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Buchbesprechung

Eine schillernde Person


Autor



Thomas Blubacher ist 1967 in Basel geboren und promovierter Theater-Wissenschaftler. Er ist als Regisseur für Bühnen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Blubacher publizierte mehrere Bücher, darunter eine Biografie über Gustaf Gründgens.


Kaufinformationen

Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck

Insel Verlag

ISBN 978-3-458-17643-5

gebunden mit Schutzumschlag,
368 Seiten, 25 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Detailverliebt in vergessene Gefilde

Der promovierte Theaterwissenschaftler und Buchautor Thomas Blubacher hat eine große Liebe: Die Recherche von auch noch so unbedeutend erscheinenden Details. Das kennen wir bereits von seiner viel beachteten Biografie Gustaf Gründgens‘. Jetzt führt er das fort in seinem soeben erschienenen Buch über eine Person, die längst in Vergessenheit geraten schien. Die Rede ist von Ruth Landshoff-Yorck. „Erst ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod entsinnt man sich wieder der snobistischen Muse und androgynen Stilikone, amüsanten Feuilletonistin, engagierten Antifaschistin und verkannten Avantgarde-Literatin, deren Leben die Zeitläufte eines halben Jahrhunderts spiegelt, und entdeckte sie nicht zuletzt als Exponentin eines spezifisch weiblichen Schreibens“, charakterisiert der Autor die Titelheldin seiner mehr als 260 Seiten umfassenden Biografie, an die sich noch ein 80-seitiger Anhang, Danksagung, Personenregister und Bildnachweis anschließen.

Es gibt also viel zu lesen über eine Frau, die vielleicht stellvertretend für die Künstler steht, die sich keinen so großen Namen machen konnten wie etwa die Mann-Familie. Basis der künstlerischen Arbeit und Brot des Künstlers war auch in den 1920-er und noch viel mehr in den nachfolgenden Jahren das Netzwerk. Zum Leidwesen des Lesers. Denn Blubacher betreibt ein solch umfangreiches Namedropping, dass selbst Leute, die sich dieses Hobby in Ermangelung echter Intelligenz aneignen, blass vor Neid werden. Da schwirbelt und schwurbelt es nur so von Namen, dass einem ganz schwindlig werden kann – und man auch schon mal den roten Faden aus den Augen verliert. Schließlich entschuldigt Blubacher sich: „Das klingt nach exzessivem Namedropping und scheint verwirrend, doch wird im Leben Ruth Landshoffs die intime Kenntnis solcher Beziehungsnetze einen immer wesentlicheren Platz einnehmen.“

Nun ja, es ist wie in jedem anderen Leben auch. Menschen kommen und gehen, manche bleiben etwas länger, manche spielen eine lebenslängliche Rolle. Und wir lernen sie alle kennen. Während Ruth von ihrer Schauspielausbildung bis zur Theaterautorin durch ihr Leben mäandert, selten mit doppeltem Boden oder Netz gesichert, immer wieder aber durch die Zuwendungen Dritter aufgefangen, bekommt der Leser allmählich eine Idee von den exotischen Verhältnissen einer Zeit, die wir längst überwunden glaubten – und die nach längerem Nachdenken und jetzt auch Vergleich gar nicht so weit von der Gegenwart entfernt sind.

Blubacher – ganz Wissenschaftler – interpretiert oder erklärt wenig, sondern konzentriert sich auf die Beschreibung anhand von Quellen. Das macht er so gut, dass durchaus Bilder entstehen, allein so richtig nahe kommen will einem Ruth Landshoff-Yorck nicht. Daran ändern auch die 14 Schwarzweiß-Bilder in der Mitte des gebundenen Buches nur wenig. Vor allem in den letzten Jahren scheint sie nur mehr von ihrer Arbeit und dem nicht ganz nachvollziehbaren Wunsch getrieben, in der deutschen Literaturszene Fuß zu fassen. Während die Amerikaner versuchten, ihr eine Bühne im Off-Off-Broadway zu schaffen. Das ist weder mit großem Ruhm noch mit Reichtümern behaftet, aber daraus hat sich Landshoff-Yorck wohl ohnehin nicht viel gemacht. Da hätte ihr der eigene Abgang, den der Autor so sachlich wie berührend schildert, schon erheblich mehr bedeutet.

Das Buch lässt einen ein wenig ratlos zurück. Es schließt mit einem Zitat aus einem der Landshoff-Werke. „Dreh dich um, schau in die Sonne. Die Tränen kommen von der Helligkeit“, heißt es da – vielleicht als Fazit eines Künstlerlebens, wie es heute wieder viele gibt. Wenn wir aber nun wieder da angekommen sind, wo Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler und all die vielen anderen kreativen Berufe mehr und mehr in prekäre Verhältnisse abgleiten, oft nur gestützt von Eltern, Mäzenen oder anderen Unterstützern, kann das Schicksal der Landshoff-Yorck noch immer im rheinischen Sinne Trost spenden: Et hätt noch immer jot jejange.

Michael S. Zerban, 28.9.2015