Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LOVE SONGS FOR HEIM@T
(Christina C. Messner)
Besuch am
16. September 2016
(Premiere)
Messner/Martin/Bauerecker,
Rheinufer Düsseldorf
Manchmal sind die Texte schon ziemlich irre, die entstehen, um irgendwelche Förderungen zu erhalten. Und bis heute wundert man sich, wie die Entscheider der Fördermaßnahmen solche Text rezipieren. So auch bei dem Stück Love Songs for Heim@t. Im Text geht es nicht mehr um Love Songs, sondern um Kommunikation, die uns auf die „großen, urmenschlichen Fragen“ zurückwirft. Es geht auch nicht um internationale Zusammenhänge, sondern um deutsches Musiktheater. Und ist das eigentlich nicht genug? Liebeslieder für die Heim@t hätten womöglich ein falsches Publikum erreicht, das des Englischen nicht mächtig ist. Und das will dann wohl keiner.
Mit der Kommunikation jedenfalls hat es wohl nicht so funktioniert wie gewünscht. „Treffpunkt“ für die Besucher ist eine Straßenbahnhaltestelle. Und fünf Besucher, davon zwei Pressevertreter, haben es bis dahin geschafft. Vor zwei Jahren, auf dem Ebertplatz in Köln, war das ganz anders. Da war das Interesse groß, die Besucherschar füllte den Platz zumindest annähernd. Jetzt ist es einer der tristesten Plätze in Düsseldorf, der Vorplatz des Apollo-Theaters unter der Rheinbrücke. Zu allem Überfluss steht der Platz auch schon ganz unter den Vorzeichen des am Wochenende stattfindenden Radrennens. Das ist hart für die Akteure, und da muss man schon mehr als Profi sein, um diese Herausforderung anzunehmen.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Es gibt auch keinen Auftakt. Und dauert entsprechend, bis man die rhythmischen Schläge von Arturo E. Uribe auf Mauern und Wänden wahrnimmt, die hinführen zu wabernden Klängen auf dem Akkordeon von Dorrit Bauerecker, die mit wenigen Bewegungen durchaus Größeres andeutet. Und schließlich die Zuschauer zum ersten Schauplatz führen. Volker Ax nimmt die Besucher mit dem Saxophon in Empfang und schließt endlich die Runde, zu der auch Janko Hanushevsky am E-Bass gehört. Der Aufführungsplatz ist strapaziös. Die darüberliegende Brücke verschluckt die Klänge, der nahe Rhein ist nicht zu sehen – stattdessen gibt es Beton. Die Geräusche der Stadt ergänzen gewollt die Komposition. Die Soprane Irene Kurka und Maximiliane Reichart intonieren mit Bariton Fabian Hemmelmann die ersten Klänge. Dass sie textverständlich singen, ist bei der Aneinanderreihung von Buchstaben noch nicht so sinnfüllend. Aber die ersten Passanten bleiben stehen, gesellen sich zu den „offiziellen Besuchern“. Zwei Jungs kommen von der Skateboard-Halfpipe herüber, glänzen mit ein, zwei blöden Sprüchen, ehe sie sich von der Faszination des Geschehens beeindruckt zeigen und eine ganze Weile dabeibleiben.
Die Tänzerin Ursula Nill erweitert den Wirkungskreis bis in die Verlorenheit, ohne dass ihre Darbietung wirklich überzeugen könnte. Liegt es an der brutal unauffälligen Bekleidung oder an den eher nichtssagenden Bewegungen? Egal. Es gelingt ihr, die Richtung vorzugeben.
Allmählich rückt der Trupp zum Apollo-Theater vor. Verschiedene Stationen entstehen. Regisseurin Ulrike Schwab erzählt, es gebe einen Punkt, von dem aus man alle Stationen gleichzeitig hören könne. Wenn man ehrlich ist, stehen und sitzen Reichart und Bauerecker eine ganze Zeit lang ziemlich verloren unter einem Baum. Aber tapfer musizieren sie weiter. Dabei spielt Bauerecker, die als Spezialistin für Neue Musik gilt, mit selten gehörter Virtuosität das Akkordeon. Davon würde man gern mehr hören. Weiter vorne werden Wassergläser verteilt, mit denen die Besucher mehr oder minder erfolgreich ätherische Klänge erzeugen, die die weiterwandernde Gruppe zu einem Rasenstück hinter dem Landtag, gleich am Rhein, begleiten. Schwab sagt, es gehe genau um diese Bewegung weg von der urbanen Architektur hin zur Natur in der Stadt. Hier kann man alltägliche Situationen erleben, die für immer durch den Einfluss der Musik erinnerbar bleiben. Die hier erlebte Musik werde sich, wie auch immer, auf das Leben der vorübereilenden Menschen auswirken. Und das nicht nur hier in Düsseldorf, sondern zuvor auch in Köln und anschließend in Duisburg.
Komponistin Christine C. Messner lässt inzwischen auch durchaus flottere Rhythmen zu, ehe sich der Projektchor hinter den Solisten versammelt, um zum Finale anzustimmen. Das Libretto von Marie T. Martin ist von einer Poesie bestimmt, die ins Irreale weist. Handlungsbefreit hängt sie damit einer Tradition an, die Menschen von der zeitgenössischen Oper abhält.
Sänger und Musiker aber tragen Libretto und Komposition über die gesamte Länge der Veranstaltung mit einer Hingebung, die viele Menschen fesselt. Zauberhafte Kantilenen, ein Akkordeon, das man mit dieser Poesie noch nicht gehört hat und Piani, die trotz der verflucht schlechten Akustik nicht verhallen, machen diesen Abend zu einem der bezauberndsten dieses Sommers.
Da wünscht man einem überaus engagierten Team einen rauschenden Applaus, der den Anwesenden mangels Masse trotz allen Enthusiasmus‘ nicht gelingt. Das nachzuholen, wird am 18. September möglich sein, wenn die Truppe auf der Rheinbrücke Dammstraße in Duisburg-Ruhrort auftreten wird.
Michael S. Zerban