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Fakten zur Aufführung 

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)
11. Oktober 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

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In der digitalen Welt gibt es keine Götter mehr

Der Bühnenvorhang mit den Graffiti-Spuren darauf zeigt es schon: Bei der Götterdämmerung von Richard Wagner im Staatstheater Nürnberg geht es um das Heute, um Menschen, um jetzige Probleme, nicht um eine mythologische Vergangenheit mit Göttern und Helden. Selbst die Pausenvorhänge verweisen mit den vergrößerten Projektionen von CNN-Nachrichten auf unsere aktuelle Gegenwart. Die alten Götter sind tot, wirkungslos, ihre Abkömmlinge zum Scheitern verurteilt. Siegfried wird sterben, die Schicksalsgöttinnen, die Nornen, haben jeden Halt verloren, irren im Publikum umher, auch die neureichen Gibichungen mit Gunther an der Spitze gehen unter, und die intriganten, gierigen Nibelungen mit Alberich haben ihre Macht verloren. Es dominieren am Schluss die Frauen, Brünnhilde, unterstützt von den Rheintöchtern, und sie bereiten eine neue Zeit vor.

Diese neue Zeit aber ist nach der Idee von Regisseur Georg Schmiedleitner eine digitale Welt, in der jeder durch die umfassende Kommunikation per Medien die Möglichkeit zur Teilhabe hat und dank dieser eine Verbesserung der Umstände anstreben kann. Ein schöner Gedanke, aber leider eine Utopie, siehe Eggers The Circle. Um diese dem meist leicht verblüfften Zuschauer vor Augen zu führen, hat Bühnenbildner Stefan Brandtmayr sich für die Schlussszene eine Art Beamer-Projektion von Tweets, Facebook- und E-Mail-Einträgen ausgedacht und zwar geradezu konträr zum rauschhaften Klangfinale Wagners. Da gibt es dann kein reinigendes Feuer mehr, keinen Weltenbrand, sondern langweilige, digitale Botschaften; alles ist vernetzt, sachlich. Brünnhilde sitzt bebrillt am Schreibtisch vor dem Notebook, assistiert von den nun brav gekleideten Rheintöchtern, die vorher noch sexy reizvoll in der Badewanne plantschen und herumalbern durften. Dass die Gibichungen Geschäftsleute ohne jeden kulturellen Hintergrund sind, wird durch die glatten, hellen Lochwände ihres stylisch leeren Wohn- oder Büroraums unterstrichen, ebenso wie durch ihre konventionell „korrekte“ Kleidung von Alfred Mayerhofer. Wenn aber dann Siegfried als bayerischer Held in Krachlederner mit dem Lebkuchenherz von Brünnhilde auf der Brust zu hehren Taten losgeschickt wird, wirkt das urkomisch und stellt die Aktion gleichzeitig in Frage. Mit der Lichtregie von Olaf Lundt entstehen wenigstens immer wieder neue, aufschlussreiche Stimmungsräume. Leider aber geht bei dieser Inszenierungsidee doch nicht alles auf, denn in vielem wird zu sehr auf brandaktuelle Bezüge geschielt. Das gilt für „Refugees welcome“ als Motto zu Anfang oder für den etwas störenden Einfall, als während der Hochzeitsfeierlichkeiten für Siegfried und Gutrune ein Schlauchboot von Flüchtlingen herein getragen wird, gefüllt mit Müllsäcken; auch sonst sind Flüchtlinge immer wieder präsent, als Unterdrückte oder als vom Geschehen Ausgeschlossene. Natürlich macht es schon Sinn, dass gleich zu Anfang alles auf dem Kopf steht, wenn Brünnhilde und Siegfried nach der Liebesnacht in ihrem völlig aus den Fugen geratenen, etwas spießigen Liebesnest aufwachen; es provoziert aber zumindest Schmunzeln, dass Brünnhiildes Pferd ein Plüschtierchen ist, was sich der mutige Siegfried dann als Unterstützung für seine Heldentaten unter den Brustlatz klemmt.

Das alles weist darauf hin, dass der Mythos nicht mehr ernst genommen wird, dass die mythische Überlieferung sich überlebt hat, dass es sich hier vielmehr um ein theatralisches Spiel um Macht und Vorherrschaft dreht. Dazu passt, dass Siegfried, als er schon ermordet ist, lange als eine Art Heldenstatue aufrecht zu stehen vermag, bis er dann selbst die Spielfläche erklimmt und endlich tot zu Brünnhildes Füßen liegen darf. Auch der Leichnam von Gunther macht sich nach einiger Zeit von selbst davon. Natürlich hat sich Richard Wagner für seinen in einer langen Entstehungszeit gereiften Ring auch kräftig aus der so genannten Nibelungensage bedient und immer wieder den Text der Götterdämmerung gerade beim Schluss umgeschrieben. Ebenso tauchen all die musikalischen Leitmotive aus den vorangegangenen Ring-Tagen hier wieder auf, allerdings manchmal verwandelt, mit neuer Deutung.

