Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Stefan Kühn

Hintergründe

Sand im Getriebe

Wer einen Schauspieler zum Intendanten kürt, darf sich nicht wundern, wenn er großes Theater bekommt. Während der Intendant der festen Überzeugung ist, dem Wohle des Theaters mit Selbstaufgabe zu dienen, wachsen die Zweifel in der Stadt.
Generalintendant Karl M. Sibelius - Foto © privat

Es ist immer das gleiche Spiel. Kündigt der amtierende Intendant seinen Abgang an, wird ein neuer gesucht, der dem altehrwürdigen Stadttheater neuen Glanz verleiht, längst überfällige Veränderungen bewirkt, dem Haus endlich die überregionale Bedeutung verleiht, die ihm seit vielen Jahren zusteht. Doch, mon dieu, wehe der neue Intendant – angekündigt als Heilsbringer und versehen mit allen Versprechen dieser Welt – beginnt, etwas zu verändern. Dann knirscht es plötzlich im Getriebe der Bürgerschaft. Das liebgewonnene Ensemble entlassen, bloß, weil es rechtlich möglich ist? Frevel. Das Abonnementsystem verändern? Da müsste die Lastschrift geändert werden. Ein Sakrileg. Und eine neue Ästhetik verschließt wohl das Himmelstor für alle Zeiten. Erfahrene Intendanten, die lediglich einen Ortswechsel ihrer Aktivitäten vollziehen, wissen das und halten sich fern von derart einschneidenden Veränderungen. Nur Heißsporne, Blender, Visionäre und Wahnsinnige trauen sich, das bestehende System in die Luft zu sprengen, um dann etwas völlig Neues aufzubauen. Und stoßen auf den erbitterten Widerstand aller derjenigen, die zutiefst überzeugt wissen, dass sie das Theater retten müssen. All das ist bekannt und wiederholt sich wie ein Perpetuum mobile, das es bekanntlich nicht gibt.

Die Stadt Trier hat sich auf das Wagnis eingelassen, ihr Theater einem – bleiben wir vorläufig bei dem Begriff – Revolutionär anzuvertrauen. Die ewigen Klagen des früheren Intendanten ob der maroden Zustände des Theaterbaus und der permanenten Unterfinanzierung leid, sollte jemand mit „frischen Ideen“ sie aus dem Dilemma führen, ungewöhnliche Wege inklusive.

Karl M. Sibelius ist in Bregenz geboren, in Kärnten aufgewachsen. Nach Abitur, Studium von Schauspiel und Gesang in Wien, Kulturmanagement in Zürich, promovierte ihn die Kunstuniversität Linz zum Doktor der Philosophie. Als Intendant am Theater an der Rott im niederbayerischen Eggenfelden findet er Beachtung in der überregionalen Presse. Im vergangenen Jahr beendet er das Engagement vorzeitig und hinterlässt das Theater mit einem prognostizierten Minus von mehr als einer Million Euro. Tatsächlich waren es dann nach Angaben von Sibelius 150.000 Euro.

In Trier ist nicht nur das Theater heruntergewirtschaftet. Auch eine vielfältige Medienlandschaft gibt es auf dem Papier nicht mehr. Der Volksfreund ist die einzig verbliebene Tageszeitung. Pflichtgemäß wird da auch über die Ereignisse am Theater berichtet, ohne übertriebenes Engagement. Der ewige Konflikt einer Tageszeitung zwischen der freundlichen Darstellung der Stadt und kritischer Begleitung der Ereignisse in ihr ist weitgehend zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst. Als „Ergänzung“ sieht Eric Thielen seinen Blog Trier-Reporter. Hier werden die Vorkommnisse schon mal eher kritisch aufgespießt. Thielen hat vor etwa 20 Jahren selbst als Redakteur beim Volksfreund gearbeitet, ehe es ihn in die weite Welt hinauszog. Über Stationen wie die Bild-Zeitung oder den Spiegel kam er als Medienberater wieder zurück in die Heimat. Dort betreibt er seinen Blog mit einem Kollegen, ehrenamtlich. Zwischenzeitlich – von Juni bis Oktober vergangenen Jahres – übernahm er in freier Mitarbeit die Pressearbeit des Theaters in der Eröffnungsphase. Das Angebot einer Festanstellung seitens des Intendanten allerdings schlug er nach eigenem Bekunden aus, weil die Höhe des Honorars nicht ausgereicht hätte, sein bisheriges Einkommen auszugleichen. Einvernehmlich, so ist zu hören, trennten sich die Wege von Intendant und Journalist wieder.

