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  Zeit für FragenUnter dem eher sperrigen Titel Moderne  Oper angesichts von technischem, wirtschaftlichem und kulturellem Wandel fand im polnischen Poznań vom 15. bis 17. März eine Opernkonferenz statt. Eine  internationale Expertenrunde befasste sich damit, wie man die zeitgenössische  Oper für das Publikum attraktiver machen kann. Zeitgenössisches Musiktheater: das ist für heutige Opernbesucher häufig  ein rotes Tuch. Das war nicht immer so. Im Gegenteil. Die Oper des 18. und 19.  Jahrhunderts lebte von den Novitäten, das Publikum wollte den neuen Donizetti,  Meyerbeer oder Wagner hören. Noch bis zu den goldenen Zwanzigern gehörten Uraufführungen  selbstverständlich zum Spielplan. Die Avantgarde nach 1945 jedoch verschreckte  viele Zuschauer, die den atonalen Experimenten nicht folgen konnte oder wollten.  Von dieser Entwicklung hat sich der Musikbetrieb immer noch nicht erholt. Weil  aber die Oper ohne regelmäßige Uraufführungen zum Museum wird, stellt sich die  zentrale Frage: Was kann man tun, um das Stammpublikum für die Moderne zu  interessieren und neue Besucher zu gewinnen?   Zu diesem Thema initiierte Renata Borowska-Juszczyńska, Intendantin des  Teatr Wielki in Poznań, eine dreitägige Opernkonferenz, übrigens die erste in  solchem Rahmen. Wissenschaftler, Intendanten und Künstler aus dem In- und  Ausland waren eingeladen, um über die aktuelle Situation und die Zukunft der  modernen Oper sowie über die nachhaltige Integration von zeitgenössischem  Musiktheater in den Spielplan zu diskutieren. Welche Relevanz dieses Thema hat,  zeigt sich an der Teilnahme von so einflussreichen Managern wie Nicholas Payne,  der in führender Position an verschiedenen britischen Opernhäusern tätig war und  seit 2003 Direktor der  europäischen Vereinigung von professionellen Opernhäusern und -festspielen Opera  Europa ist, und Daniel Knapp, dem gerade berufenen Produktionsdirektor der San  Francisco Opera. Auch Peter de Caluwe, Intendant der Brüsseler Oper, ist zugegen,  wenn auch nur virtuell: Er spricht in einer Videobotschaft über die Pflege der  Moderne in seinem Haus, die vorbildlich ist im Reigen der Opernlandschaft.  Volles Programm für die Oper   Das randvolle Programm bringt im Wechsel wissenschaftliche Vorträge  und Podiumsdiskussionen. Es gibt Referate über Strömungen der zeitgenössischen Oper in  Deutschland, Russland und Polen, vertieft durch Beiträge über zentrale  Komponisten, wie Thomas Adès oder Wolfgang Rihm, über den der Karlsruher  Musikwissenschaftler Achim Heidenreich sehr persönlich und kenntnisreich spricht,  und herausragende Werke, wie Karlheinz Stockhausens Dienstag aus Licht. Luke O’Shaughnessy, Projektmanager von Opera  Europa, stellt ein neues Internet- und Lifestream-Portal des Verbunds vor, das  trotz seiner Bedeutung auch die Frage aufwirft, ob es nicht Publikum abzieht,  wenn Vorstellungen in großer Anzahl im Netz verfügbar sind.    Keine Tagung über Oper ohne das leidige Thema Geld. In seinem launigen  Vortrag erklärt der Wirtschaftsprofessor Henryk Mruk die Bedeutung von  Marketing und dass auch Oper zu einer Marke werden müsse. Auf den Unterschied  zwischen dem deutschen und amerikanischen System weist die Journalistin Karyl  Charna Lynn hin. Erlaubt die staatliche Subvention einen Gestaltungsrahmen, so  schränkt die Privatfinanzierung ihn ein. Das macht jede Uraufführung zu einem  Wagnis, aber auch zu einem möglichst genau kalkulierten Vorgang, wozu auch gehört,  Sponsoren mit einzubeziehen. Genau das aber bedauert Dobrochna Ratajzakowa, polnische  Theaterwissenschaftlerin. Sie nämlich vermisst visionäres Denken aufgrund  pekuniärer Verkettungen und wird für ihren Einwurf heftig beklatscht. Mutmachende Beispiele   Als musikalischen Rahmen zeigt das Teatr Wielki zwei Auftragswerke  unterschiedlicher Prägung. Uraufgeführt wird Space Opera, eine große  Science-fiction-Oper des jungen Komponisten Aleksander Nowak, deren Titel innerhalb  der Tagung durchaus doppeldeutig verstanden werden kann: als Weltraumoper oder  als Raum für Oper. Das Libretto des bulgarischen Kultautors Georgi Gospodinov erzählt  vom Mars-Flug eines Paares, das von der Erde aus in Manier von Big Brother von  einer Menschenmasse beobachtet wird. Space  Opera ist visuell durch die Videoprojektionen von Piotr Szabliński, die den  Weltraum eindrucksvoll suggerieren, ein Ereignis. Nowaks Musik untermalt abwechslungsreich  und sehr farbig mit filmhaften, sphärischen Passagen, viel Schlagzeug und ausgedehnten  Choreinsätzen das Geschehen. Auch wenn beide Aufführungen gut besucht sind,  wird erst die Zukunft zeigen, ob sich Space  Opera im Repertoire behaupten kann. Die Kammeroper The Angel of the Odd von Bruno Coli, die der Italiener nach einer  Poe-Erzählung komponierte, hat das Zeug dazu. Seit ihrer Premiere im  vergangenen Jahr ist die Studioproduktion regelmäßig zu sehen. Und findet  Zuspruch, weil hier eine vergnügliche, mit Musik aus dem Unterhaltungsgenre spielende  Partitur, eine konzentrierte Inszenierung, eine phantasievolle Gestaltung der  kleinen Bühne und engagierte Sänger, von denen Urszula Cichocka mit opulentem  Alt besonders auffällt, eine homogene Verbindung eingehen.    Der Kongress hat viel Zulauf von Fachleuten, hingegen wenig von  nichtprofessionellen Zuhörern. Womit sich der Bogen zurück zur Ausgangsfrage  spannt, die sich wie ein roter Faden durch die Tagung zieht. Welche Oper ist  zukunftsträchtig, welche erreicht das Publikum, und wodurch erregt man bei  jungen Menschen Aufmerksamkeit?  Dass  es einige Möglichkeiten gibt, verdeutlichen drei angeführte Beispiele: Es  könnten außergewöhnliche Orte sein, wie das Zentrum für  Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, wo Wolfgang Rihms Etudes d’après Séraphin gespielt  wurde, bahnbrechende Formen wie Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern oder spektakuläre Präsentationen  wie Jörg Widmanns Babel in München. Ein  Erfolgsrezept aber gibt es nicht, schon wegen des Spagats zwischen Kunst und  Kommerz, zwischen Anspruch und Tradition. Eines aber ist sicher, sagt Intendantin  Borowska-Juszczyńska abschließend: Es gibt noch viel zu tun!    Karin Coper, 28.3.2015   |  |