Die Staatsphilharmonie Nürnberg lässt diese unter dem zupackenden, inspirierenden Dirigat von Marcus Bosch intuitiv miterleben in weiten, rauschhaften Steigerungen, schicksalhaften Ballungen, auch zuweilen wilder, lauter Raserei und spannungsvoll dramatischen Akzenten, etwa wenn Blutsbrüderschaft geschlossen wird und die Musik dann geradezu zaghaft, pessimistisch wird, ebenso aber auch in klangschönen Einzelmomenten der hervorragenden Bläser oder süß schwirrenden Geigen; Bosch lässt sich dazu bisweilen auch Zeit.

Der Anfang mit den drei Nornen Ida Aldrian, Solgerd Isalv und Anne Ellersiek überrascht durch die Präzision – immerhin turnen da die drei zwischen den Zuschauern herum und spulen ihre Tonbänder ab, die dann als Schicksalsfäden auch prompt reißen; sie singen stets verständlich, leuchtend und mit dynamischen Betonungen vom Ende der ewigen Götter. Diese drei Tragisches verkündenden, schwarz gekleideten Frauen stellen später auch die munteren Rheintöchter dar; das ergibt Sinn, denn sie wandeln sich zu Gefährtinnen von Brünnhilde auf dem Weg in eine neue Zeit. Eine weitere Gestalt aus der untergehenden Welt der Götter ist Waltraute, die Botin des greisen Wotan. Roswitha Christina Müller gibt ihr ausdrucksstark das Profil einer verzweifelt um Verständnis und Hilfe Bittenden mit allen Facetten ihres schön klingenden Mezzosoprans. Dagegen ist die Gutrune der Ekaterina Godovanets eine äußerlich sanfte, attraktive, chice, aber ansonsten kühle Frau; sie unterstreicht das mit ihrem hellen, kraftvollen Sopran. Dass Brünnhilde am Ende die entscheidende Person wird, dass sie sich von allen einengenden Bestimmungen emanzipiert, kann Rachael Tovey sehr glaubhaft gestalten; dafür setzt sie ihren hochdramatischen, starken Sopran jederzeit ohne Ermüdungserscheinungen ein, kann ihre Wut, ihr Leid, ihre Anklage nur so herausschleudern und bleibt doch selbst bei dröhnenden Orchestersteigerungen stets vernehmbar. Gegen diese starken Frauen wirkt Gunther, Jochen Kupfer, in der Darstellung bewusst blass, gefällt aber durch seinen fein klingenden Bariton; der Intrigant Hagen, angestiftet durch seinen Vater Alberich, Antonio Yang, präsent wie immer bei seinem kurzen Auftritt durch seinen kräftigen Bariton, wird als unangenehmer Bürokrat ohne Herz hervorragend dargestellt von Woong-Jo Choim, wozu sein großer, trockener Bassbariton bestens die gesangliche Basis liefert. Gegen die Urgewalt einer Brünnhilde aber richten alle letztlich nichts aus. Nur einer ist ihr gewachsen durch seine Naivität und irgendwie tumbe Torheit: Siegfried. Wie Vincent Wolfsteiner diesen Helden wie einen spätpubertierenden Kraftmeier spielt, wie er mit seinem starken Tenor voll strahlenden Elans tolle Höhen meistert, Dynamik verströmt und dabei manchmal sogar eine gewisse Wärme spüren lässt, löst Bewunderung aus. Am Ende aber ist das Streitobjekt, der Ring, der Macht und Reichtum verheißt und um den alle kämpfen, eigentlich nutzlos: Brünnhilde übergibt ihn dem Rhein. Eine neue Zeit soll anbrechen laut digitaler Botschaft, denn die Herrschaft des Einen über die Anderen wird zerstört. Nur – bessert das dann die Zustände?

Mit solchen Gedanken entlässt die Inszenierung das Premierenpublikum im voll besetzten Haus, das sich in der zweiten Pause aber etwas leert; es bejubelt zuerst ausgiebig alle musikalisch Mitwirkenden, auch den hervorragenden großen Chor unter der Leitung von Tarmo Vaask, vor allem aber das Orchester und Siegfried und Hagen; als aber das Regieteam die Bühne betritt, bricht ein regelrechter Buhsturm los, begleitet von Bravorufen. Ob sich diese tagesaktuelle Inszenierung länger halten wird?

Renate Freyeisen

 

Fotos: Ludwig Olah