Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Gihoon Kim, Bariton, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover - Foto © Opernnetz

Wettbewerb

Der Friseur haut alle um

Traditionell endet die Maritim-Musikwoche mit dem Finale des Musikpreises. Selten allerdings hat man bei einem Gesangswettbewerb einen solch überragenden Gewinner erlebt. Und das kam auch am Timmendorfer Strand ziemlich überraschend.
Johanna Will, Sopran, Hochschule für Musik und Theater Hamburg. - Foto © Opernnetz

Es ist und bleibt sein großer Abend: Auch in diesem Jahr präsentiert sich Rainer Wulff, Wettbewerbsleiter und Vorsitzender der Jury, wieder als glänzend vorbereiteter, humorvoller und souveräner Moderator des Finales. Aber an diesem Samstagabend im Maritim-Seehotel stiehlt ihm für wenige Minuten ein jüngerer die Schau. Gihoon Kim ist gerade mal 25 Jahre alt und kommt aus Südkorea. Der Bariton studierte Gesang an der Yonsei-Universität in Seoul, ehe er sein Master-Studium an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover begann. Im Halbfinale trug er Ich trage meine Minne von Richard Strauss und Hai già vinta la causa, die Arie des Grafen Almaviva aus Le nozze di figaro von Wolfgang Amadeus Mozart, vor. Das war – nun, es reichte, ins Finale zu kommen.

Für den Wettbewerbsabschluss erlegte ihm die Jury durchaus Anspruchsvolles auf, bekanntermaßen Chance und Fluch zugleich. Wie Todesahnung … Oh du, mein holder Abendstern lässt Richard Wagner den Wolfram im Tannhäuser singen. Gihoon Kims Interpretation gelingt unter der Klavier-Begleitung von Jaeeun Um durchaus achtbar. Diese Klippe nimmt er ordentlich. Allgemeine Erleichterung. Entspannung. Da kann er jetzt noch eben die Kavatine des Barbiers Largo al factotum aus Gioacchino Rossinis Il barbiere di Siviglia vortragen, und dann ist alles gut. Das kennt man. Da hat das Publikum Spaß, wenn es auch nur halbwegs gelingt, kein allzu großes Risiko.

Aber hoppla, was ist das? Ein Koreaner mit Mimik, ein Koreaner, der sich auf der Bühne bewegt? Nein, das ist kein Koreaner. Das ist ein italienischer Friseur, wie ihn nur Rossini erdacht haben konnte. Un barbiere – di qualità! Herrlich verschmitzt. Jede Bewegung sitzt. Die Akzente so gesetzt, dass sie größtmögliche Komik im besten Sinne entfalten. Da braucht es kein Bühnenbild. Gihoon lässt die Piazza gleich vor dem geistigen Auge mitentstehen. Nein, keine Piazza, die ganze italienische Lebenswelt. Die italienische Oper ersteht wieder auf aus den Ruinen verstaubter Repertoire-Vorstellungen und zeigt ihren goldenen Glanz. Dann noch mal diese kurze, intelligent gesetzte Pause vor dem letzten della città. Voluminös und herzerfrischend schließt der Sänger ab. Aufnahmen von Leo Nucci oder Thomas Hampson bieten nicht die Hälfte von dieser Italianità. Köstlich. Der Publikumspreis ist ihm sicher. Den Förderpreis hat er selbstverständlich gewonnen. Und mit acht von neun Stimmen erhält er auch den Ersten Preis des Gesangswettbewerbs.

Überzeugender kann man nicht aus einem Wettbewerb hervorgehen. Was auch immer davon bleiben wird – an diesem Abend hat das Publikum am Timmendorfer Strand nicht weniger als eine Sensation erlebt.

Am Ende bleibt Zufriedenheit

Die allgemeine Begeisterung erfasst das Publikum, darunter Professoren der vertretenen Hochschulen, Sponsoren und die Jury. Der Publikumspreis wird irgendwann später der guten Ordnung halber ausgezählt – allein der Papierstapel schafft schon nach Gewicht sofortige Klarheit.

Neidlos anerkennen das auch die zweiten und dritten Preisträgerinnen. Marina Medvedeva steigert sich noch einmal deutlich zum Halbfinale vor allem mit der Arie der Tirésias Non, Monsieur mon mari aus Les mamelles de Tirésias von Francis Poulenc, indem sie mit einem kleinen Trick ihre Brüste platzen lässt und damit die sehr eigenwillige Komik des französischen Komponisten unterstreicht. Und die 25-jährige Johanna Will gewinnt mit dem Lied an den Mond von Rusalka den dritten Platz.

Erstmalig in diesem Jahr müssen sich die vierten bis sechsten Plätze mit der Finalisten-Rolle begnügen. Ob sich der Strategiewechsel der Wettbewerbsleitung von der gleichmäßigen Verteilung der Sponsorengelder auf die Konzentration auf die vordere Hälfte bewähren wird, muss die Zukunft zeigen. Dominique Caron, Intendantin der Eutiner Festspiele, geht einen anderen Weg, wenn sie ihren Preis – Engagements bei den Festspielen – drittelt und damit auch einen zu wenig beachteten Bass, Yannick Spanier aus Herford, der den Weg ins Finale nicht geschafft hat, zu Recht zurück ins Rampenlicht holt.

Der Künstlerische Leiter der Musikwoche, Hermann Rauhe, lässt sich nicht davon beirren, dass sein Programm im Hotel visuell nicht erfahrbar ist. Aber er hat zwei Spleens. Der Ehrenpräsident der Hamburger Musikhochschule, der inzwischen 87 Jahre alt ist, lässt es sich nicht nehmen, immer noch die Stufen zur Bühne außer Acht zu lassen und den Podest mit elegantem Schwung zu erklimmen. Und er besteht darauf, dass nach erfolgtem Finale gemeinsam gesungen wird. Es gehört im doppelten Sinn zum guten Ton, dass er am Flügel die Melodie vorgibt. Ob es unbedingt Stille Nacht, heilige Nacht sein muss, sei dahingestellt. Aber während die Bässe der Jury brummen, Finalisten und Publikum sich einmischen und sich die silberhelle Stimme von Milana Butaeva darüber erhebt, entsteht für einen Moment diese wunderbare Gemeinschaft, die alle Beteiligten eint und in eine harmonische Weihnachtszeit entführt. Man mag das für eine Marotte halten, aber es sorgt für Momente des Seelenfriedens.

Michael S. Zerban