Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Stephan Walzl

Aktuelle Aufführungen

Intrigen mit Charme und Witz

AGRIPPINA
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
15. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Oldenburgisches Staatstheater

Wer glaubt, der ältliche Kaiser Claudio habe nun endlich durchschaut, was Agrippina mit ihm und ihrem hoffnungsvollen Sohn Nerone im Schilde führt, der sieht sich und Kaiser Claudio getäuscht: Agrippina, Claudios Gattin und Berufsintrigantin, hat immer noch und immer wieder eine Karte im Ärmel, gibt nie auf, ihren verspielt-verschlafenen Sohn  doch noch auf Claudios Thron zu bringen. Ihre Winkelzüge reichen locker aus, um über gut drei Stunden drei Akte Bühnenhandlung mit viel gesungener Selbstreflexion, Verwechslungen, Verstrickungen und Verblendungen zu füllen. Die mit den Göttinger Händelfestspielen koproduzierte Inszenierung von Laurence Dale mit einer Bühnenausstattung von Tom Schenk und Kostümen nach Entwürfen von Robby Duiveman erweist sich als Glücksfall für die Oldenburger Oper, deren Ensemble darstellerisch und musikalisch alle Chancen nutzt, um dem aufmerksamen Premierenpublikum ein ausgesprochenes Opernvergnügen zu servieren.

Tom Schenk versteckt die Darsteller mal hinter einem silbrig glitzernden bühnenhohen Vorhang, mal verwirrt er die Zuschauer mit zahllosen Spiegelungen der attraktiven Poppea, mal sieht sich das Publikum in einem barocken Theater – bis es sich selbst und das eigene Theater im Spiegelbild auf der Bühne erkennt – überraschend, originell und witzig zugleich. Das Bühnengeschehen dreht sich um den Kaiserthron, den Schenk schlicht als hölzernes Sitzmöbel in die Mitte der Bühne stellt. Die fantasievollen Kostüme unterstreichen plastisch den Charakter der Figuren.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Da erscheint die listenreiche Agrippina als drohend schwarzes Ungeheuer, ihr Sohn Nerone als aus der Konvention fallendes, ungezogen-unreifes Bürschchen, der Wunschlover Ottone trägt deutliche Christuszüge, und der Noch-Kaiser von Rom, Claudio, schwankt, oft dick überspielt, zwischen dem erfahren-gütigen Herrscher eines Großreiches und dem nahezu senilen alten Mann, dem die Wirklichkeit längst abhandengekommen ist. Poppea, mit leichter Tunika und tiefem Dekolleté  als Blondine feurig ausgestattet, hat keine Schwierigkeiten, gleich mehreren Herren den Kopf zu verdrehen. Und doch wären alle Rollen, Darsteller unzureichend charakterisiert, nähme man nicht ihre musikalisch-sängerische Leistung hinzu.

Foto © Stephan Walzl

Nina Bernsteiner als Agrippina beeindruckt mit einem äußerst wandlungsfähigen Sopran, sie vermag ohne erkennbare Mühe dieser vielseitigen Figur die Wärme echter Zuneigung, den verhaltenen Schmerz einer frischen Witwe oder die zynische Kälte der herzlosen Intrigantin zu verleihen. Hagar Sharvit, Mezzosopran, gibt dem unfertig-schlaksigen Nerone die erwünschte Unsicherheit, und Martyna Cymermans Sopran kann die Poppea mal als verliebte Verführerin, mal als machtbesessene Konkurrentin erscheinen lassen. João Fernandes, Bass, gibt mal den Herrscher und befehlsgewohnten Kaiser, mal den weichen Gebieter, oder, mit leicht brüchiger Stimme, den der Welt fast entrückten, altgewordenen Herrscher. Wenn er auf der Bühne steht, beherrscht er, zurückhaltend oder trotzig bestimmt, die Bühne, eine herrlich zwiespältige Figur. Leandro Marziotes Ottone gewinnt erst im Laufe des Abends sein Profil, bis sein Countertenor seinen Klang gefunden hat. Erst im dritten Akt gelingt ihm, das Profil seiner Figur, die in Kostüm und Auftritt an den leidenden Gekreuzigten erinnert, klarer herauszuspielen. In den Nebenrollen des Pallante, Narciso und Lesbo überzeugen Aarne Pelkonen, Bariton, Yulia Sokolik, Mezzosopran und Ill-Hoon Choung, Bass, mit guten gesanglichen Leistungen.

Jörg Halubek hat mit dem Kern des Oldenburgischen Staatstheaters ein versiertes Orchester zur Verfügung, dem die barocke Musik hörbar Freude bereitet. Die Streichergruppe wird ergänzt durch gleich drei Langhals-Lauten, die einen feinen Rhythmus sicherstellen und den fröhlichen Tanzcharakter vieler Stücke betonen.

Wenn Kaiser Claudio schließlich doch noch die passenden Paare findet und sie zusammenführt, er auch noch das Früchtchen Nerone als seinen Nachfolger akzeptiert, steht dem harmonischen Schlussauftritt aller Beteiligten und dem ironisch-augenzwinkernden Abschied von den Zuschauern nichts mehr im Wege. Die lassen nach einem rundherum gelungenen, niveauvoll unterhaltsamen Opernabend erst nach langem herzlichen Beifall die Akteure ziehen, die mit überzeugendem Können und erfrischender Spiellaune gezeigt haben, wie nahe Händels Dramma per musica einer komischen Oper kommt. Die Koproduktion mit den Händelfestspielen Göttingen hat sich künstlerisch und für die Zuschauer bestens bewährt.

Horst Dichanz