Firma passend zu machen. Das misslingt auf komische Weise. Der Marie zugedachte und scheinbar über einen hochkomplexen mathematischen Partner-Algorithmus ausgewählte Wenzel ist vielmehr an der im Conchita-Wurst-Kostüm auftretenden Esmeralda interessiert. Und auch die Wenzel von seinen Eltern Tobias und Almuth Micha aus materiellen Erwägungen zugedachte Marie verweigert sich und will ihrem Hans nahe sein.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Hans ist der verschwundene erste Sohn der Michas, der sich aber zunächst nicht zu erkennen gibt. Er lässt sich unter einem Scheingeschäft seine Marie für 500.000 Euro abkaufen. Dafür wird er später öffentlich gerügt. Er ist so angewidert von moralischen Werten dieser zynischen Gesellschaft, dass er vor der Vereinigung mit Marie und abweichend von der Handlung der Oper wieder das Weite suchen wird. Auch Marie ist gebrochen und kann kein Vertrauen mehr in diese Verbindung aufbauen. Auch sie bleibt enttäuscht allein zurück. 

Foto © Thomas M. Jauck

Die Umsetzung dieser als Verkaufs-Show angepassten Handlung, die gegen die Absichten der Akteure verläuft, und drastisch-komisch, schrullig und immer überdrehter ausgespielt wird, gelingt überwältigend. Sie gelingt nachgerade zu gut. Kein noch so bekannter und billiger Effekt verfehlt den beabsichtigten Lacher oder Applaus des Publikums. Man weiß das auch und amüsiert sich - Adorno würde sagen „gehorcht“- dennoch.

Wenn schließlich in aller manierierter Überdrehung die Mitwirkenden – inklusive der Männer – in „zauberhaften“ Brautkleidern dastehen, um die heile Wirkung der Firmenprodukte zu demonstrieren, ist man endgültig in einer makabren Parallelwelt angekommen. In einer solchen absurd-irrealen Welt erschreckt dann nur kurz die Attacke des als Bären verkleideten, frustrierten Wenzel, der in Videoprojektionen hinter der Bühne Mitglieder des Ensembles mit einer Maschinenpistole ermordet. Der Spuk löst sich auf, sobald der ursprünglich gesellschaftlich verhöhnte Wenzel von seiner Esmeralda aus dem Bärenkostüm befreit wird. Einen Augenblick lang kann man bei dieser gruselig-clownesken Einlage im Bärengewand zwischen scheinbarer und anscheinender Handlung nicht unterscheiden.

Dem jungen Regisseur Martin G. Berger auf der Bühne von Florian Parbs und mit den Kostümen von Sabine Schröder gelingt ein großartiger, ambivalent-unterhaltsamer und verstörender Abend. Nicht geringen Anteil haben die Video- und Grafikeinspielungen von Elana Siberski, Malte Jehmlich und das Licht von Claus Ackenhausen.

Die Umsetzung dieser psychologisch vielschichtigen Handlungselemente erfordert ein Opernensemble mit hohem schauspielerischem Können und Lust am drastischen Ausspielen skurriler Episoden. Das Ensemble in Hannover hat solche ausgezeichneten Darsteller und Sänger durchweg zu bieten.

Dorothea Maria Marx als Marie und Robert Künzli als Hans sind das Liebespaar, das angesichts der Umstände dann doch nicht im Happy End vereint ist. Robert Künzli spielt und singt einen introvertierten Zweifler, auf den sich niemand, auch Marie nicht, in hinreichendem Maße zubewegt, um ihn in ihre Welt einzubeziehen. Marie ihrerseits singt ihre Arie des Liebeszweifels im dritten Akt so bewegend und tief empfunden, dass eine Umkehr – im Gegensatz zur eigentlichen Handlung der Oper – nachgerade folgerichtig aus eigener Kraft nicht mehr erfolgen kann. Das Paar findet sich und seine Heimat nicht.

Tivadar Kiss gibt einen beklemmenden Wenzel, dessen sexuelle Identität er selbst erst finden muss und dessen Not ihn inzwischen auch zu verzweifelten Gewalttaten treiben kann. Sein krampfhafter Auftritt als verzweifelter Stotterer birgt von Anfang an erhebliches Gewaltpotenzial. Der Sänger setzt seine stimmliche Strahlkraft ganz in die Umsetzung dieses eindrucksvollen Charakterportraits.     

Der Schauspieler Fabian Gerhardt gibt einen abgefeimten Vertreter einer alles beherrschenden konsumistischen Welt, die für Geld Schöne-Welt-Klischees verkaufen will, und die eigene Großmutter, wenn es sein muss, gleich dazu.

Auf einer Linie mit hohem komödiantischem Talent Shavleg Armasi als Kezal, der Heiratsvermittler. Aramasi liegt die Partie glänzend in der Stimme und schauspielerisch weiß er seinem Affen Zucker zu geben – er verführt das Publikum zusammen mit dem Conférencier von einem Lacher zum nächsten, auch wenn man die Masche schnell durchschaut.

Das Hannoveraner Ensemble wird durch die Eltern der Marie, gesungen und gespielt von Stefan Adam und Brigitte Hahn, sowie den Eltern von Hans mit Michael Dries und Almuth Herbst gut abgerundet. In den Rollen von Esmeralda und Muff überzeugen Yiva Stenberg und Jan Szurgot. 

Der Chor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Dan Ratiu spielt und singt die vielfältigen Heimatvereine aus dem Hannoveraner Umfeld mit großer Lust. Trotz der Fülle der in diesem Vereinswesen vertretenen Partikularinteressen herrscht noch Frieden in dem bunten Treiben und Singen.

Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover hat zunächst seine Mühe, den mitunter straffen Tempoanforderungen seines Leiters Benjamin Reiners zu folgen, weiß sich aber im Laufe des Abends freizuspielen.

Die Verkaufte Braut in ihrem biedermeierlichen Gestus ist ein Werk, das heute nicht automatisch aktuell erscheint. Ein Opernhaus, das einem sehr jungen Regisseur die Freiheit gibt, eine neue Sichtweise unter Einbeziehung von Elementen eines kommerzialisierten und digitalisierten Kapitalismus im Endstadium umzusetzen, riskiert viel bei dem Versuch, einen solchen theoretischen Wurf mit realen Menschen auf den Brettern einer Bühne zu realisieren. Die potentielle künstlerische Fallhöhe ist hoch. Der Intendant der Oper Hannover, Michael Klügl, konnte es wieder nicht lassen und ging erneut voll ins Risiko: Diesmal hat er wieder haushoch gewonnen – Gratulation und gern mehr Produktionen mit solchen Teams. Wer an der aktuellen Lebensfähigkeit der Verkauften Braut zweifelt, sollte sich diese Produktion ansehen – sie lebt sehr wohl, unsere Braut.

Achim Dombrowski