Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links          Partner von DuMont Reiseverlag  
     

NEWS 

Orchestermusiker der Zukunft


 
 

zurück       Leserbrief

Optimistische Wunderkinder

Ende vergangenen Monats beschäftigten sich Experten und Betroffene in einem Symposium an der Kölner Musikhochschule mit der Zukunft des Nachwuchses in der Orchestermusik. Bei allem Wandel fühlt der Nachwuchs sich gut aufgestellt.

Den Musikernachwuchs hätten die Intendanten, GMD, Orchesterleiter, Repetitoren und andere Entscheider am liebsten: Jung, hoch qualifiziert, erfahren, flexibel bei Ort und Aufgabe – die berühmten Wunderkinder. Die werden wohl verzweifeln bei der Stellensuche, wenn sie solchen Erwartungen begegnen. Sie wissen, dass  jährlich rund 1.000 Absolventen die Musikhochschulen verlassen und sich auf die etwa 150 Stellen stürzen, die frei werden. Aber sie überraschen: Kölner Studenten berichten über eine Umfrage, die sie unter den Ensemblemitgliedern der Jungen Deutschen Philharmonie durchgeführt haben. Danach sind gut  sechzig Prozent der Absolventen zuversichtlich, künftig von ihrer Musik leben zu können. Das beruhigt, denn damit demonstrieren die Musiker zumindest zwei wichtige Eigenschaften, die Grundlage jedes Künstlerdaseins sind: Ein stabiles Selbstvertrauen und einen gehörigen Schuss Optimismus. Beides werden sie brauchen.

Das Bild, das die 150 Besucher des Symposions „Ausbildung, Auswahl und Arbeitsmarkt für Orchestermusikerinnen und -musiker“  Ende Januar in der Hochschule für Musik und Tanz in Köln erfahren, zeigt viele unscharfe Stellen. Die Vertreter von Verbänden, Gewerkschaften und Hochschulen, Intendanten, Dirigenten und Studierenden sowie Gäste aus dem Ausland zeichnen den Alltag künstlerischer Berufe aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Sie alle berichten: Hier ändert sich vieles, ist vieles im Fluss. Die Vorstellungen vom Musiker mit fester Orchesteranstellung, vom GMD, der sich ausschließlich mit dem musikalischen Programm befasst, dem Intendanten, der sich als reiner Künstler und Alleinherrscher seines Hauses sieht, sind vorbei. Und die Zeiten der festlichen Atmosphäre eines Konzertsaales mit angenehm gepolsterten Sitzmöbeln auch. Um ihre Zuhörer und Zuschauer zu erreichen, müssen Theater und Orchester heute in Schulen, in Vororten und Industriehallen auftreten, ein Kammerkonzert in der Gartenlaube, ein Liederabend im Waldpavillon, große Orchesterwerke in einer ehemaligen Eisenschmelzhalle erklingen. Um Don Giovanni zu erleben, gehen Besucher ins Kino oder aufs Achterdeck eines Kreuzfahrers, ein Sonatenabend findet schon mal als Clubkonzert statt. Auftrittsorte und -formen von Musikauftritten ändern sich drastisch – und mit ihnen die Arbeitsbedingungen von Musikern. Selbst diese Veränderungen reichen noch nicht.

Musiker müssen Wirtschaft lernen

Wie einige Tagungsteilnehmer berichten, haben Theater und Orchester längst hierauf reagiert. Diese Kulturinstitutionen werden heute als  Unternehmen betrachtet, die eine planmäßige Unternehmensentwicklung und Personalführung, Managementqualifikationen, Kommunikations- und Sozialkompetenz brauchen. „Das Berufsbild des reinen Künstlerintendanten und `Alleinherrschers` ist ein Auslaufmodell“, befindet Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung. Die Rektoren der Musikhochschulen skizzieren neue Studiengänge, in denen wirtschaftliche Themen ebenso zum Studium gehören wie Aufgaben des Managements, Grundlagen der Marktbeobachtung und Werbung. Ausbildung, Studium und Berufseinführung erweisen sich als entscheidende Schnittstellen für eine individuelle Selbstvermarktung. Beste musikalische Fähigkeiten reichen offenbar nicht mehr aus. Ohne Selbstmanagement, das eigene Netzwerk und Grundfähigkeiten in der Marktbeobachtung haben Berufsmusiker heute wenig Chancen, wie Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein die Lage einschätzt. Holger Noltze, Musikjournalist und Professor an der Technischen Universität Dortmund, plädiert für die Anerkennung des Musiklebens als eine öffentliche Aufgabe – völlig zutreffend und politisch unrealistisch.

Veranstalter und Teilnehmer des Kölner Symposions erwarten eine Fortsetzung solcher  Veränderungsprozesse und die Verdichtung der Anforderungen. Gerade weil das Berufsbild des Orchestermusikers stark in Bewegung ist und unterschiedliche Auffassungen existieren, soll der mit diesem Symposion begonnene Dialog fortgesetzt und die Zusammenarbeit intensiviert werden. „Orchestermusiker haben eine wichtige Rolle in der kulturellen Bildung“, betont Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen – was die Teilnehmer überrascht. Schäfer freut sich über „die Anerkennung der Orchester- und Theaterlandschaft als Immaterielles Kulturerbe“ im Dezember vergangenen Jahres und sieht darin „eine große Ehre und große Verpflichtung". Daran darf man sie erinnern, wenn der nächste Jahrgang der Absolventen seine Bewerbungen verschickt und Stellen sucht.

Horst Dichanz, 10.2.2015

 


Ein Symposium in Köln wollte klären,
wie die Zukunft des Nachwuchses bei
den Orchestermusikern aussieht. Der
Tenor: Auf die Musiker kommen
erheblich mehr Anforderungen zu.


Gerald Mertens, Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung, sieht
das Modell des Intendanten als
Alleinherrscher als Auslaufmodell.


Ministerin Ute Schäfer, SPD, weist auf
die wichtige Rolle der Orchestermusiker
in der kulturellen Bildung hin.


Ohne Selbstmanagement, das eigene
Netzwerk und Grundfähigkeiten in der
Marktbeobachtung sieht Rolf Bolwin,
Vorsitzender des Deutschen
Bühnenvereins für den Nachwuchs
wenig Chancen.


Holger Noltze, Professor an der
Technischen Universität Dortmund,
plädiert für die Anerkennung des
Musiklebens als eine öffentliche
Aufgabe.