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KOMMENTAR

Mai 2015


 


 

zurück       Leserbrief

Ist alles schon bezahlt

Eine gute Idee: Eine zentrale Plattform für Opernliebhaber und solche, die es noch werden wollen, zu schaffen. Sie ist nicht neu und wurde schon oft verwirklicht. Es gibt im Internet eine ganze Reihe von publizistischen Angeboten, die versuchen, möglichst umfassend über die Welt der Oper oder besser des Musiktheaters zu berichten. Ihnen allen ist in all ihrer Unterschiedlichkeit eines gemein: Sie werden privat finanziert und stehen in gesundem Wettbewerb zueinander. In Zukunft mischt die Europäische Union mit.

Opera Europa bezeichnet sich selbst als Berufsverband der Opernhäuser und Festivals in Europa. Der Verband mit Sitz in Brüssel gibt an, 155 Mitglieder zu haben. Der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft beträgt 2.700 Euro. Dieser stolze Betrag dürfte dafür sorgen, dass nicht gleich jeder, der sich für Erhalt und Weiterentwicklung der Oper interessiert, die Beitrittserklärung unterschreibt. Ist vielleicht auch gar nicht gewünscht.

In diesen Tagen macht Opera Europa mit einer neuen Plattform im Internet von sich reden. Der Anspruch: „Die Seite soll der Anlaufpunkt sein, die auf Oper in Europa neugierig sind. Wir haben gesehen, wie die European Opera Days viel öffentliche Sichtbarkeit für unser Metier geschaffen haben, indem wir uns auf Wochenenden der offenen Tür konzentriert haben. So soll auch diese neue Platform erhebliches neues Interesse daran schaffen, die Welt der europäischen Oper auf einer einzigen, massgebenden Website zu entdecken … 24 Stunden am Tag, in Deutsch, Englisch und Französisch.“ Angeboten werden Übertragungen von Opern im Internet „gratis, live und on demand“. Der Fernsehsender Arte stellt dazu Ressourcen bereit. Ressourcen, die längst von den Steuerzahlern über die Rundfunkzwangsgebühren bezahlt sind.

Opera Europa macht kein Geheimnis daraus, dass auf der neuen Plattform publizistische Inhalte angeboten werden sollen. „Der redaktionelle Inhalt wird massgeblich dazu beitragen, die Platform als wichtigsten Anlaufpunkt für europäische Oper zu etablieren. Der Inhalt wird aber breiter gefächert sein, um ein vielfältiges Publikum anzusprechen. Es wird Hintergrundinformationen in kürzeren Formaten geben, z. B. Videos, Texte, Photos, Musik, detaillierte historische Informationen über einzelne europäische Opernhäuser, ein Archiv ausgewählter Inszenierungen, Interviews mit führenden Künstlern und Zugang zu Manuskripten in Musikbüchereien.“

Das ist nicht ganz so neu und einzigartig, wie es vielleicht klingt. Seit vielen Jahren gibt es ein breites publizistisches Angebot im Internet, das Menschen für die Oper begeistern will. So unterschiedlich und vielfältig diese Angebote im Einzelnen sind, sie sind allesamt privat finanziert und stehen in einem gesunden Wettbewerb zueinander. In der Gesamtheit begeistern sie Monat für Monat hunderttausende Besucherinnen und Besucher für das Thema. Die Europäische Union macht jetzt Schluss mit diesem Wettbewerb. Im Rahmen des Creative Europe Programme überweist sie Millionenbeträge, um die Website von Opera Europa zu finanzieren. Ist also nix mit gratis bei Opera Europa, sondern alles teuer bezahlt mit Steuermitteln.