Haltlose Vorwürfe oder investigativer Journalismus?
Eric Thielen betreibt den Blog Trier-Reporter. - Foto © privat

„Gewisse Kräfte in unserer Stadt, AfD, Politiker, denen auch die Art, wie wir Theater machen, nicht gefällt, wollen sägen. Vielleicht ist jemand anderer das nächste Opfer, was ich vermute. Der Kulturdezernent? Ich durchschaue es nicht. Ich kann nur sagen, wir machen hier seriöses, tolles Theater. Und dann werden gewisse Problemstellen, die man immer hat bei einem Wechsel, aufgeputscht und völlig unseriös und einseitig dargestellt.“ Mit diesen Worten reagiert Intendant Sibelius auf Artikel, die im Trier-Reporter erschienen sind. Generalintendant, wie Sibelius in den ersten Amtstagen immer wieder betont hat. Formal richtig, schafft er damit keine Sympathie. Egal, wie viele Sparten das Theater hat, der Leiter des Hauses ist in Trier der Intendant, und zwar mit höchstem Respekt. Der neue Theaterleiter sieht sich nun mit etlichen Vorwürfen konfrontiert. Thielen legt dabei eine Vehemenz an den Tag, dass sich die Frage stellt, ob hier jemand einen Rachefeldzug inszeniert. „Nein, das ist kein Rachefeldzug. Ich wollte eigentlich auch nichts über das Theater schreiben, damit eben genau dieser Vorwurf nicht auftauchen kann“, sagt der Journalist. „Aber in den letzten Wochen sind die Beschwerden so massiv geworden und auch an mich herangetragen worden, dass ich etwas machen musste.“ Das Ergebnis seiner Recherchen hat er in der vergangenen Woche unter den Titeln Theater Trier – Das Minus-Haus und Theater Trier – Abmahnungen, Kündigungen, Abfindungen veröffentlicht. Wie so oft in den Führungsetagen der Theater, nehmen auch Sibelius und sein Leitungsteam die Publikation nicht wirklich ernst, denn es steht ja nur im Internet. „Wir sind gestern zusammengesessen, haben diskutiert, dann haben wir beschlossen, wir reagieren gar nicht darauf. Wir schreiben keine Gegendarstellung. Gar nichts. Wir sind auf dem richtigen Weg“, berichtet Sibelius. Da irrt er gründlich.

Denn was Thielen da zusammengetragen hat, hat es in sich. „Ein Millionen-Loch für das Jahr 2015, überschrittene Budgets und teure Produktionen im laufenden Jahr, dazu ein Intendant, dessen Gehalt höher liegt als das des Oberbürgermeisters und der sich zusätzlich Gagen als Sänger und Schauspieler bezahlen lässt: Das Theater Trier steht nach zehn Monaten unter der Leitung von Karl Sibelius mehr denn je mit dem Rücken zur Wand“, schreibt Thielen und gibt damit eine recht verworrene Gemengelage vor. Sibelius hält dagegen, er habe mit Altlasten aus dem Vorgänger-Budget zu kämpfen, ein sonst übliches Übergangsbudget sei nicht gewährt worden. Dementsprechend habe er sich die geplanten Ausgaben in Höhe von satten 275.000 Euro für das Musical Jesus Christ, Superstar vom Kulturdezernenten, Thomas Egger, SPD, genehmigen lassen. Auf die Frage, ob er mit Zusatzgagen für den Intendanten nicht das falsche Signal setze, zeigt Sibelius sich selbstbewusst. „Weil ich einfach weiß, wenn du nichts kriegst, bist du nichts wert. So einfach ist das. Und unterm Strich fahre ich immer noch günstiger, als wenn ich einen Gast hole. Ich muss ja nicht spielen.“

