Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
Rund 110 Tänzerinnen und Tänzer aus zehn deutschen und vier internationalen Tanzausbildungsinstitutionen erlaubten gleich zu Beginn der „5. Biennale Tanzausbildung“ eindrucksvolle Einblicke in die Vielfalt und das hohe Niveau des Tanz-Nachwuchses. Der Austragungsort der Veranstaltung inklusive diverser Workshops und eines großbesetzten Symposiums markiert bereits die Misere, der die Tanzszene ausgesetzt ist. Gastgeber ist in diesem Jahr die Kölner Oper. Dass die seit Jahren in mehr oder weniger geeigneten Provisorien die unerträglich lange Umbauphase des Stammhauses hausen muss, daran hat man sich zwar gewöhnt. Und mit den Spielstätten im Deutzer Staatenhaus dürften sich auch die nächsten Jahre überbrücken lassen. Bedenklich, aber nicht untypisch für immer mehr städtische und staatliche Theater, ist die simple Tatsache, dass selbst eine Millionenstadt wie Köln nicht in der Lage ist, ein eigenes Tanzensemble zu unterhalten. Da mag Intendantin Birgit Meyer in ihrer Begrüßungsansprache noch so euphorisch von der „Tanzstadt Köln“ träumen. In der Realität muss sich Köln mit einigen Gastspielen und dem Engagement einer Handvoll freier, ständig existenzbedrohter Ensembles begnügen.
Angesichts des Engagements, mit dem die jungen Tänzer in ihrem letzten Ausbildungsjahr die 14 Choreografien erarbeiteten und jetzt an zwei ausverkauften Abenden im Staatenhaus zeigten, bedauert man diese für den Tanz unerfreuliche Entwicklung umso mehr. Dass die Tanz-Biennale seit zwei Jahren auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird, ändert daran nur wenig.
Zu sehen war an den zwei Eröffnungsabenden ein bunter Strauss unterschiedlicher Konzeptionen und Stile, der gerade durch seine Vielfalt reizt, auch wenn manche Entwicklung Fragezeichen provoziert.
Vom klassischen Ballett bis zum Fluxus-Spektakel reichte die Spannweite, wobei sich manche Beiträge mit unterschiedlichem Erfolg einen regelrechten Wettbewerb an teilweise nur scheinbarer „Innovation“ und „Kreativität“ lieferten. Völlig unbeeindruckt von diesem Druck zeigten sich die acht Tänzerinnen und Tänzer der Stuttgarter John-Cranko-Schule, die zu Mendelssohns Italienischer Symphonie in duftig hellen Kleidchen klassisches Ballett in federleichter Reinheit und Eleganz zelebrierten und in der Choreografie von Nicola Biasutti eine Freude an Anmut und Ästhetik vermittelten, die sich sonst nur selten einstellte. Auch Masha Shcerbyna und Thomas Leprohon von der Canada’s National Ballet School Toronto entfalteten in der Eigen-Choreografie des Tänzers einen berückend schönen und sinnlichen Pas De Deux zu sanften Klängen von Max Richter.
Den stärksten Applaus erhielt ein Tanztrio der Codarts – Rotterdamse Dansacademie zur Musik eines Lamentos von Monteverdi. Eine amouröse Dreiecksgeschichte in der Choreografie von Stephan Shropshire, die trotz ihrer originellen, artistisch belebten Bewegungssprache eine hoch konzentrierte Ruhe und Harmonie ausstrahlte.
In größerer Besetzung präsentierte sich die Staatliche Ballettschule Berlin, von der gleich zwölf Absolventen eine Choreografie von niemand Geringerem als Marco Goecke zeigten, in der klassische Formationen durch fantasievolle, schmetterlingshafte Bewegungen von ausgefeilter Detailgenauigkeit aufgefrischt wurden.
Am anderen, unteren Ende der Qualitätsskala sind zwei Produktionen anzusiedeln, die sich angestaubter Mätzchen der einstmals provokanten Fluxus-Szene bedienten. So Mikko Niemistö von der School for Dance and Circus Stockholm, der sich mit stoischer Gelassenheit dreimal aus- und wieder anzog. Ähnlich öde begnügten sich Laura van Bergem und Tea Teearu von der School for New Dance Development Amsterdam mit dünnen Gesten und Bewegungsfloskeln.
Von den Stuttgarter und Berliner Beiträgen abgesehen, hinterließen die meisten deutschen Beiträge einen erstaunlich kopflastigen, wenig sinnlichen Eindruck. Es wurde viel erklärt, teilweise auch in Videobotschaften, die Ergebnisse wirkten jedoch vielfach etüdenhaft einstudiert und wenig spontan. Dass Jean Cébron seine Choreografie für die Folkwang Universität der Künste Essen als „Etüde und Variationen“ bezeichnet, kommt dem Resultat sehr nahe. Und die hämmernde, narkotisierend abstumpfende Klangkulisse von Steve Reich verleitet die vier Tänzer des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz Köln zwangsläufig zu automatenhaften Bewegungsabläufen. Das muss kein Manko sein. Allerdings fehlte beiden Beiträgen ein zwingender kreativer, fantasievoller oder spielerischer Umgang mit den Formationen. Gipfelnd in einer viel zu langen Gemeinschaftsarbeit von neun Tänzern des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz Berlin, die gleich ganz auf die Musik verzichten und in tristen Kostümen Frühsport verrichteten.
Anflüge von ästhetischer Spontaneität waren noch wenigstens beim Beitrag der Akademie des Tanzes der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim zu erkennen. Wertet man die vierzehn Darbietungen als repräsentativ, scheint sich gerade die deutsche Tanzausbildung vom Tanz als theatralischem Ereignis mit ästhetisch-sinnlichem Reiz zu verabschieden und formalistische Bewegungsstudien mit theoretischem Hintergrund in den Mittelpunkt zu rücken. Das wäre angesichts des hohen technischen Standards der Ausbildung mehr als schade.
Ein Problem, das vielleicht auch auf dem international besetzten Abschluss-Symposium „Reflection and Feedback“ – in englischer Sprache – thematisiert wird.
Pedro Obiera