Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christoph Rösner

Hintergründe

Zeichen für das Theater

Um gegen die Kürzungsbeschlüsse des Stadtrates gegen das Theater Hagen zu protestieren, haben sich am 23. Juni rund 700 Menschen vor dem Rathaus versammelt. Der Lokalzeitung verhagelt die Solidaritätskundgebung derweil die Laune.
OB nimmt die 13.000 Unterschriften entgegen - Foto © Christoph Rösner

Es ist schon am Vormittag so heiß, dass einem bei hoher Luftfeuchtigkeit das Atmen schwerfällt. Rund 700 Leute, so wird die Polizei später mitteilen, hält das nicht davon ab, sich mittags auf dem Theatervorplatz in Hagen zu versammeln. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Aufsichtsrat des Theaters hatten bundesweit zu einem Theater-Marsch aufgerufen, um gegen die Kürzungsvorhaben der Stadt gegen das Theater zu protestieren. Etliche der Teilnehmer waren kurz zuvor auf dem nahegelegenen Hauptbahnhof angekommen. „Ich bin mit dem Zug aus Essen gekommen, zusammen mit etlichen Beschäftigten am Essener Haus. Nachher geht’s mit dem Zug wieder zurück“, berichtet Anthony Hermus, früher selbst Generalmusikdirektor in Hagen. Ebenfalls mit Plakaten und Transparenten dabei sind Abordnungen beinahe aller relevanten Ruhrgebietstheater und -orchester. Selbst aus Karlsruhe gibt es Unterstützung. Intendant Peter Spuhler und Schauspieldirektor Jan Linders vom Badischen Staatstheater sind inzwischen selbst von Kürzungsdrohungen seitens ihrer Stadt betroffen. Ein Grund mehr, Solidarität mit dem Theater Hagen zu zeigen.

Das ist ein umso größerer Erfolg, als es sonst mit der Solidarität in der Theaterlandschaft nicht weit her ist. In Rostock und Dessau blieb die Bevölkerung bei ihren Protesten weitgehend auf sich selbst beschränkt. Im Ruhrgebiet sieht das anders aus. „Hagener Kollegen und Kollegen aus anderen Städten demonstrieren gemeinsam. Wir sehen uns, wenn es um die Rettung von Kulturstätten geht, nicht als Konkurrenten, sondern als gemeinsame Verfechter für eine erhaltenswerte Orchesterlandschaft“, sagt der amtierende Generalmusikdirektor Florian Ludwig. „Mit Pauken und Trompeten“ – so das Motto des Theater-Marsches in Hagen – geht es zur Bühne vor dem Rathaus.

Später wird ein Lokalredakteur kommentieren, das Bühnenprogramm sei mit „branchenüblichem Verve“ vorgetragen. Bislang ist Fantasie in Deutschland noch kein Straftatbestand. Und in der Tat ist der Vortrag des Bassbaritons Rainer Zorn vom Hagener Ensemble durchaus theaterbezogen. Er singt die leicht abgewandelte Bürgermeister-Arie aus Albert Lortzings Zar und Zimmermann – sehr zur Freude des Publikums.  Oberbürgermeister Erik O. Schulz nimmt die nahezu 13.000 Unterschriften der Online-Petition „zur Rettung des Hagener Theaters“ entgegen. Fast wie eine Honecker-Persiflage wirkt seine Ansprache mit den Worten: „Ich versichere Ihnen, niemand im Hagener Rat denkt daran, das Theater zu schließen.“ Das sorgt dann auch für wütende Entgleisungen beim Publikum. „Hau ab!“ und „Lügner!“ ertönen erbitterte Rufe im Publikum.

„Niemand denkt daran, das Theater zu schließen“

Kluge und vor allem kurze Redebeiträge, unter anderem von Hasko Weber, Vorsitzender der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, Videobotschaften von Sabin Tambrea und Guildo Horn, aber auch die Beethovenklänge des Hagener Orchesters unterstreichen im Folgenden die Forderungen nach dem uneingeschränkten Erhalt des Hagener Theaters.

Mit der Ablösung des Kulturdezernenten Thomas Huyeng durch Margarita Kaufmann scheint abseits des Theater-Marsches ein wenig Ruhe in die Diskussionen einzukehren. Auch ist die SPD-Ratsfraktion am Vortag in einer öffentlichen Erklärung zurückgerudert und verlangt mehr Zeit für Gespräche. „Fakt bleibt, dass sich das Theater den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen muss und keineswegs in einem Paralleluniversum abseits aller Konsolidierungsrealitäten eine Zukunft hat“, schäumt derweil kommentierend der Lokalredakteur im Kampf um seine Meinungshoheit und Linientreue.

„Die Ausreise ist – ab sofort möglich“

Dass derselbe Lokalredakteur sich anschließend in einer Publikumsbeschimpfung ergeht, spielt eigentlich keine Rolle mehr. Heute erreicht die Tageszeitung nur noch in Ausnahmefällen ein Drittel der Bevölkerung, meist weniger. In Herne beispielsweise ist es nur noch ein Fünftel. Was vor fünf Jahren noch ein erschreckender Umstand war, ist heute Grund zur Erleichterung. Manipulation statt Journalismus braucht in Zeiten des Internet keiner mehr zu ertragen, der es nicht will. Auch OB Schulz kann sich auf solche Meinungsmache nicht mehr verlassen. „Gespart“ werden muss in einer Stadt, wenn sie denn unter Haushaltsaufsicht steht, an Haushaltsposten, die prozentual relevant sind – und dazu zählen die Theater beileibe nicht.

Mit der Veranstaltung in Hagen hat die Öffentlichkeit klar zur Kenntnis gegeben, was sie will. Die Politik muss jetzt zeigen, ob sie „den Willen des Volkes“ vertritt oder eigene Machtgelüste durchsetzen will. In anderen Städten findet längst ein Paradigmenwechsel statt. Da werden Leuchtturmprojekte unterstützt und gefördert, weil sie dem Wohlergehen der Stadt dienen. Nach den Sommerferien ist Hagen dran.

Michael S. Zerban