Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
WINTERREISE
(Jörg Fürst nach Elfriede Jelinek)
Besuch am
7. September 2016
(Premiere am 15. Januar 2015)
Die Alte Feuerwache in Köln ist ein wunderbarer Ort, weil ihre jüngere Geschichte so schön das widerspiegelt, was den „Kölner an sich“ ausmacht. Oder wie es die Gruppe Bläck Fööss in der heimlichen Hymne der Stadt ausdrückt: „et Schönste, wat m'r han, schon all die lange Johr, es unser Veedel, denn he hält m'r zosamme, ejal, wat och passeet en uns'rem Veedel“. In diesem Fall waren und sind es die Bürger des Agnes-Viertels, die seit 1977 um den Erhalt der Alten Feuerwache an der Melchiorstraße als selbstverwaltetes, soziokulturelles Bürgerzentrum kämpfen. Galt es in den ersten Jahren, die Widerstände des Stadtrates gegen eine nicht-kommunale Verwaltung zu überwinden, ist es heute – wie andernorts auch – die permanente Sorge vor erneuten finanziellen Kürzungen. Da mag mancher Bürger schon mal Bauchgrimmen angesichts der vielen Erfolge bekommen, denn „viele stadt- und bundesweit wichtigen Netzwerke haben sich in dieser Zeit hier gegründet. Die Alte Feuerwache ist zu einem in Köln unverzichtbaren Raum für experimentelle Kunst, Kultur und alternative Politik geworden“.
Und so verfügt die Alte Feuerwache auch über ein Studio-Theater. Einfach, aber ausreichend ausgestattet, wenngleich die Bestuhlung längere Aufführungen seriös nicht erlaubt. Hier bringt Jörg Fürst die Inszenierung seiner Spielfassung von Elfriede Jelineks Winterreise zur Aufführung. Als Johan Simons das Stück am 3. Februar 2011 an den Münchner Kammerspielen in drei Stunden uraufführte, bescheinigte Jelinek ihm, dass er zwar nur einen kleinen Teil ihres Textes verwendet, gleichwohl diesen „wunderbar“ inszeniert habe. Fürst ist mutig und kürzt weiter. Nach anderthalb Stunden hat man allerdings – und darin liegt die größte Leistung des Regisseurs – nicht das Gefühl, auch nur einen Gedanken Jelineks verpasst zu haben. Aber er geht noch weiter. Gerade mal drei Schauspieler stehen auf der Bühne. Der Rest der Akteure bringt etwas viel Wichtigeres als eine professionelle Ausbildung mit: Sie blicken auf ein erfülltes Leben zurück und können sich in die Gedankenwelt der Autorin einfinden.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Eigentlich handelt es sich bei der Winterreise um langweiligstes Sprechtheater, das allein seinen Reiz aus den Sprachwindungen Jelineks bezieht. Aber selbst die Sprachkünste der Autorin reichen per se kaum, das Publikum über einen längeren Zeitraum zu fesseln. Da ist schon der Regisseur mit den besonderen Einfällen gefragt, der diese Gedankenwelt richtig umzusetzen vermag. Und Fürst gelingt das brillant. Drei fahrbare Gestelle, die an der Vorderseite mit Stofflamellen bezogen sind, reichen prinzipiell, die gesamte Lebensreise zu umrahmen. Auf der Hinterbühne, die zu zwei Dritteln schwarz abgehängt ist, bleibt noch ein nur selten den Blicken freigegebener Raum, in dem Platz für einen Tisch und ein paar Stühle ist. Fürst folgt nicht dem bislang üblichen Stationenspiel, sondern teilt in fließende Kapitel ein. Allein für diesen Einfall gebührt ihm ein Faust, Götz-Friedrich-Preis oder was es da sonst noch so gibt. Valeru Lisac unterstützt ihn mit ausgesprochen sparsamen Projektionen beispielsweise einer Winterlandschaft oder Bildern einer Entführung. Das ist wohltuend behutsam, zurückhaltend und schmiegt sich in die Aufführung ein. Heinke Storck und Monika Odenthal kleiden das Ensemble in unaufgeregte Kostüme, wenn man vielleicht von ein paar Smokings und einem Brautkleid absehen will, die aber an dieser Stelle dann auch passen.
In diesen Kostümen fühlen sich die Akteure auf der Bühne wohl und können sich ganz auf ihre Rollen konzentrieren. Die Alten blicken auf den Bogen des Lebens zurück, während die Schauspieler sich auf aktuelle Themen fokussieren. Der beständige Wechsel zwischen Chor, Solo-Stimme und vielfacher Wiederholung verschafft dem Stück Spannung und Gleichmaß. Liest man im Programmheft die Altersangaben, die dort explizit aufgeführt sind, möchte man sich vor neun Akteuren auf der Bühne spontan hinknien und ihnen die Hand küssen, so großartig sind die Leistungen der 65- bis 82-Jährigen.
Lisac ist nicht nur für die Projektionen, sondern auch für die musikalische Untermalung zuständig. Er lässt den Lieblingskomponisten von Elfriede Jelinek, Franz Schubert, quasi außen vor und schafft mit Rhythmik und einem live-gespielten Kinder-Xylophon einen eigenen Ton, der sich mit wenigen Akzenten in die Inszenierung einfügt.
Jelinek ist anstrengend für das Publikum, auch dann, wenn das Stück auf ein vernünftiges Maß zurechtgestutzt ist. Und so ist der gemäßigte Applaus eher mit der Erschöpfung des überraschend eher älteren Publikums als mit der Begeisterung für ein rundherum gelungenes Stück zu erklären.
Michael S. Zerban