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  Detailverliebt in vergessene GefildeDer promovierte Theaterwissenschaftler und Buchautor Thomas  Blubacher hat eine große Liebe: Die Recherche von auch noch so unbedeutend  erscheinenden Details. Das kennen wir bereits von seiner viel beachteten  Biografie Gustaf Gründgens‘. Jetzt führt er das fort in seinem soeben  erschienenen Buch über eine Person, die längst in Vergessenheit geraten schien.  Die Rede ist von Ruth Landshoff-Yorck. „Erst ein Vierteljahrhundert nach ihrem  Tod entsinnt man sich wieder der snobistischen Muse und androgynen Stilikone,  amüsanten Feuilletonistin, engagierten Antifaschistin und verkannten Avantgarde-Literatin,  deren Leben die Zeitläufte eines halben Jahrhunderts spiegelt, und entdeckte  sie nicht zuletzt als Exponentin eines spezifisch weiblichen Schreibens“,  charakterisiert der Autor die Titelheldin seiner mehr als 260 Seiten  umfassenden Biografie, an die sich noch ein 80-seitiger Anhang, Danksagung,  Personenregister und Bildnachweis anschließen.    Es gibt also viel zu lesen über eine Frau, die vielleicht  stellvertretend für die Künstler steht, die sich keinen so großen Namen machen  konnten wie etwa die Mann-Familie. Basis der künstlerischen Arbeit und Brot des  Künstlers war auch in den 1920-er und noch viel mehr in den nachfolgenden  Jahren das Netzwerk. Zum Leidwesen des Lesers. Denn Blubacher betreibt ein  solch umfangreiches Namedropping, dass selbst Leute, die sich dieses Hobby in  Ermangelung echter Intelligenz aneignen, blass vor Neid werden. Da schwirbelt  und schwurbelt es nur so von Namen, dass einem ganz schwindlig werden kann –  und man auch schon mal den roten Faden aus den Augen verliert. Schließlich  entschuldigt Blubacher sich: „Das klingt nach exzessivem Namedropping und  scheint verwirrend, doch wird im Leben Ruth Landshoffs die intime Kenntnis  solcher Beziehungsnetze einen immer wesentlicheren Platz einnehmen.“   Nun ja, es ist wie in jedem anderen Leben auch. Menschen  kommen und gehen, manche bleiben etwas länger, manche spielen eine  lebenslängliche Rolle. Und wir lernen sie alle kennen. Während Ruth von ihrer  Schauspielausbildung bis zur Theaterautorin durch ihr Leben mäandert, selten  mit doppeltem Boden oder Netz gesichert, immer wieder aber durch die  Zuwendungen Dritter aufgefangen, bekommt der Leser allmählich eine Idee von den  exotischen Verhältnissen einer Zeit, die wir längst überwunden glaubten – und  die nach längerem Nachdenken und jetzt auch Vergleich gar nicht so weit von der  Gegenwart entfernt sind.    Blubacher – ganz Wissenschaftler – interpretiert oder  erklärt wenig, sondern konzentriert sich auf die Beschreibung anhand von  Quellen. Das macht er so gut, dass durchaus Bilder entstehen, allein so richtig  nahe kommen will einem Ruth Landshoff-Yorck nicht. Daran ändern auch die 14  Schwarzweiß-Bilder in der Mitte des gebundenen Buches nur wenig. Vor allem in  den letzten Jahren scheint sie nur mehr von ihrer Arbeit und dem nicht ganz  nachvollziehbaren Wunsch getrieben, in der deutschen Literaturszene Fuß zu  fassen. Während die Amerikaner versuchten, ihr eine Bühne im Off-Off-Broadway  zu schaffen. Das ist weder mit großem Ruhm noch mit Reichtümern behaftet, aber  daraus hat sich Landshoff-Yorck wohl ohnehin nicht viel gemacht. Da hätte ihr  der eigene Abgang, den der Autor so sachlich wie berührend schildert, schon  erheblich mehr bedeutet.   Das Buch lässt einen ein wenig ratlos zurück. Es schließt  mit einem Zitat aus einem der Landshoff-Werke. „Dreh dich um, schau in die  Sonne. Die Tränen kommen von der Helligkeit“, heißt es da – vielleicht als  Fazit eines Künstlerlebens, wie es heute wieder viele gibt. Wenn wir aber nun  wieder da angekommen sind, wo Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler und  all die vielen anderen kreativen Berufe mehr und mehr in prekäre Verhältnisse  abgleiten, oft nur gestützt von Eltern, Mäzenen oder anderen Unterstützern,  kann das Schicksal der Landshoff-Yorck noch immer im rheinischen Sinne Trost  spenden: Et hätt noch immer jot jejange.   Michael S. Zerban, 28.9.2015   |  |