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Fakten zur Aufführung 

ADAM'S PASSION
(Arvo Pärt)
12. Mai 2015
(Uraufführung)

Eesti Kontsert, Change performing Arts, Noblesser Valukoda


Points of Honor                      

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Ohne Deutung

Meditativ, elegisch, gewaltige Bilder, Raum und Licht. Für Kenner der Musik des estnischen Komponisten Arvo Pärt und des amerikanischen Regisseurs Robert Wilson sind das Adjektive, die einfach passen. Desto überraschender ist es, dass dieses das erste Werk ist, das sie miteinander gemacht haben.

Anders als in der Bibel, war es am Anfang dunkel. Fast tausend Zuschauer sitzen in rabenschwarzer Dunkelheit in der riesigen ehemaligen Fertigungshalle von U-Booten und lauschen den ersten Tönen der Geige, gefolgt von einem einzigen Xylophonschlag. Im dazu passenden Tempo der Langsamkeit macht sich ein horizontaler Lichtstrahl auf der Bühne bemerkbar. Dieser verwandelt sich in eine vertikale Lichtlinie. Für Robert Wilson steht diese Lichtinterpretation für Raum und Zeit. Ohne Raum kein Licht. In Wilsonschem Tempo füllt sich die Bühne mit einem melancholischen, nördlichen Licht – weich, zwielichtig, wie es zu Mitternacht in Estland und anderen nördlichen Gegenden zu erspüren ist. Dazu die melodischen Klänge von Pärts Streichorchester mit spärlich eingesetztem Schlagzeug. Sequentia ist das einzige kurze Stück, das für diese Aufführung neu komponiert wurde. Die anderen drei Kompositionen – Adam's Lament, Tabula Rasa und Miserere – fließen ineinander über, mit nur ganz kurzen Lichtunterbrechungen. Somit ist das ganze Werk nur etwa 80 Minuten lang. Bild- und musikgewaltige 80 Minuten. 

Eine Handlung gibt es nicht. Wilson zeigt Objekte und Bilder, lässt dem Zuschauer freien Raum zur Interpretation. Aus dem zwielichtigen Nebel kommt ein nackter Mann auf das Publikum auf einem Laufsteg im Zeitlupentempo zu. Er nimmt einen belaubten Ast und balanciert ihn auf dem Kopf. Eine weißgewandete Frau wandert im gleichen Tempo diagonal über die Bühne. Zwei weitere Frauen bewegen sich im Zickzack. Ein toter, entwurzelter Baum wird vom Schnürboden heruntergelassen. Ein kleiner Junge spielt mit Holzklötzen, ein kleines Mädchen gesellt sich zu ihm. Ein noch jüngeres Paar Kinder kreuzt die Bühne mit übergroßen Maschinenpistolen. Dunkle Figuren huschen über die Buehne mit grünen Ästen. Eine Leiter schwebt herab. Die weißgewandete Frau schreitet majestätisch von hier nach da. Grelle weiße Scheinwerfer scheinen dem Zuschauer ins Gesicht, um dann wieder langsam zu erlöschen, die Bühne dekonstruiert sich.

Robert Wilson zeigt uns Bilder, die unsere eigene Interpretation anstoßen soll – oder auch nicht? Es gibt kein gut oder schlecht, kein richtig oder falsch. Die Beleuchtung ist ein Teil der Regie, um das Grundkonzept von Raum und Zeit deutlich hervorzuheben, um der Musik von Arvo Pärt eben diesen Raum und diese Zeit zu geben, sich zu entwickeln.

Der estnische Dirigent Tonu Kaljuste ist ein erfahrener Interpret von Arvo Pärts Musik und arbeitet eng mit dem 80-jährigen Komponisten zusammen. Der Estnische Philharmonische Chor und das Tallinn Kammerorchester sind seine Ensembles, und ebenso wie die Solisten teilen sie ihre Liebe zum Werk des weltberühmten Komponisten. Lucinda Childs als Frau, die berühmte, jetzt 75-jährige Tänzerin und Choreographin, ist in ihrer statuarischen Eleganz umwerfend; Michalis Theophanous als Mann verkörpert das männliche Ideal.

Orchester, Chor, Gesang- und Instrumentalsolisten befinden sich auf einer Empore hinter dem Publikum. Die Musik, ähnlich wie in Bayreuth, hüllt den Zuschauer unsichtbar ein und bekommt somit eine noch stärkere spirituelle Dimension. Auch ist der Ort der Aufführung – die Noblesser U-Bootwerft, 1913 von dem Neffen von Adolf Nobel erbaut – für dieses Werk sehr geeignet. Die wirklich grandiose Akustik der über 20 Meter hohen Zementhalle, mit ihrer etwas ruinösen und industriellen Ausstrahlung unterstreicht die Gesamtwirkung.

Das persönliche Kennenlernen von Arvo Pärt und Robert Wilson ergibt eine schöne Geschichte:  Papst Benedikt XVI hatte über 200 Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft in die Sixtinische Kapelle eingeladen. Eine Komposition von Arvo Pärt wurde zur musikalischen Untermalung in Anwesenheit des Komponisten gespielt. Am Buffet nach der Aufführung jongliert Arvo Pärt mit vollem Teller und Weinglas auf der Suche nach einer Abstellmöglichkeit. In dieser undankbaren Situation trifft er auf Wilson, den er persönlich noch niemals zuvor getroffen hat. „Why don’t we do something together“, soll der gesagt haben.  „Why not“, kam die Antwort von Pärt. Das war vor sechs Jahren, und heute nun kann das Resultat von einem enthusiastischen Publikum gewürdigt werden. Pläne für eine internationale Tournee sind in Vorbereitung und Verhandlung.

Standing ovations am Ende für Pärt und Wilson, ebenso wie für das ganze Team. Von vielen Zuschauern hört man den Kommentar, man könne das ganze Stück gleich nochmal sehen.

Zenaida des Aubris

 

Fotos: Kristian Kruuser, Kaupo Kikkas