Ein unausgegorenes Projekt noch dazu. Zu viele Fragen bleiben offen. Was eigentlich werden diese kostenlosen Live-Übertragungen bewirken? Schon jetzt beeilen sich die Betreiber der Site zu versichern: „Dabei zu sein, ist doch schöner.“ Bei dem Projekt nicht mit dabei sind übrigens kleinere Häuser wie etwa Stadttheater, die durch solche Übertragungen weiter aus dem Wettbewerb gedrängt werden könnten. Wer eine Traviata aus Madrid für lau im Internet sehen kann, geht anschließend in sein Stadttheater, um sie dort noch einmal zu sehen? Weil er oder sie sein oder ihr Ensemble so sehr liebt, dass er oder sie nicht kennt? Es bestünde auch durchaus die Möglichkeit, dass die EU Millionen ausgibt, damit ein paar Freaks sich ihre Opern auch noch im Internet anschauen können. Verlässliche Prognosen über die Besucherzahlen dieser Website gibt es nicht. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Begeisterung des Publikums für Live-Übertragungen im Internet sich in deutlichen Grenzen hält. Dem könnte man entgegenhalten: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Danach muss die EU auch mal Gelder bereitstellen, um sich, um die eigene Kultur weiter zu entwickeln. Einverstanden. Aber bitte nicht zu Lasten bestehender oder sich entwickelnder Wettbewerbe – denn die treiben die Entwicklung bekanntermaßen sehr viel schneller voran.

Das Thema Video-Streaming wurde bislang in der Branche heiß gehandelt. Geschäftsmodelle wurden ebenso diskutiert wie technische Lösungen. Diesen Wettbewerb hat die EU kurzerhand eingestellt. Dass ihr das mit den bereits existierenden publizistischen Angeboten zum Thema Oper ebenfalls gelingt, ist eher unwahrscheinlich. „Angst habe ich keine, wir dürfen nur unseren Stil nicht ändern. Eine von Opernhäusern erstellte Webseite muss unkritisch sein, wird sich auf Ankündigungen beschränken – und das tun, was wir ohnedies nicht können: Opern-Direkt-Übertragungen zur Verfügung stellen. Ich denke nicht, dass uns Leser untreu werden, die neue Site ist eine Ergänzung“, ist Anton Cupak, Herausgeber des Neuen Online-Merker, sicher. Und Peter Bilsing, der den Opernfreund herausgibt, lehnt sich erst mal zurück. „Es gab auch in der Vergangenheit immer mal wieder Leute, die versucht haben, uns das Wasser abzugraben. Von denen spricht heute niemand mehr“, berichtet er aus der Erfahrung der zurückliegenden Jahre. Freilich gab es unter diesen Wettbewerbern bislang auch niemanden, der gleich mit einem Millionen-Etat der EU und der von Zuschauern finanzierten Unterstützung des Fernsehsenders Arte und seinem Know-how aufwarten konnte.

Ob das Publikum sich von solcher Großmannssucht wirklich beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten. Die deutsche Opernlandschaft jedenfalls trägt diese Skepsis. Gerade mal die Komische Oper Berlin und die Oper Stuttgart beißen mit in den großen Kuchen. Es könnte sein, dass es unter dem Zuckerguss von Arte und EU durchaus Bitterstoffe gibt, die einem den Geschmack ganz schön vergällen können.

Michael S. Zerban, 8.5.2015

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Nicholas Payne hat gut lachen. Der
Direktor von Opera Europa lässt sich
die Website The Opera Platform von
EU und Arte mitfinanzieren.


Der Herausgeber des Neuen Online-
Merker
, Anton Cupak, sieht The Opera
Platform als Werbeseite der großen
Opernhäuser.


Peter Bilsing, Herausgeber von Der
Opernfreund
, ärgert sich über die
Wettbewerbsverzerrung durch die EU,
befürchtet aber für sein Magazin keine
Besuchereinbußen.


Susanne Moser ist Geschäftsführende
Direktorin der Komischen Oper Berlin
und sitzt im Aufsichtsrat von Opera
Europa. Ihr Haus zeigt künftig
kostenlose Opernübertragungen im
Internet.