Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Martina Pipprich

Aktuelle Aufführungen

Zeitlos martialischer Kampf

VEREMONDA,
L'AMAZZONE DI ARAGONA

(Francesco Cavalli)

Besuch am
29. April 2016
(Premiere)

 

Ein Mann in schwarzem Glitzerfummel und Gummistiefeln öffnet ein Eisentor, gefolgt von einem weiteren Mann, der nicht weniger tuntig wirkt. Sie stellen Sonne und Abenddämmerung im Stile der Comedia dell´arte dar, aber im Gewand des 21. Jahrhunderts. Später kommen weitere allegorische Darstellungen hinzu, die die Vendetta verkörpern, aber auch Amore und Furore im Gothic-Punk-Stil. Das wirkt wie ein Spagat zwischen spritzigem Theaterwitz und Realo-Drama. Die Irritation ist gewollt. Damit beginnt Veremonda, l'amazzone di Aragona zum Auftakt der Schwetzinger Festspiele.

In der Schau von Regisseurin Amélie Niermeyer erlebt das Publikum die dreiaktige Oper als ein der Zeit enthobenes, bedrückend bedrohliches, martialisches Schauspiel. Mauren gegen Christen liefern sich einen erbitterten Kampf. Die Kostüme von Kirsten Dephoff und die dreiseitige bewegliche Bühnenwand aus Wellblech und schwerem Eisentor von Stefanie Seitz lassen jeden zeitlichen Bezug zu. Im Zentrum steht ein in differenzierten Charakterzeichnungen und Emotionen feinmaschig aufgefächertes Drama menschlicher Beziehungen von Männern in Frauenkleidung und Frauen mit angemalten Männerbärten und in Männerhosen, die täuschen, lügen und betrügen und damit aufheben, was sich nach Mann und Frau, Freund und Feind, rechts und links des Wassergrabens, der die Bühne in der Mitte durchschneidet, sortieren ließe.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

König Alfonso von Aragon führt mit der maurischen Königin Zelemina Krieg. Seine Truppen belagern ihre Festung von Gibraltar. Weil Alfonso aber lieber die Sterne beobachtet, greift seine Gattin, die einstige Amazonenkönigin Veremonda, zum Schwert. Doch nicht blutige Schlachten führen zum Sieg, sondern eine List. Alfonsos oberster Feldherr Delio pflegt ein Verhältnis mit der schönen Zelemina. Das wird ihr zum Verhängnis. Triumphierende Sieger gib es in diesem Szenario aber nicht.

Foto © Martina Pipprich

Als Francesco Cavalli 1652 diese Oper komponierte, war er bereits der berühmteste Opernkomponist Italiens. In drei Jahrzenten seines Opernschaffens mit über 42 Werken löste er die venezianische Oper im Geiste Claudio Monteverdis aus dem Kontext des mythologischen Zaubertheaters und entwickelte ein realistisches Intrigendrama. 1892 beschrieb der Musikwissenschaftler Hermann Kretschmar in einer Studie Cavalli als leidenschaftlichen Dramatiker, ausdrucksmächtigen Musiker und Schöpfer von Liebes- und Klagegesängen von unmittelbar ergreifender Wirkung. Dennoch vergaß ihn die Nachwelt sehr schnell.

Mühevolle Archivarbeit war nötig, um ihn wieder zu entdecken. Davon berichtet der britische Musikwissenschaftler Raimond Leppard. Bei der Beschäftigung mit Monteverdis Krönung der Poppäa Anfang der 1960-er Jahre stieß der Barockforscher per Zufall auf eine Handschrift des Monteverdi-Schülers Cavalli. Damit begann die Wiederbelebung. Bis heute sind es Handschriften und zum Teil sehr spärlich ausgeführte dazu, die die Musikforscher beschäftigen und den Bearbeiter in ihnen herausfordern. Das gilt auch für Veremonda.

Wendy Heller wurde sprichwörtlich zur Archäologin, als sie sich auf Cavalli konzentrierte. Das Ausgangsmaterial für Veremonda bildeten zwei Libretti und eine Partitur in einer kaum lesbaren Handschrift, in weiten Teilen nur generalbassnotierte Rezitative mit vielfach überklebten Passagen und Papierschnipseln und seitenweisen Streichungen, die darauf hindeuteten, dass Änderungen auf der Tagesordnung standen. Das schafft auch Freiheiten.

Von einem überaus kreativen fünfwöchigen Entstehungsprozess berichtet Amelie Niermayer. Gemeinsam mit dem Barockspezialisten und Dirigenten Gabriel Garrido bearbeitete sie Hellers Vorlage ganz in der Tradition der Entstehungszeit. Es wurde gestrichen, neue Teile im Stile Cavallis hinzugefügt und auf eine Besetzung übertragen, die den Ursprungsklang in Abstimmung auf die akustischen Verhältnisse im Schwetzinger Opernhaus nachempfindet. Der Continuo-Part wurde auf Harfe, Laute und Gambe übertragen und in einen historischen Klangapparat eingebettet, besetzt mit dem Ensemble Concerto Köln, das diese Klangwelt vorzüglich beherrscht und alle geforderten Stimmungen unter der Leitung von Garridos Assistent Andrés Locatelli überaus differenziert und klar ausmusziert.

Auch bezüglich des vierzehnköpfigen Solistenensembles beweist man sehr gutes Gespür für charakterlich individuelle, virtuos agierende, dabei nicht minder expressiv wie klangschön gestaltende Stimmen unter Extrembedingungen. Denn Niermeyer schreckt nicht vor tumultartigen Szenen und massivem Handgemenge zurück. Matthias Rexroths Gesänge auf der Leiter als verträumter König Alfonso mit dem Blick zum Himmel gerichtet geraten zu musikalischen Sternstunden. Netta Or belebt die Titelpartie mit energiegeladenem Temperament und besticht durch ihre Agilität und Disziplin. Mit wundervollen Liebesweisen in zauberhaft schlichter Innigkeit begeistert Alexandra Samouilidou als Zelemina. So wendig, wie die Rolle es ihm diktiert, gibt sich Lawrence Zazzo als Delio auch stimmlich.

Nach dreieinhalb Stunden bekräftigt das Publikum mit stehendem Applaus seine Begeisterung. Nur drei weitere Aufführungen wird es während der Schwetzinger Festspiele geben. Dann wird Veremonda als Koproduktion im Staatstheater Mainz zu sehen sein.

Christiane Franke