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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Herand Müller-Scholtes

Aktuelle Aufführungen

Toll trieben es die Römerinnen

„XX“ FORTUNA
(Bibiana Jiménez)

Besuch am
1. September 2016
(Premiere)

 

Tanztheater Bibiana Jiménez,
Römisch-Germanisches Museum Köln

Drei bedeutende Frauen der Kölner Geschichte möchte die im letzten Jahr mit dem Kölner Tanztheaterpreis ausgezeichnete Choreografin Bibiana Jiménez in nächster Zeit in der Domstadt in den Mittelpunkt neuer Kreationen stellen. Bevor die heilige Ursula mit ihren angeblich 11.000 Jungfrauen an der Reihe ist, ging es beim ersten Anlauf im Römisch-Germanischen Museum erheblich sinnlicher und sittenloser zu. Die in Köln geborene römische Potentatin Agrippina, Urenkelin, Ehefrau und Mutter namhafter und berüchtigter Kaiser, steht im Zentrum der 70-minütigen Tanz-Performance XX Fortuna. Untertitel: Ein getanztes Verwirrspiel um Liebe, Verlangen und Macht.

Die verwinkelten Nischen und Räumlichkeiten auf der ersten Etage des Museums bieten ideale Voraussetzungen für ein Verwirrspiel der besonderen Art. Die Besucher bleiben in Bewegung, um möglichst gute Sichtpositionen zu ergattern. Das gelingt nicht immer jedem. Aber auf eine geschlossene Handlung legt die aus Kolumbien stammende und seit Jahren in Europa tätige Choreografin auch keinen Wert. Robina Steyer in der Doppelrolle der Fortuna und der Agrippina hat eine Mammutaufgabe zu erledigen, der sie sich mit Anmut und fast animalischer Sinnlichkeit stellt. Noch bevor die an Händels Agrippina angelehnten Klänge aus der Feder oder besser dem Mischpult des Komponisten Carl Ludwig Hübsch einsetzen, präsentiert sich die in Köln ausgebildete Tänzerin in knappem Outfit im mit einem goldenen Vlies ausgelegten Innenhof, das in der sommerlichen Sonne bizarr aufleuchtet.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Als die Tänzerin auch noch das Oberteil ablegt, wird klar, dass die Verknüpfung von Macht und Sex der zentrale Angelpunkt der Choreografie werden soll. Und die Erwartung wird nicht enttäuscht. Neben Agrippina treten ihr Gatte, Kaiser Claudius, ihr Sohn, der spätere Kaiser Nero, und ihre Schwiegertochter Poppea auf. In vierzehn kurzen Szenen an verschiedenen Standorten des Museums entspinnt sich ein kaum zu entwirrendes Spiel um Macht und Lust zwischen den Figuren, wobei zwei große Liebesszenen in Poppeas Gemach mit der äußerst intensiv agierenden Lisa Freudenthal als Poppea zu den Höhepunkten der Aufführung zu zählen sind.

Foto © Herand Müller-Scholtes

Die Frauen geben den Ton an, sie demonstrieren weibliche Macht und drängen Juan Bockamp als Claudius und Hauke Martens als Nero ein wenig in den Hintergrund. Für die einzelnen Szenen entwickelte Bibiana Jiménez eine differenzierte und kreative Palette unterschiedlicher Bewegungsformationen.

Dass das alles nicht in jeder Phase bierernst gemeint ist, zeigt sich an kleinen Anspielungen, wenn etwa Claudius mit Karnevalsorden behängt aus dem Krieg zurückkehrt, Agrippina, sehr zum Vergnügen der anwesenden Kinder, mit Kamellen wirft und karnevalistisch angehauchte Musik fetzenweise anklingt.

Nachdem sich der Machtkampf zugespitzt hat und zu einem verheerenden Brand führt, werden die Besucher zum Abschluss durch eine antike Tor-Ruine in eine neue Zeit geführt. Ein originelles Finale, das neugierig auf die Fortsetzung des dreiteiligen Projekts macht.

Das Publikum verfolgt die Präsentation äußerst aufmerksam. Warten wir auf Teil zwei des Triptychons.

Pedro Obiera