Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jochen Quast

Aktuelle Aufführungen

Ohne Feuer, ohne Farbe

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
17. September 2016
(Premiere)

 

Theater für Niedersachsen,
Hildesheim

Don Giovanni beginnt „feurig“ – mit einer Flammenprojektion auf den geschlossenen Vorhang – und endete auch „feurig“ – mit einem kleinen Tischfeuer – allerdings hält der Mittelteil diesen erweckten Hoffnungen nicht stand. Regisseur Guillermo Amaya, der nach seiner szenischen Interpretation der Beethoven-Oper Fidelio für zwei Spielzeiten fest ans Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim kommt, präsentiert mit seinem Don Giovanni eine uninspirierte Interpretation des Opernklassikers. In der fehlt es an Reibung, an Tiefe, an echten Gefühlen. Die Kunst, das Dramma giocoso mit einer Mischung aus komödiantischen Einfällen und großem Pathos zu gestalten, misslingt. Hier wird zwar mit einigen witzigen Einfällen gearbeitet: So spricht Leporello im Rezitativ gerne mal von „verdammter Scheiße“, rülpst nach dem Essen oder verstellt als verkleideter Don Giovanni seine Stimme. Der platte Humor entzaubert die kluge Mozartsche Handlung allerdings.

Nicht gerade zuträglich sind auch die lauten Umbauten. Kaum fällt der weiß-durchsichtige Vorhang, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem glänzenden Stoff eines Unterrocks hat, wird hinter der Bühne geschoben, gehoben, gezogen. Und das teilweise so geräuschvoll, dass die Sänger geradezu dagegen ansingen müssen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Verrückt werden hauptsächlich große Holzbauten, die an riesenhafte (Kinderzimmer-)Schränke erinnern. Philippe Miesch zeichnet für das wenig kreative Bühnenbild verantwortlich. Neben den Holzhäusern werden dem Publikum noch zweidimensionale Bäume vor blauem Hintergrund gezeigt, ebenso präsentiert er die Statue des Komturs als zweidimensionale, schwarze Figur, die auf einem Pferd sitzt und ab und zu den Kopf bewegt. Lustig? Eher nicht. Ein wenig mehr Abwechslung auf der Bühne oder plastische Darstellungen hätten dem Werk gutgetan. Auch für die Kostüme, die im ausgehenden 18. Jahrhundert verhaftet sind, ist Miesch verantwortlich. Don Giovanni kleidet er fast ganz in schwarz mit Kniebundhose, Weste, Hemd und Umhang. Donna Anna hüllt er in ein schwarzes Kleid, die anderen Damen sind unauffällig in Erd- und Waldtönen gehalten.

Foto © Jochen Quast

In die Rolle des Don Giovanni schlüpft Timothy Sharp. Seine Figur bleibt sich zwar selbst treu – er ist ein Verführer, Spieler, Macho, Egoist – das Freudsche Es, wenn man so will. Allerdings wabert er zwischen sämtlichen Emotionen hin und her und macht nur eine geringe Entwicklung durch. Er ist zu wenig von allem, weder charakterstark noch ein überzeugender Liebhaber – auch wenn Sharp mit kraftvollem Bariton stimmlich überzeugt. Arantza Ezenarro als Donna Anna gibt eine wütende Tochter, die sich trotz klaren Soprans nicht durchsetzen kann. Konstantinos Klironomos als ihr Verlobter Don Ottavio vermittelt dem Zuschauer seine erzürnte Attitüde und die Rachsucht an Don Giovanni glaubhaft und unterlegt sie mit strahlkräftigem Tenor souverän. Sopranistin Martina Nawrath stellt die Bäuerin Zerlina zerbrechlich und willensschwach dar, leider mangelt es ein wenig an Charakterentwicklung. Opulent erscheint Donna Elvira, dargestellt von Sabine Paßow. Sie gibt die Geliebte immerhin leidenschaftlicher als ihre Konkurrentinnen, ansonsten bleibt auch sie eher farblos. Einen eifersüchtigen, im Umgang mit Zerlina harten, aber auch leichtfüßigen Masetto gibt Peter Kubik. Mit kernigem Bariton und heiterem Spiel überzeugt er neben Leporello schauspielerisch am meisten. Die schnelle Charakterwandlung des Leporello lässt Levente György überzeugend geschehen: Humorvoll, seinen Herrn bewundernd, selbstbewusst und nur kurze Zeit später völlig verschüchtert schmeichelt der Bassbariton dieser Figur. Stimmlich kann auch Uwe Tobias Hieronimi mit prägnantem Bariton als Komtur begeistern.

Der Chor unter Achim Falkenhausen bleibt – wie das gesamte Ensemble – zu blass. Die Sänger vermögen es nicht, die ausgelassenen Szenen mit Elan und Energie darzustellen. Vielmehr bleiben sie im Hintergrund, sind zu wenig präsent.

Die musikalische Leitung des Abends hat Werner Seitzer, der die Sänger mit seinem zarten Dirigat über die zwei Akte trägt. Das Orchester spielt hochkonzentriert und kann auch mit leidenschaftlichen Klängen überzeugen.

Mehrfacher – bestimmt zehnmaliger – Zwischenapplaus, standing ovations, Jubelrufe und Blumen auf der Bühne: Das Hildesheimer Publikum zeigt sich trotz einiger Unruhe und mehreren „Pssst“-Ermahnern untereinander hingerissen von der Premiere. Es bleibt zu wünschen, dass auch die kommenden Vorstellungen so positiv aufgenommen werden.

Agnes Beckmann