Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Lander

Aktuelle Aufführungen

FLower-Power am Dom

HAIR
(Galt MacDermot)

Besuch am
9. Juli 2016
(Premiere am 17. Juni 2016)

 

 

Theater Magdeburg

Die Musicalproduktionen auf dem Domplatz am Ende der Spielzeit des Magdeburger Theaters sind schöne Tradition geworden. Besonders erfolgreich war die Rocky Horror Show, die gleich zwei Saisons hintereinander gegeben wurde. 2016 steht mit Hair ein weiteres rockiges Kultmusical auf dem Spielplan. Das Bühnenwerk über die Hippie-Bewegung, das die Texter Gerome Ragni und James Rado mit dem Komponisten Galt MacDermot kreierten, sorgte 1967 zunächst am Off-Broadway für Furore, zog ein Jahr später an den Broadway und nur kurz danach nach München zur deutschen Premiere. Die Handlung, die sich aus einer Abfolge von relativ kurzen, aber einprägsamen Songs entwickelt und kaum Sprechtexte aufweist, dreht sich um eine New Yorker Hippiegruppe, der sich der naive, in seinem bürgerlichen Leben verankerte Student Claude anschließt. Sein Versuch, der Einberufung zum Militär zu entgehen, scheitert, und in einem Drogenrausch erlebt er die amerikanische Geschichte als eine Aneinanderreihung von kriegerischen Episoden, die mit dem Kampf gegen die Ureinwohner beginnt und in den Vietnamkrieg mündet. Während einer ausufernden Party wird er von der Militärpolizei aufgegriffen. Das Schlussbild zeigt ihn, wie er im Kugelhagel stirbt.

In der Fassung von Regisseur Erik Petersen spielt Hair auf der Baustelle des World Trade Centers, dessen Grundsteinlegung 1966 tatsächlich kurz vor der Uraufführung des Musicals stattfand. Vor dem Dom hat Jens Kilian ein mehrstöckiges Baugerüst installiert, das überragt wird von einem dahinter aufgestellten Kran. Es bietet eine variabel nutzbare Spielfläche für eine mitreißende Revue aus Tanz, Aktion und optischer Opulenz, die sehr schlüssig die Gegensätze zwischen Establishment und neuer Lebensform vermittelt. Der erste Auftritt der Hippies, von Dagmar Morell wunderbar bunt gemustert eingekleidet, ist rasant. In Bus, Auto und Fahrrad rollen sie auf die Bühne und besetzen die Baustelle, während die bürgerliche Gesellschaft im ersten Stockwerk auf sie herabblickt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Wie eine Collage setzt die Inszenierung die Themen der Hippie-Bewegung zu einem Ganzen zusammen: Freie Liebe, Happenings, Drogenkonsum mit folgendem Trip und gewaltlosen Widerstand gegen die Polizei – das alles zeigen Petersen und die Choreografin Kati Farkas fantasiereich und durch und durch authentisch. Während zunächst die Gruppe in ihrer Gesamtheit dominiert, treten im Verlauf die Individuen immer stärker heraus: Sheila etwa, die von ihrem Liebhaber Berger demütigend abgewiesen wird, was dem Gruppenanspruch nach friedlichem Miteinander widerspricht oder Dionne, die in der Spiritualität nach dem Sinn des Lebens sucht. Kurz vor dem Ende kippt die Stimmung vom fröhlichen Happening ins Tragische: als die Gruppe aus dem Drogenrausch erwacht, ist Claude nicht mehr da. Er steht ihr in Soldatenanzug auf der Publikumstribüne gegenüber und stirbt allein. Zum Finale stellen sich Solisten wie Tänzer an die Rampe und formulieren Wünsche, denen das Bekenntnis nach einer friedfertigen Welt gemein ist. Der mitreißend vorgetragene Schluss-Song Let the sunshine in!  entlässt das Publikum optimistisch in die Nacht.

Foto © Andreas Lander

Für die Besetzung hat das Magdeburger Theater eine Riege beachtlicher Nachwuchskräfte der Musicalszene engagiert, darunter gleich drei Preisträger des Bundeswettbewerbs Chanson. Sie alle demonstrieren, wie hoch das Niveau der jungen Generation in diesem Genre ist. Allen voran Jan Rekeszus, der den Claude mit Leib und Seele verkörpert, dazu sängerisch aus dem Vollen schöpft und damit alle Sympathien für sich gewinnt. Umwerfend präsentiert sich das Solistenensemble, das mit dem Ballett Magdeburg zu einer Einheit verschmilzt. Nedime Ince, Christina Patten, Ana Milva Gomes und Beatrice Reece stürzen sich mit Verve und stimmlicher Power in ihre Partien und sind darstellerisch absolut glaubwürdig. Was sich ohne Abstriche auch von ihren männlichen Kollegen Gil Ofarim und Andreas Bongard sagen lässt.

Der Dirigent Damian Omansen, der auch die neue, gegenüber der originalen Orchesterbesetzung üppigere Instrumentation arrangiert hat, lässt es mit den seitlich postierten Magdeburger Philharmonikern ordentlich rocken und swingen. Einziger Wermutstropfen: nicht immer stimmt die Balance mit den Solisten, da könnte die technische Aussteuerung noch optimiert werden.

Die Besucher der ausverkauften Vorstellung zeigen sich begeistert. Für die nächste Open-Air-Saison ist die West Side Story angekündigt. 

Karin Coper