Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Micke Sandström

Aktuelle Aufführungen

Erlösung, die keine sein darf

PARSIFAL
(Richard Wagner)

Besuch am
27. Februar 2016
(Premiere am 5. Oktober 2013)

 

 

Königliches Opernhaus Stockholm

Das königliche Opernhaus in Stockholm hat in den letzten Jahren seine traditionelle Verbindung mit Richard Wagner durch Neuinszenierungen intensiviert. Unter den Schweden gibt es eine große Wagner-Gemeinde, wie das ausverkaufte Haus beweist. Christof Loys Regiekonzept zum letztem Werk des Komponisten, dem Musikdrama Parsifal steckt voller Ideen und Einzelbilder, die sich dem Zuseher nur schwerlich als Gesamtheit erschließen.

Zu Beginn des ersten Aktes befinden wir uns in einem holzgetäfelten Raum, wie eine gute Stube mit Blick ins Grüne – Bühnenbild von Dirk Becker. Gurnemanz erscheint in Mönchskutte, und die Novizen pflanzen Kräuter, die vermutlich der Heilung Amfortas‘ dienen sollen. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen von Gralsrittern, Mönchen und vermeintlichen Wächtern in der gemütlichen Stube. Die Kostüme von Barbara Drosihn sind hierzu auch nicht stimmig oder aussagekräftig. Kundry marschiert selbstbewusst auf, da platzt auch voluminös Parsifal in bäuerlicher Kleidung mit  schweren Lederstiefeln herein. Zuletzt schleppt sich Amfortas in blauem Umhang, königlich hermelingefüttert, wie Jesus in einem barocken Gemälde herein, die Dornenkrone mutiert zum Lorbeerkranz. Leidend zeigt er seinen Wundverband, der von Kundry dann theatralisch gewechselt wird.  Auf einem Schreibschrank liegt ein großes Buch, in dem immer wieder Eintragungen gemacht werden. Dieses Regierätsel wird am Ende gelöst. Titurel dreht munter eine Runde, verschwindet in einer Kammer und zieht den Vorhang zu. Sein Aufruf an Amfortas und dessen Leidgesang werden wie eine Beichte dargestellt. Zur Gralsszene lüftet sich die Hinterwand zu den mächtig erklingenden Gralsglocken, und wir befinden uns in einer Art Kapitelsaal, der szenisch aber nicht genutzt wird. Wir bleiben am Bühnenrand, und auf einer Bank sitzen ein paar Mönche zum Abendmahl. Zu ihnen gesellt sich mit gesundem Appetit Parsifal, der nicht wirklich etwas zu erkennen scheint. Verwirrend der Auftritt einer modern wirkenden Geschäftsfrau im rosa Kostüm, die auch noch das Alt-Solo als wahrer Fremdkörper singt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Im zweiten Akt bleiben wir in der Stube, die jetzt wie ein Foyer zu einem zwielichtigem Kabarett oder Etablissement wirkt. Klingsor tritt in Frack und Zylinder wie der Theaterdirektor auf und schwingt seinen Spazierstock drohend. Wiederum verwandelt sich die Bühne, diesmal in ein barockes Theater mit Dekoration wie im exotischen Regenwald, in dem die Blumenmädchen zufrieden hausen und ihre Reize singend und auf Fußspitzen tanzend zeigen. Parsifal reckt sich genießerisch in deren Mitte, bis Kundry wie eine alte Mutter mit grauen Haaren und langem hochgeschlossenen Kleid dazwischenfährt.  Ohne Erotik und wirkliche Spannung kommt es zur Konfrontation mit Klingsor. Wiederum barock erfolgt der Bann des Zaubers. Zwei Engel in römischer Legionärsrüstung ergreifen den Speer. Zurück in der Mönchstube, erleben wir die gealterten Mönche im dritten Akt, die harsch ihren leidenden König Amfortas bedrängen, ja regelrecht beschimpfen – die wohl ergreifendste Szene des Abends. Parsifal ist in Ritterrüstung zurück, die lange Haarpracht gestutzt und innerlich geläutert. Völlig unerwartet hebt sich wieder die Rückwand, und wir erleben eine zeitgenössische Alltagsszene in einer Bibliothek mit regem Treiben. Hier treffen wir wieder die Dame aus dem ersten Akt, die wie die Chefbibliothekarin wirkt. Sie verbindet die beiden Handlungsebenen, die nicht wirklich zusammenpassen und holt das große, schwere Lederbuch vom Schreibschrank in der Stube, welches in den Regalen der Bibliothek verschwindet. Genauso unprätentiös verschwinden die Akteure der Handlung in der Jetztzeit von der Bühne. Nur der erlöste Amfortas kauert hilflos zitternd in der Ecke. Erlöst wird am Ende nur das Publikum vom regen Rätselraten in dieser langatmigen Personenregie. Die Macht des Glaubens, die Religiosität ist in dieser Regie als Ausdrucksmittel sehr präsent, aber hat in der Interpretation keine Aussagekraft. Erlösung, zwischenmenschliche Emotionen und der Kampf des Guten gegen das Böse lösen sich am Ende in der Alltäglichkeit auf.

Foto © Micke Sandström

Ohne die wirklich großartige Leistung der Sänger wäre der Abend mühsam, aber so entwickelt sich musikalisch ein Genuss. Allen voran reißt Peter Mattei als Amfortas alle mit und am Ende von den Plätzen. Der Schwede ist weltweit gefragt, aber in seiner Heimat ein geliebter Star. Wortdeutlich, hingebungsvoll lyrisch und  dramatisch in seinem Leid und seiner Verzweiflung gestaltet er Amfortas zu einem Charakter mit Ecken und Kanten bis in den Todeskampf. Sein Bariton hat südliche Fülle und nordische, sonore Masse. Mit seiner großgewachsenen Statur wird er auch zur königlichen Autorität. Dem folgt Thorsten Grümbel als Gurnemanz. Intelligent verteilt er seine Kräfte auf den Abend, ist präsent, seine Stimme bleibt ausgefeilt und flexibel geschmeidig bis ans Ende. Nur selten wird er vom Orchester gedeckelt. Michael Weinius braucht als Parsifal seine Anlaufzeit und kommt am Ende strahlend heldenhaft mit weichem Tenor heraus. Trocken, ab und an überdehnt meistert Katarina Dalayman ihre Kundry, die nicht wirklich als femme fatale überzeugen muss. Das gelingt John Erik Eleby als Klingsor. Die Zweideutigkeit und Rätselhaftigkeit der Rolle arbeitet er mit seinem schauspielerischen Talent gut heraus. Die Farben und Breite seiner Stimme, die sowohl im Volumen als auch in allen Lagen sicher wirkt, tun das Übrige.

All dem folgt Lawrence Renes frisch und unbekümmert in seinem Dirigat. Über den Abend entwickelt er seinen eigenen Wagner-Klang, klar in der Aussprache, ohne Schnörkel oder romantische Ausschmückung. Dafür lässt er es laut erklingen, schon in der Ouvertüre werden die Zuhörer wachgerüttelt, aber es bleibt unaufdringlich und spannend. Hervorgehoben werden muss die Leistung des Chores unter der Leitung von James Grossmith. Erwartungsgemäß füllen die kräftigen, dunklen, nordischen Männerstimmen das kleine schmucke Opernhaus bis zum andächtigen Erzittern.

Das Publikum zollt begeistert und stehend mit viel Freude lautstarken Beifall. Die Reise in den Norden lohnt sich, um anspruchsvolles Musiktheater zu erleben.

Helmut Pitsch