In der Öffentlichkeit wird das nicht so gern thematisiert, aber es ist durchaus üblich, dass der Intendant für „Zusatzleistungen“ wie Inszenierungen oder Auftritten am eigenen Haus ein zusätzliches Honorar empfängt. Auch der Umstand, dass das Gehalt des Intendanten höher ist als das des Oberbürgermeisters, ist keineswegs so ungewöhnlich, wie es sich bei Thielen anhört. Wobei ein tatsächlicher Vergleich immer noch aussteht. Denn wenn der Intendant seine Aufgabe beendet, enden auch die Bezüge. Wenn der Oberbürgermeister aufhört, darf er sich in der Regel auf eine hübsche Pension freuen. Man mag der Logik Sibelius‘ folgen – oder nicht. In seinem Vertrag sind die Zusatzzahlungen nicht geregelt. Gleichwohl wirft der Fall die allgemeingültige Frage auf, ob solche Luxus-Verträge angesichts sinkender Leistungen der Häuser noch zeitgemäß sind. Wenn sich viele Häuser inzwischen eher als Wirtschaftsunternehmen verstehen und auch so aufführen, anstatt ihre Position als gesellschaftsimmanente Institution zu festigen, warum bekommt ein Intendant dann Zusatzleistungen vergütet? Beim Vorstandsvorsitzenden ist so etwas mit dem üppigen Salär abgegolten.

Der Vorstandsvorsitzende bekommt stattdessen Erfolgs-Boni, wird hier so mancher Intendant einwenden. Einverstanden. Wenn der Intendant beispielsweise eine vorher festgelegte Auslastung übersteigt, könnte man über eine Belohnung nachdenken. In Trier braucht man sich derzeit darüber keine Gedanken zu machen. Thielen spricht von 20 Prozent Zuschauerrückgang, Sibelius relativiert auf zwölf Prozent. Egal, wer mit welcher Rechenmethode näher an die Wahrheit kommt: Den wenigsten Intendanten gelingt es, unmittelbar nach Amtsantritt die Zuschauerzahlen zu halten oder gar nach oben zu treiben. „Wir haben bei den Studenten einen Riesen-Zuwachs“, gibt Sibelius an, wenn er auch nicht verrät, um welchen Preis und wie der Zuwachs in Zahlen aussieht.

„Wir sind auf dem richtigen Weg.“

„Die Intendanzsekretärin war hoch eingruppiert. Sie ist in Pension gegangen. Ich habe die ehemalige Pförtnerin, eine total taffe Frau, genommen. Da haben wir Potenzial. Ich habe gesagt, ich brauche eine, die meine Termine managt. Und können vielleicht für die Differenz einen Künstler mehr einstellen“, erzählt der Intendant. Solche Entscheidungen stoßen – wohl nicht nur in Trier – auf Irritation. Die Pförtnerin als bessere Intendanzsekretärin? Überhaupt scheint Sibelius kein glückliches Händchen in Personalfragen zu haben. Im Trier-Reporter werden einige Fälle aufgelistet, die schon recht abenteuerlich klingen. Auffällig ist, dass der Intendant im ersten Überschwang Dinge zu versprechen scheint, die später so nicht eintreffen. Das führt nicht nur zu Unmut, sondern auch zu verschiedenen Gerichtsverfahren und Abfindungszahlungen. Allerdings liegen hier die Wahrnehmungen der beiden jeweiligen Parteien oft sehr weit auseinander, so dass der Eindruck entsteht, als würden hier Einzelfälle, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, aufsummiert. Einigkeit besteht allerdings darin, dass Sibelius und sein Schauspieldirektor, Ulf Frötzschner, nicht miteinander können. Ein Schauspieler als Intendant mit sehr eigenen Vorstellungen, der einen Schauspieldirektor mit ebenfalls sehr eigenen Vorstellungen einstellt. Kann das gutgehen? In Trier jedenfalls scheint es nicht zu funktionieren. Dass es da zu Kollateralschäden kommt, ist eigentlich vorauszusehen.

