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Aktuelle Aufführungen

Liebe in Zeiten des Hasses - scheinbar unmöglich

LA JUIVE
(Jacques Fromental Halévy)

Besuch am
17. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Staatstheater Nürnberg

Religiöser Fanatismus erzeugt mörderischen Hass. Das ist die Botschaft der Grand Opéra Die Jüdin von Jacques Fromental Halévy. Damit rufen der jüdische Komponist und Librettist Eugène Scribe zur Toleranz zwischen Christen und Juden auf, schonen aber dabei keineswegs die Juden. Im Gegenteil: Die Hauptperson Eléazar scheint zerfressen von unversöhnlichem Hass auf die Christen und Rachegelüsten, opfert dabei Tochter Rachel, das Kind, das er liebevoll aufgezogen hat und das nun wegen der Liebe zu einem Christen in den Tod geht. Dabei hätte er es in der Hand, Rachels wahre Herkunft als Tochter von Kardinal Brogni zu verraten. Doch er gönnt dem Kirchenfürsten dieses Glück nicht; so muss Rachel sterben, Brogni bleibt völlig erschüttert zurück, und auch Eléazar selbst geht in den Tod. Die Geschichte erinnert ein wenig an den Shylock bei Shakespeare oder an Lessings Nathan. Dennoch wirkt diese Oper von 1835 durch den pessimistischen Schluss ganz anders. Sie stellt die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten der Verständigung zwischen Religionen und deren Konsequenzen in den Mittelpunkt.

Dass Regisseurin Gabriele Rech das Geschehen weg vom Konzil in Konstanz 1414, wo die Handlung laut Textbuch eigentlich angesiedelt ist, näher an unsere Zeit rückt, in die 30-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und in den beginnenden Faschismus, angedeutet durch den an Goebbels erinnernden Auftritt des Bürgermeisters und die öffentliche Ächtung eines christlich-jüdischen Paares vor der Kathedrale, soll dem Ganzen weitere Brisanz verleihen, ist aber eigentlich nicht so deutlich nötig. Die Inszenierung fügt weitere gedankliche Anspielungen auf aktuelle Ereignisse hinzu, wenn sie vorne rote Kerzen brennen lässt, rote Nelken niedergelegt werden oder wenn die beiden Liebenden Schilder hochheben, auf denen „Je suis Chrétien“ oder „Je suis Juive“ steht. Der Hinweis auf Terror, ausgelöst durch religiösen Alleinvertretungsanspruch, steckt ohnedies im Stück. Auch andere szenische „Belebungen“ scheinen etwas plakativ, wollen wohl den Gang der Handlung plausibler machen. Durch die starken Kürzungen von etwa fünf Stunden Dauer auf erträgliche drei samt Pause prallen viele Kontraste aufeinander, bedürfen manchmal der Erklärung. Das ist auch bei Halévy so gewollt. Schon der Beginn ohne Ouvertüre mit dem Te deum zu Orgelmusik vor dem Kirchenportal und der Tribüne für das Volk in Alltagskleidung von Gabriele Heimann lässt das gedrängt Spannungsvolle spürbar werden. Im zweiten Akt beim Pessachfest im großzügigen Haus des jüdischen Juweliers Eléazar herrscht dagegen eine eigentlich friedliche Atmosphäre. Sie wird jedoch durch das Geständnis der Liebe Rachels zu dem Christen Leopold gestört. Am Ende deuten Fackeln vor den Fenstern an, was später mit dem Haus passiert. In seinen verbrannten Ruinen lässt Bühnenbildner Dieter Richter den vierten Akt spielen, was einen krassen Gegensatz zum dritten Akt mit der scheinbar hellen, scheinbar heilen Welt des Festes bei Leopold und Eudoxie bietet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Bei aller effektvoller Dramatik ist es auch musikalisch nicht verwunderlich, dass Halévy mit dieser Oper im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert so großen Erfolg hatte; in Paris wurde sie annähernd 600 Mal gegeben, bis sie durch den zunehmenden Antisemitismus in den 1930-er Jahren abgesetzt wurde. Auch in Nürnberg war das ähnlich; die Oper wurde ab 1840 bis 1933 oft aufgeführt. Nach dem Krieg stand sie in einer zunächst unbefriedigenden Fassung ab 1994 wieder auf dem Spielplan. Seit 1999 aber wird sie allenthalben wiederentdeckt, benötigt jedoch ein großes Haus zur Realisierung. Das liegt auch an den hohen Anforderungen an das sängerische Potenzial.

