Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Christian Pogo Zach

Aktuelle Aufführungen

Gehalt fürs Volk

LA CENERENTOLA
(Gioachino Rossini)

Besuch am
4. November 2015
(Premiere)

 

Gärtnerplatztheater
im Cuvilliés-Theater

Nachmittags beginnt der Feiermarathon mit einer Buchpräsentation. Der schließt sich eine Open-Air-Geburtstagsfeier an der Baustelle am Gärtnerplatz an. Aufgrund von Verzögerungen kann das hundertfünfzigjährige Bestehen von Münchens zweitem Opernhaus nicht wie geplant im gerade sanierten Stammhaus begangen werden. Stattdessen wird die Baufassade illuminiert, von Fassadenkletterern bespielt und dient als Leinwand für virtuelle Geburtstagsgrüße. Die Münchner stoßen mit Sekt an, und wenige von ihnen wandern dann in die ausgelagerte Jubiläumspremiere ins Cuvilliés-Theater weiter. Den Abschluss bietet eine intime Hausfeier inmitten der Baustelle, zu der die vielen ehemaligen und heutigen guten Geister des Gärtnerplatztheaters in geselliger Runde zusammenfinden, um den Ruf der Volksoper in die Zukunft zu tragen. Dieses Motto des Hauses wird auch in der Jubiläumspremiere unterstrichen.

Komische Oper hat man sich ausgesucht. Gehalt mit Rossini, Qualität in der Besetzung und Routine in der Inszenierung bedeutet das. Brigitte Fassbaender zeichnet nach Don Pasquale das zweite Mal fürs Gärtnertheater für die Regie verantwortlich. Damit setzt Intendant Köpplinger weniger auf Showbombast wie seine Eröffnungspremieren, sondern auf eine gediegene, gewitzte Produktion, fast auf einen Kammergeburtstag.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Cenerentola erscheint farbenfroh, brav und gewitzt. In quietschbunter Phantasie-Robe von Dietrich von Grebmer entsteigen die bösen Stiefschwestern ihren Kleiderschränken, die viel bespielt als fahrbare Kulisse, Badezimmerattrappe und Spiegelkabinett dienen. Aschenbrödel lebt im heimeligen Kamin, sehr dienstbar und dennoch ihrer traurigen Lage entwachsen. Da kommt der schüchterne Prinz in Chauffeursuniform gerade recht. Eine zarte Liebesgeschichte entspinnt sich, die von treffender Komik konterkariert wird. Fassbaender bleibt ihrem Stil treu und streut nicht überzogene Modernismen in eine per se klassische Produktion. So bleibt der Sportwagen des Prinzen liegen, weswegen die finale Lösung gelingen kann. Zwei Telefone werden aus dem Portal geholt, um die Verschwörerszene aufzurüschen und Don Magnifico bekommt eine klamaukige Duschszene zum Auftritt. Fürs Lokalkolorit sorgt der nicht unbedingt notwendige Gag des Abends. Der Prinz in Gestalt seines Kammerdieners wird zum „Kini“ erhoben und flaniert als Ludwig II. münchentypisch inmitten eines begeisterten Vasallenchores vor der Neuschwansteinkulisse, um im Finale sein Sissi-Brödel in der kitschigen Venusgrotte zugeführt zu bekommen. Das macht ähnlich wie das Eingangskreuzworträtsel zwar keinen Sinn, passt so gar nicht in die Handlung, doch begeistert und gelingt als Effekt. So ernst muss man dieses Aschenputtel eben nicht nehmen. Schon gar nicht im Rahmen der königlichen Geburtstagsparty.

 

Diana Haller als Cenerentola und Arthur Espiritu als Don Ramiro - Foto © Christian Pogo Zach

Ernst zu nehmen ist die Besetzung. Arthur Espiritu gelingt nach Bellini eine gesteigerte Anschlusspremiere. Der Don Ramiro liegt ihm szenisch näher, Fassbaender hat präzise mit ihm gearbeitet, und der Prometheus der Harmonie liefert dem schnörkelsicheren, höhenaffinen und hübschen Tenor das Material, mit dem er glänzen kann. Belcanto ist seine Marge, die er zu füllen und zu verkaufen weiß. Nicht unbedingt körperreich, doch blumig und mit Parfum gelingt die Prinzenpartie. Diana Haller in der Titelrolle gibt eine gestandene Cenerentola und sympathisiert stimmlich wie szenisch mit dem Publikum. Koloratursicher und mit einer sehr warmen, angenehmen Stimmfarbe passiert nicht der oftmalige Rossini-Fehler des schrillen Höhenwettstreits, sondern eine elaborierte und genaue Verkörperung auch in den Nuancen. Ex-Pasquale Marco Filippo Romano nutzt die Rampe als Magnifico, ohne im erneuten Schnellsangmodus Abstriche zu machen. Kraft, Spielfreude und Routine paaren sich erneut zum Publikumsliebling mit Selbstbewusstsein. Rhythmisch gerade am Anfang problematisch und auch später zurückgenommen, enttäuscht der Dandini von Vittorio Prato trotz Kini-Attitüde und wird um Längen von Alidoro István Kovács übertroffen, der hoffentlich häufig ans Haus zurückkehren wird. Das gilt auch für die fast verschenkte, doch in ihrer Trotz-Arie entzückende Merdeces Arcuri, der ebenfalls Rossini-Heldinnen zuzutrauen sind.

Ihrer Damen beraubt, füllen die Chorherren als Diener, Reisegruppe, Königsdiener und Schulklasse die Szene und liefern satten Rossini-Sound unter der Leitung von Felix Meybier.

Bei manchem Sänger aus dem Graben helfend, liefert Kapellmeister Brandstätter mit der Cenerentola und viel leichter Muse seine bisher beste Leistung am Haus ab. In ruhigen Tempi ansetzend, später durchwegs in die Vollen gehend, hält er die Musiker am kurzen Zügel, schleppt nicht und erfreut mit frischen, galanten Märchentönen.

Die Geburtstagsgäste jubeln und freuen sich auf weitere Dekaden dieses vielseitigen, wichtigen Hauses, das für viele Münchner die Liebe zum Musiktheater eröffnet, sie fesselt, bannt und zu treuen „Gärtnergehern“ macht. In einem Jahr dürfen sie dann hoffentlich auch wieder in ihr Lieblingshaus.

Happy birthday.

Andreas M. Bräu