Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Sterben in Schönheit

WEIßE ROSE
(Udo Zimmermann)

Besuch am
28. Oktober 2016
(Premiere am 22. Oktober 2016)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Die Geschichte der Geschwister Scholl, die mit ihrem Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror ihr junges Leben opferten, geht uns nach wie vor alle an. Ob man der Bedeutung der beiden Studenten gerecht wird, indem man sie zu Helden der Freiheit stilisiert, mag jeder selbst entscheiden. Aus den letzten Stunden der beiden in der Todeszelle eine Oper zu schmieden, birgt die Gefahr, den Kultstaus der Geschwister zusätzlich zu fördern und damit eher das schlechte Gewissen einer ganzen Nation zu beschwichtigen, als den Finger in die Wunde der kollektiven Schuld und Verantwortung zu legen.

Udo Zimmermanns 1986 uraufgeführte Kammeroper Weiße Rose nährt solche Bedenken, insbesondere, wenn man ihr nach langer Zeit in der Kölner Oper wiederbegegnet. Das mit salbungsvollen Zitaten der Nazi-Opfer Dietrich Bonhoeffer, Franz Führmann und Tadeusz Rósewicz ergänzte Libretto und die brillante Inszenierung der jungen Nachwuchs-Regisseurin Niki Ellinidou, erst recht die meist sanft säuselnde Musik Zimmermanns können nicht verhindern, dass das Schicksal der jungen Leute ästhetisch verwässert, wenn nicht gar geglättet am Zuschauer vorbeizieht. So schön kann sterben sein. Daran ändert auch der arg belehrende Schluss-Appell im Geiste Brechts nichts.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Konzept der Kölner Oper, mit dem unverändert aktuellen Stoff junge Leute, vor allem Schüler, ins Theater zu locken und die meisten Aufführungen auf den Vormittag zu setzen, ging zumindest in der dritten Vorstellung überhaupt nicht auf. Ganze 20 erwachsene Zuhörer fanden sich im Staatenhaus 3 ein. Für Berufstätige eine denkbar schlechte Zeit, und der dicht gedrängte Lehrplan im Zug der verkürzten Schulzeit schreckt viele Lehrer ab, zusätzlichen Unterrichtsausfall zu riskieren. Auch ist es fraglich, ob das introvertierte, insgesamt recht spröde Stück dazu angetan ist, Neulinge für die Oper zu begeistern.

Foto © Paul Leclaire

Das mindert nicht die Qualität der Produktion, an der fast alles stimmt und die dennoch einen schalen Nachgeschmack nicht verhindern kann. Für ihr Konzept wurde Ellinidou unter 160 Bewerbungen aus 26 Nationen mit dem Europäischen Preis für Opernregie ausgezeichnet. Und das zu Recht. Die junge Regisseurin überzeugt durch eine außergewöhnliche Sensibilität, mit der sie die beiden Figuren durch das handlungsarme Stück führt. Ohne aufdringliche Effekte entsteht ein intensives Psychogramm der jungen Menschen im Angesicht des bevorstehenden Todes. Es sind schlichte Gesten, Bewegungen und Requisiten, mit denen sie das Stück unter Spannung hält. Eine nackte Glühlampe wird zum Herrscher über Licht und Dunkel, ein Wassertrog zum erquickenden Trostspender. Kein spektakulärer Knalleffekt ist zu erleben, dafür herrschen handwerkliche Perfektion und ein beeindruckendes Einfühlungsvermögen.

Die relativ kleine Bühne im Staatenhaus 3 gestaltet Nefeli Myrtidi kongenial. Ein einfacher schwarzer Kasten mit beweglichen Seitenwänden erweist sich als lebendiger Organismus, der die Figuren entweder zu zerdrücken droht oder sich öffnet und zeitweise an die Freiheit erinnert.

Die meist dezent, doch über weite Strecken auch recht willkürlich und austauschbar gestrickte Klangkulisse der Komposition realisieren Arne Willimczik und 17 Musiker des Gürzenich-Orchesters mit der nötigen Präzision und mit genügend Rücksicht auf die beiden Gesangssolisten. Hier glänzt vor allem die verdiente Sopranistin Claudia Rohrbach als Sophie Scholl mit einer eindringlichen und differenzierten Interpretation der großen und anspruchsvollen Partie. Dass Wolfgang Stefan Schwaiger als ihr Bruder Hans wesentlich blasser wirkt, ist weniger dem Sänger anzulasten als dem Komponisten, der die wesentlichen emotionalen Impulse der Frauenrolle anvertraut.

Insgesamt also eine erstklassige Produktion, die das Publikum mit entsprechendem Beifall bedenkt. Ohne Ovationen, die auch nicht zum Thema passen und den wenigen Besucher zu viel abverlangen würden.

Pedro Obiera