Bei allen Personalquerelen ist Sibelius davon überzeugt, dass die nicht über ein am Theater übliches Maß hinausgehen. Er spüre, wiederholt er fast gebetsmühlenartig, den starken Rückhalt seines Teams im Theater. Trotzdem werden ihm gerade die Personalfragen noch eine ganze Weile nachhängen. Eben hat die Künstlervereinigung an ihn als Mitglied dieser Vereinigung gerichtet, in dem sie ausführliche Fragen zu seinem Personalgebaren stellt. Ob art but fair sich selbst mit dieser Öffentlichkeit dient, sei dahingestellt. Nötig war das sicher nicht, denn Karl Sibelius ist nicht der Mann, der solche Briefe unter den Tisch fallen lässt, wenn sie ihn erst mal in seinem Büro statt auf Facebook erreichen.

Auch wenn der neue Mann in Trier sich kommunikativ zeigt und bemüht ist, auf Einzelfragen nachvollziehbare Antworten zu finden, ist ihm klar, dass es in der Stadt rumort. Und dass das dem Theater – und letztlich ihm – nicht förderlich sein kann. „Wir gehen diesen Weg weiter. Wir müssen noch offener kommunizieren. Aber wir brauchen auch Menschen, die uns zuhören“, formuliert er das weitere Vorgehen. Denn dass es weitergehen wird, steht für Sibelius fest. „Ich bin ein totaler Kämpfer, und ich gebe nicht auf. Weil ich weiß, dass das, was wir machen, wichtig ist für die Stadt.“

Möglicherweise steht aber nicht nur Kampf an, sondern sind auch Korrekturen in der Kommunikation angebracht. Während für den vergangenen Samstag eine Kulturausschuss-Sondersitzung über sieben Stunden angesetzt war, freute sich der Intendant auf einen Workshop. Und dann schien es mit der Kommunikation doch noch geklappt zu haben. „Wir hatten soeben einen Workshop Finanzen mit dem Kulturausschuss der Stadt. Der Ausschuss hat sich eindeutig zu mir und meiner Arbeit bekannt. Ich bin sehr erleichtert“, berichtet er zum Tagesende.

Karl Sibelius, so entsteht der Eindruck, hat einigen Menschen gewaltig vor den Kopf gestoßen. Ob er diesbezüglich seinen Führungsstil oder seine soziale Kompetenz überprüfen will, muss er für sich selbst entscheiden. Die Trierer Bürger und Politiker haben sich entschieden, einen Querulanten, Künstler, möglicherweise einen Visionär zu beauftragen, ihr Theater aufzumischen und zu neuem Glanz zu führen. Das geht nicht in einem Jahr. Weniger Aufgeregtheit und mehr Interesse an dem, was im Theater statt außenherum passiert, könnte helfen.

Und die Moral von der Geschicht‘? Wie gut, dass es die Internetmedien gibt, die von den Bürgern längst viel ernster genommen werden als von den Führungsetagen. Hier findet mehr Unabhängigkeit statt, als im Kopf der Tageszeitung gedruckt steht. Und gerade deshalb müssen sich diese Medien stärker ihrer Verantwortung bewusst werden. Sibelius jedenfalls kündigt Gegendarstellungen von verschiedenen Seiten an.

Michael S. Zerban