Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle machen mit bei der Oper im Schweinestall. - Foto © Opernnetz

Aktuelle Aufführungen

Kleines Dorf macht große Oper

DON QUICHOTTE
(Joseph Bodin de Boismortier)

Besuch am
15. Juli 2016
(Premiere)

 

 

Festland, Klein-Leppin

Mitten in der Prignitz, auf dem platten Land zwischen Berlin und Hamburg, liegt Klein-Leppin.  Dank der Initiative des professionellen Geigers Steffen Tast und seiner Frau Christina präsentiert dieses etwa 70-Seelen-Dorf seit über zehn Jahren eine Oper in einem ehemaligen Schweinestall. Dieses Jahr ist es eine Collage um das Thema Don Quichotte von Miguel de Cervantes und der Barockoper Don Quichotte chez la Duchesse von Joseph Bodin de Boismortier. Immerhin wird heuer das 400. Todesjahr des großen spanischen Dichters gefeiert. Grund genug, die Legende des traurigen Ritters sowohl schauspielerisch wie musikalisch aufleben zu lassen.

In der ersten Hälfte geht es erstmal darum, Don Quichotte und seinen Knappen Sancho Panza zu finden. Die Dorfbewohner suchen überall, weil der Ritter wieder einmal Realität und Traum durcheinandergebracht und in seinem Wahn eine Schafherde angegriffen hat, im irrtümlichen Glauben, es wären Feinde. Auch Windmühlen wurden zerstört – wobei das eine besondere Pointe in dieser Gegend ist, da die aufgestellten Windparks in der Bevölkerung auf Widerstand stoßen. Als dann aber der Ritter auch noch eine Gruppe spielender Kinder angreift, wird klar, er hat jeglichen Kontakt mit der Realität verloren.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Voller rührender Einfälle lässt der Puppenspieler Don Pedro seine jungen Darsteller einige historische Desaster aus dem Leben Don Quichottes aufführen. Hierzu muss das Publikum aus dem Schweinestall hinausgehen und erlebt die Szenen auf einer Open-Air-Bühne auf der Wiese. Ein kleines Kammerensemble mit Schülern der Musiklehrerin begleiten die Szenen voller Hingabe. Am Ende des ersten Teils werden lokale Flüchtlinge Don Quichotte und Sancho Panza Unterschlupf und Gastfreundschaft in einer nahegelegenen Waldlichtung bieten. Sie sind es, die ihn so akzeptieren, wie er ist. Auch dem Wanderpublikum wird Gastfreundschaft an langen, gedeckten Tischen mit einfachen, hausgemachten, landestypischen, syrischen Speisen angeboten. Musikalische Untermalung wird von dem syrischen Bariton Bassam Bader geboten, begleitet von Azmat Lubbat auf der Oud, ein traditionelles syrisches Instrument aus der Mandolinenfamilie. Diese Geste der Integration kommt besonders gut in der örtlichen Nachbarschaft an und trägt viel zur gegenseitigen Verständigung bei. Ein junger Syrer liest in holprigem Deutsch die Übersetzung des traditionellen Liedes vor – es geht um Heimweh und Angst, nie wieder die Heimat sehen zu können.

Foto © Opernnetz

Don Quichotte trifft sein Spiegelbild, das er natürlich auch bekämpfen will. Jedoch gehört dem Bass-Bariton Don Quichotte der zweite Teil des Abends. Jetzt wird die Barockoper von Boismortier im ehemaligen Schweinestall aufgeführt. Eng sitzen die Besucher auf dem u-förmigen Stufenbau. Eine kleine Bühne in der Mitte, dahinter das Kammermusikensemble unter der Leitung von Steffen Tast.  Im echten Leben ist er Erster Geiger des Rundfunksinfonierochesters Berlin, und sein Ensemble sind Mitglieder des gleichen Orchesters. Hier arbeiten sie auf freiwilliger Basis, wie fast alle anderen Teilnehmer auch. Die Sänger stammen von der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“, und Christina Tast, eigentlich Innenarchitektin, ist für die Organisation verantwortlich.

Leidenschaft und Engagement werden bei dem ländlichen Verein großgeschrieben.  Es sind die örtliche Bevölkerung, die landwirtschaftlichen Angestellten, die Hausfrauen, Lehrern, Büroangestellten, Musikschüler und Handwerker, die hier monatelang proben, ihre eigenen Kostüme zusammenstellen und sehr viel Spaß dabei haben. Angefeuert von Regisseurin Mira Ebert und ihrem Team, sind alle Dorfbewohner miteinbezogen. An Kreativität und Einfällen mangelt es hier nicht. Da es so gut wie keine Subventionen aus der öffentlichen Hand gibt, sind es die Firmen, Betriebe und Einzelpersonen aus der Region, allen voran die örtliche Sparkasse, die diese zauberhaften Abende einmal pro Jahr ermöglichen.

Längst ist „Dorf macht Oper“ kein Geheimtipp mehr und sogar die Generalproben sind ausverkauft. Besucher aus Hamburg, Berlin und Potsdam sind Stammgäste. Alle haben den Darstellern und deren Engagement frenetisch applaudiert.

Zenaida des Aubris