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Fakten zur Aufführung 

SIEGFRIED
(Richard Wagner)
8. März 2015
(Premiere am 27. Mai 2012)

Bayerische Staatsoper München


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Menschenkind

Die Menschenbilder gehen weiter, doch die Zeiten haben sich geändert. Das friedliche Urvolk des Rheingoldes ist zur flammenden Meute geworden, die sich im Vorspiel streitend aneinander reibt. Das stilbildende Weiß wird durch Flammenprojektionen gebrochen und die Waberlohe glimmt ekstatisch auf, bis ein bornierter Zwerg aus der Masse fällt und die Geschichte des dummen großen Menschenkindes beginnt.

Die Mischung aus menschengemachten, großen Tableaus, präziser Personenführung und zeitlosem Ambiente geht auch im Siegfried auf. Hinzu kommt einiges an überzogenem Theaterhandwerk und wenige kleine Lächerlichkeiten, um die knappe humorige Seite des ersten Aktes nach vorne zu kehren. Harald B. Thor lässt erst ein Zelt, später eine kleine Eisenhütte in Fluchtpunktperspektive von Menschen erbauen und halten. Diese zerfällt immer dann schnell, wenn etwa in der Rätselszene die Handlung in die Vergangenheit blickt. Wiedergänger aus dem Rheingold und der Walküre doubeln dann Riesen und Helden. Zur Schmiedeszene verwandelt sich der Schauplatz in eine überzeichnete Comiccollage mit übergroßem Blasebalg, vielen irrlichternden Tänzern und kleinen hübschen Einfällen wie einem Aktenvernichter als Spanproduzenten.

Nun wartet jeder auf die Fafnerumsetzung: Ein Metallgestell schwebt von der Decke. Mit Tänzern gefüllt und sich rhythmisch bewegend, hängen der Sänger und sein Gefolge in der Konstruktion und beleben die wilden Gesichtszüge des Wurms. Ganz einfach und eindrücklich zugleich. Ebenso wachsen Bäume aus den Weißgekleideten an Hängevorrichtungen und formulieren Kriegenburgs Ansatz weiter. Nur menschliche Nähe erzeugt Ruhe und Frieden. Im Metall und Glas, im Gold und im Toten liegt der Unruheherd für Gewalt und Mord. Sinnbildlich ist der geschundene Alberich zum unfrohen Junkie verkommen, der sich um Eisengitter herumdrückt. Doch nicht einmal die Zigarette will brennen. Siegfried dagegen spricht mit der Natur, ist als Halbwüchsiger mit dem Ursprünglichen noch eng verwurzelt.

Grandios das Schlussbild. Nach Wagners großer Leitmotiv-Reminiszenz nach der Begegnung mit Wotan, die Choreografin Zenta Haerter erneut schön als Massenbewegung unter reflektierenden Folien organisiert, erscheint die schlafende Brünnhilde, die Bühne wird mit luftigem roten Tuch erfüllt, ein Bett steht mittig, und die Liebe geht ihren komplizierten Weg. Die genaue Durchdringung der Konflikte beider Frischvermählter inszeniert Kriegenburg mit Sinn fürs Detail. Der Neuling in Liebesdingen richtet das Bett, weiß er doch nicht, was er mit der neu erkannten Gattung Weib anfangen soll. Die ehemalige Heldin tritt nach langem Schlaf mit unsicherem Schritt und großem Skrupel ihre neue Rolle als Frau an und spät, doch sehr intim fallen sich die Erlöser zaghaft in die Arme. Sie im weißen Unterkleid, Siegfried im zurückhaltenden Militärschick, während der wandernde Wotan optisch an seinen toten Lieblingssohn Siegmund erinnert. Das konsequente Kostümkonzept von Andrea Schraad setzt sich sinnvoll fort. Damit ist eine kluge Variation aus effektvollen großen Bildern und kleinen, wohl durchdachten Momenten gegeben, die diesen Ring als Mischung aus gescheiter Gruppenarbeit, symbolischer und nicht platter Interpretation und optischer Schönheit auszeichnet.

Eine Auszeichnung auch die Besetzung. Allen voran zwei Amerikaner in Bayern. Nach seiner Götterdämmerung übernimmt Stephen Gould nun auch den Siegfried. Auf einem knappen und ohnehin unsingbaren Kaltstart im Disput mit Mime findet er sehr schnell zu strahlendem Klang und wetteifert spätestens beim Schmieden mit dem tönenden Hammer. Kraftvoll und bis in das schwere Schlussduett nicht ermüdend, überzeugt dieser Siegfried im Lyrischen und im dosiert Heldischen. Nie plärrt oder übersteuert er bei der Höhenkraftmeierei, die Wagner durchwegs verlangt. Bei der Walderzählung besticht Gould neben hervorragender Diktion mit nuancenreichem und schlichtweg schönem Tenor. Ebenso verständlich und auf hohem Niveau weiter ins Dramatische wachsend, steht ihm Catherine Naglestad als Brünnhilde zur Seite. Seit 2012 hat sich die vielseitige Sängerin nochmals gesteigert und ist mit ihrem warmen, nicht zu hellen Timbre nicht anders als grandios zu bezeichnen. Nach ihrer beachtlichen Tosca in München nun erneut die Siegfried-Brünnhilde, die ihr hoch gesetzt entgegenkommt, nie stört und spielerisch rührt. Stark kehrt aus Niebelheim Alberich Tomasz Konieczny zurück, der mit edlem Klang, fieser Attitüde und seinem finsteren Organ erneut punktet. Thomas J. Mayer adelt den späten Wotan durch seine gewachsene Interpretation und die spielerische Tragik, die er dem wandernden Gott verleiht. In der Altlage mächtig, gibt Qiulin Zhang eine in Erinnerung bleibende Erda ab und Iulia Maria Dorn besticht nicht nur in der Koloratur als schwebendes Waldvöglein.

Vögel, Würmer und Helden hält Petrenko erneut motiviert und euphorisch am Pult zusammen. Es ist eine Freude, dabei zuzusehen, mit welcher Lust dieser Wagnerkenner den Ring anpackt, mit dem Orchester spielt und gestenreich die Schluss-Crescendi feiert. Da stellt sich ein Dirigent selbstbewusst selbst an den Amboss, schmiedet seinen Ring, stellt sich nah ans Feuer und scheut Töne und Lautstärke nicht, während er fein die Motive graviert. Mit den Bläsern wurde gearbeitet, und der Hornruf von Samuel Seidenberg klingt langsam doch makellos. Petrenko schwingt eben Taktstock ebenso gewandt wie Siegfried Schwert und Hammer. Auf das finale Crescendo zur Götterdämmerung können wir uns freuen.

Bravostürme.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl