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Fakten zur Aufführung 

CARDILLAC
(Paul Hindemith)
14. Mai 2015
(Premiere)

Estnische Nationaloper, Tallinn


Points of Honor                      

Musik

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Mordmotiv: Gold

Cardillac, die erste Oper von Paul Hindemith aus dem Jahre 1926, liegt uns vielleicht heute nicht mehr ganz so fremd in den Ohren. Dennoch ist das Werk sowohl musikalisch wie szenisch eine Herausforderung. Die Estnische Nationaloper in Tallinn hat sich dieser Herausforderung mit Erfolg gestellt.

Gleich im ersten Akt wird exemplarisch dargestellt, wie es zu den vielen Morden kommen kann:  Eine edle Dame, mit warmherzigem Timbre und emotionaler Reife von Heli Veskus verkörpert, fordert ihren ergebenen Cavalier, dargestellt von Sergiu Saplacan, auf, ihr das schönste Cardillacsche Schmuckstück zu schenken. Nur so kann der Cavalier ihre Gunst erlangen. Als dieser ihr das begehrte Stück überreicht, wird das Gemach von einem maskierten Mann erstürmt, und beide werden erstochen. Das Schmuckstück ist gestohlen und landet wieder im Atelier des Goldschmiedes. Hier wird deutlich, dass die überdimensionale Fabelfigur, ganz aus den Kunstwerken des Juweliers geformt, auch seine Seele korrumpiert.

Die von Kimmo Viskari entworfenen Kostüme sind in ihrer Ästhetik schon deshalb erwähnenswert, weil sie so überhaupt nichts mit dem Stück zu tun haben: der Chor ist in an Guantanamo-Häftlinge erinnernde Gewänder gekleidet; die Solisten in einem weißen, überladenen, stilistischen Mix aus Mittelalter, Rokoko und Biedermeier. Nur Cardillac setzt im schwarzen Rockerpunk einen farblichen Kontrapunkt.

Das vor kurzem 100 Jahre alt gewordene Estnische National Opernhaus ist eher klein, mit einem ebenso kleinen Orchestergraben. Man sieht deutlich, wie eng es bei den Musikern ist. Ebenso merkt man es leider auch in der weichen Akustik, was gerade der Musik Hindemiths nicht zugutekommt, obwohl der estnische Dirigent und Musikdirektor der Estnischen Nationaloper, Vello Pähn, ständig dagegen ankämpft. Eine gewisse Messerschärfe stünde den Streichern gut an – und das ist nicht nur ein Wortspiel. Immerhin geht es in dieser Oper um Liebe und Mord, aber nicht im üblichen Sinn, sondern um die Liebe des Goldschmiedes Cardillac für seine güldenen Kreationen, die er zwar verkauft, sich aber dann zurückholt, indem er den Käufer ermordet, weil die Juwelen ja als seine Kreationen ihm gehören. So ist auch das in rotes Licht von Anton Kulagin getauchte Einheitsbühnenbild von Kimmo Viskari mit seinen kleinen, schachtel-ähnlichen Konstruktionen, die entweder als Schmuckkästchen, Hausfenster oder Gräbern eingesetzt werden, besser zu verstehen. Die Mitglieder des Chores stellen diese Gebilde eben nach Bedarf um. Ob als betrunkene Meute oder gesichtslose, aufgebrachte Bürger, agiert der exzellente, von Elmo Tiisvald einstudierte Chor in dieser Oper musikalisch und dramaturgisch als Solist.

Der seit 1992 zum Ensemble der Estnischen Nationaloper gehörende Rauno Elp überzeugt als besessener Cardillac mit seinem dramatischen Bariton und leidenschaftlichem Spiel. Leider ist Sopranistin Tamara Gallo als seine ergebene Tochter stimmlich und gestalterisch eher schwach. Allerdings lässt sie die Regie von Vilppu Kiljinen oft im Stich: Hilflos steht sie wie ein Backfisch auf der Bühne, der nicht recht weiß, was er will. Nur im Duett mit dem jungen Offizier, von Tenor Jyrki Anttila lyrisch interpretiert, bringt sie einen schönen Sopran zur Geltung. Gesungen wird in der Originalsprache – dass die Deutsch ist, kann man leider nur an einzelnen Worten erkennen. Man kann nur hoffen, dass die Übertitel auf Estnisch den Text besser wiedergeben als die auf Englisch, die oft an eine Google-Übersetzung erinnern.

Trotz dieser Details ein starker musikalischer und theatralischer Abend, der auch von einer innigen Kooperation zwischen Regisseur und Bühnenbildner zeugt. Das Premierenpublikum goutiert mit lautem Beifall.

Zenaida des Aubris

 

Fotos: Harri Rospu