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Kulturmagazin mit Charakter

Foto ©Bartłomiej Barczyk

Aktuelle Aufführungen

Menschen im Hotel

MACBETH
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
21. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Teatr Wielki Poznań

Die Brüsseler Oper La Monnaie gilt als eine der innovativsten Musiktheaterbühnen Europas, für die viele maßgebliche Regiearbeiten entstanden. Die Kooperation mit dem Teatr Wielki in Poznań, die Intendantin Renata Borowska angestoßen hat, ist demzufolge ein besonderer Coup für das polnische Haus. Der Auftakt im Februar, das Gastspiel von Janaceks Jenŭfa, eine der dichtesten Inszenierungen von Alvis Hermanis, war vielversprechend. Der zweite Streich gilt nun Verdis Macbeth, der in Poznań zur Eröffnung der neuen Spielzeit nur wenige Wochen nach der Brüsseler Premiere herauskommt.

Für Olivier Fredj, als Assistent von Robert Carsen mit kühnen Inszenierungen vertraut, ist die Shakespeare-Vertonung die zweite eigenverantwortliche Opernarbeit.Die erste,Mozarts Pastorale Il re pastore,für das Pariser Théâtre du Châtelet 2014 kreiert, siedelte er im Weltraum an – den Fotos zufolge eine aberwitzige Sience-fiction-Show. An Ideen mangelt es auch seiner Interpretation von Macbeth nicht. Im Interview äußert er allerlei über Psychoanalyse, Träume, vom Bezug zu Kinofilmen, zu Sigmund Freud, dem französischen Neurologen Henri Laborit und über vieles mehr. Auf der Bühne spiegeln sich die konzeptuellen Überlegungen in einer visuell überbordenen, assoziationsreichen Kollage wider.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Schon beim Vorspiel werden schlafende Personen, Hirnhälften und surreale Figuren auf einen Vorhang projiziert. Wenn er sich öffnet, schaut man in einen nach hinten offenen Saal, der sich später als Hotelhalle entpuppt. Das Chorkollektiv sitzt auf einer Tribüne im Hintergrund und bestimmt einen Mann dazu, den Macbeth zu spielen. Doch was als Theater im Theater beginnt, geht nahtlos über in ein psychoanalytisches Traumspiel.

Foto ©Bartłomiej Barczyk

Es findet statt in einem Grandhotel, das Fredj gemeinsam mit Massimo Troncanetti und Gaspard Pinta mit Plüsch und modernem Chic entworfen hat. Mobiliar, wie ein Rundsessel mit einem Aufsatz in Form eines Hirns oder Projektionen von Nervenzellen auf die Seitenwände stellen einen medizinischen Bezug her. Macbeth, Hotelbesitzer oder -gast, hat Ängste, Übermachtfantasien, Obsessionen. Die Lady dagegen ist handfest und zupackend und dazu stolze oder nur eingebildete Mutter, wie ein allgegenwärtiger Kinderwagen suggeriert. Doch was die Beziehung des Paares ausmacht, interessiert Fredj offenbar weniger. Er konzentriert sich auf die Hexen, die als omnipräsentes Hotelpersonal das Geschehen dominieren: Es sind Tänzer, von Frédéric Llenares in extravagante Bediensteten-Kreationen gesteckt, die die Oper zu einer grotesken Revue umfunktionieren, was zum Vorteil hat, dass die sonst meist gestrichene Ballettmusik gespielt wird. DieChoreografie von Dominique Boivin verquirlt munter Modenschau, Slapstick, Travestie mit ein bisschen Sex, nur Beklemmung löst sie nicht aus.

Dafür gelingt Fredj ein packendes Finale. Die Oper lässt er im Original mit dem Tod von Macbeth enden, das für Paris eingefügte Chorfinale ist gestrichen. Doch in der Aufführung stirbt er nicht, sondern ordnet sich wieder in die Chormenge ein. Die schickt Malcolm, den Königssohn, ins Rund. Das Spiel beginnt aufs Neue.   

GMD Gabriel Chmura dirigiert einen etwas pauschalen, dynamisch wenig ausdifferenzierten Macbeth. Der von Mariuz Otto einstudierte Chor ist meistens an die Seiten, ins Off oder in den Hintergrund verbannt. Seine große Stunde schlägt beim Flüchtlingschor, der im Parkett und Rang aufgeteilt gesungen wird und besondere Wirkung erlangt, weil er durch keine Aktion abgelenkt wird.

Es spricht für die Präsenz von Kristina Kolar und Dario Solari, sich gegen die Überaktion des tanzenden Hotelpersonals zu behaupten. Die Sopranistin ist eine in Stimme und Statur imposante Lady. Ihre eindringlich gestaltete, introvertiert gesungene Nachtwandelszene ist eine der stärksten des Abends. Der Bariton gibt dem Macbeth starkes Profil, charakterisiert ihn als Getriebenen, von Ängsten Gepeinigten und ist zudem prächtig disponiert. Rafał Siwek singt den Banco mit profunden Bassfarben. Piotr Friebe hingegen fehlt es als Macduff an italienischem Schmelz.

Großer Applaus und viele Bravorufe, insbesondere für die Tänzer, im fast ausverkauften Teatr Wielki.

Karin Coper