Foto © Ludwig Olah

Im Nürnberger Opernhaus steht nun unter Tarmo Vaask ein Riesenchor für die Volksszenen zur Verfügung, natürlich verstärkt durch Gäste; und er erfüllt schon eingangs mit dem Te deum und dem mitreißenden, jubelnden Hosanna alle Erwartungen an einen runden, ausgewogenen Klang.

Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Guido Johannes Rumstadt darf in süffigem Melodienschmelz baden, lässt sich dabei oft viel Zeit; aber die genussvolle Zelebrierung musikalischer Schönheiten gehört eben auch zur Grand Opéra, ebenso wie gesangliche Raffinesse und stimmliche Brillanz. Halévy hat damals für Stars geschrieben, und auch heute noch bewältigen nur große Könner die anspruchsvollen Partien. In Nürnberg kann man sehr zufrieden sein mit dem Gebotenen.

Da gibt Jens Waldig einen stimmgewaltigen Albert, muss aber einäugig daherhumpeln, während Kay Stiefermann als unerbittlich harter Bürgermeister Ruggiero in grauer Faschisten-Uniform vor allem mit seinem mächtigen, etwas trockenen Bass imponiert. Nicolai Karnolsky zeichnet den mächtigen Kardinal Brogni menschlich und versöhnlich, bewegt sich allerdings dabei wenig seinem Amt angemessen; er bewältigt aber mit seinem großen, schwarzen Bass mühelos selbst die tiefsten Tiefen und lässt auch Wärme und fast mutlose Verzweiflung aufscheinen. Banu Böke als freundlicher Prinzessin Eudoxie hätte man dagegen einen etwas helleren, in den Verzierungen beweglicheren Sopran gewünscht; bei aller Wärme in ihrer runden Stimme wirken die Höhen doch eher angespannt. Uwe Stickert, der Reichsfürst Leopold inkognito und feige christliche Liebhaber, steht als ein recht passiver Mann auf der Bühne; sein großer, heller, etwas flacher Tenor hat in den herausgeschleuderten, glänzenden, höchsten Höhen imposante Momente. Der Jude Eléazar ist für jeden Tenor eine Riesenherausforderung; Luca Lombardo muss einerseits den frommen Juden und fürsorglichen Vater darstellen, andererseits wird er innerlich zerrissen von unversöhnlichem Hass. Und er muss sich messen lassen an großen Vorbildern, vor allem bei der herrlichen, aber extrem schweren Arie Rachel, quand du Seigneur; Lombardo gestaltet sie mit seinem kernig hellen Tenor überzeugend voller Trauer und inneren Zweifeln, aber auch mit spürbarer stimmlicher Anstrengung, ansonsten gefällt er mit Ausdrucksstärke und dramatischen Höhepunkten. Der Glanzpunkt der ganzen Aufführung aber ist Leah Gordon als Rachel. Nicht nur, dass die Sopranistin eine ganz starke Frauenfigur liefert mit vielen emotionalen Facetten, sie singt auch wunderbar. Ihre kraftvoll runde, von innen her strahlende Stimme hat eine schöne, satte Tiefe, gestaltet die langen Linien ungeheuer variabel, kann sanft bitten wie auch dramatisch verzweifeln und schwingt sich unangestrengt zu herrlich lichten Höhen auf. Einfach Klasse!

Das Premierenpublikum im nahezu voll besetzten Haus ist von ihr hingerissen, feiert aber auch alle übrigen Mitwirkenden mit langem, jubelndem Beifall.

Renate Freyeisen