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Hintergründe
Ich habe lange gebraucht, um darauf zu kommen, was nicht nur für mich, sondern auch für die Stadt Köthen vielleicht das Besondere sein könnte in Bezug auf Bach. Das war eben dieser junge, lebensfrohe Bach mit Kindern. Und nicht dieser griesgrämige, mieslaunige, verhärmte, frustrierte, alte Lateinlehrer“, erzählt Folkert Uhde über seinen Amtsantritt als Künstlerischer Leiter der Bach-Festtage. In den vergangenen 15 Jahren baute Hans-Georg Schäfer ein Festival auf, zu dem alle zwei Jahre Bach-Liebhaber aus der ganzen Welt strömten. Mit seiner Amtsübernahme hat Uhde nicht nur die Aufgabe übernommen, dieses Erbe zu sichern, sondern darüber hinaus auch Menschen, die von Johann Sebastian Bach weniger wissen, für sein Werk, die Stadt Köthen und die Region zu begeistern. Man hat sich für ihn entschieden, weil er nicht nur das Radialsystem in Berlin mitbegründet hat, sondern er hat auch bereits verschiedene Festivals zum Erfolg geführt. Und dazu gehört eben auch, dass er zunächst einmal eine Veranstaltung befragt, ehe er die geeigneten Maßnahmen ergreift.
Als in Ungnaden entlassener Konzertmeister reiste Bach mit sechs Kindern und Ehefrau Maria Barbara aus Weimar nach Köthen. Es konnte eigentlich nur noch besser werden. Am 5. August 1717 hatte er seinen Vertrag als Kapellmeister unterzeichnet. Sein neuer Dienstherr, Fürst Leopold von Anhalt-Köthen, trat dem Untergebenen in freundschaftlicher Geste entgegen. Oft genug spielte er als Geiger in seinem hochkarätigen Orchester mit. Die Kapelle war ein Glücksfall für den Fürsten. Die Musiker waren zuvor am preußischen Hof beschäftigt. Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. allerdings brauchte in Berlin keine Musiker und entließ sie kurzerhand. Leopold als Musikliebhaber lud sie ein, in das von Berlin aus nicht allzu weit entfernte Köthen zu kommen, und sie folgten seinem Ruf. Trotzdem wurde vorerst für Bach alles noch schlimmer. 1720, während der Kapellmeister beruflich in Karlsbad weilte, starb seine Frau nach kurzer Krankheit. „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne“, verlangt Hermann Hesse in seinem Gedicht Stufen. Nach Ablauf des Trauerjahres, am 3. Dezember 1721, heiratete Bach die Sopranistin Anna Magdalena Wilcke, die er im Sommer desselben Jahres als Kammersängerin eingestellt hatte – mit dem zweithöchsten Gehalt nach seinem eigenen. Gerade mal 19 Jahre war die Annalena da.
Köthen (Anhalt) ist mit gerade mal etwas mehr als 26.000 Einwohnern Kreisstadt des Landkreises Anhalt-Bitterfeld im Bundesland Sachsen-Anhalt. Hier, in der Mitte des Städtedreiecks Magdeburg, Leipzig und Berlin, ist Geschichte noch lebendig. „Das ist schon faszinierend zu sehen, dass das alles noch da ist. Man kann von Bachs Wohnhaus zum Schloss spazieren. Es gibt da noch eine kleine Kirche, zu der er mit der Familie zum Gottesdienst gegangen ist. Die haben tatsächlich noch in einem Stahlschrank in der Sakristei Unterschriften von ihm. Da gibt es so dicke Folianten, da trug man sich ein, wenn man zum Abendmahl ging. Und es gibt mehrere Eintragungen von seiner Hand“, begeistert sich Uhde. „Auch das Abendmahlsgeschirr gibt es noch, was die benutzt haben. Das ist so was wie der Heilige Gral, möchte man fast sagen. Man spürt sehr viel noch von dem Alltag.“
Geschichte atmet auch die Gegend um Köthen, in die man nicht zufällig gerät. Da muss man schon hinwollen. „Man fährt über das flache Land, durch Alleen, und man sieht von Weitem die Stadt und den Kirchturm. Das war alles damals sicherlich genauso. Deswegen kann man sich da sehr gut hineinversetzen. Auch in diese Ruhe. Und in die Weite dieser Landschaft. Es gibt ja keine Hügel oder Berge oder sonstige Erhebungen. Es gibt einfach nur ab und an kleine, alte Städte. Die mit diesen baumgesäumten Straßen verbunden sind“, erzählt Folkert Uhde, fast verträumt, aber auch vor dem Hintergrund seiner Überlegungen, wie man diese Gegend, die nach seiner Aussage über die höchste Dichte an Weltkulturerbe in Deutschland verfügt, beleben kann.
Uhdes Vorgänger, Hans-Georg Schäfer, hat die Infrastruktur für ein international bedeutsames Festival geschaffen. So verfügt Köthen heute mit dem rund 500 Plätze umfassenden Kammermusiksaal im Marstall des Schlosses über einen Musikraum, „der wirklich von seinen akustischen Eigenschaften, aber auch von seiner architektonischen Gestalt her europäische Spitzenklasse ist“.
Für den neuen Leiter der Bach-Festtage reicht das nicht. Seine Vision reicht über die institutionellen Mauern hinaus. Internationale Künstler, großartige Einspielungen, alles gut und schön. Aber da muss es mehr geben.
Wie es im Leben immer so ist, war auch die eigentlich glückliche Zeit Bachs in Köthen immer wieder überschattet von Schicksalsschlägen. Sieben seiner dreizehn Kinder mit Anna Magdalena starben, Sohn Gottfried Heinrich war geistig behindert. 1723 endete nach sechs Jahren dann auch der Aufenthalt in Köthen. Bach zog als Thomaskantor nach Leipzig, seiner letzten Lebensstation.
Folkert Uhde will das Bachsche Lebensgefühl in die Stadt zurückholen. Nicht einfach ein Festspiel soll es werden, das an den Bürgern der Stadt vorbeigeht, während internationale Gäste für ein paar Tage einfliegen. Sondern die Stadt soll erfüllt sein von dem Festival. Zwei Ansätze verfolgt er dabei. Da gibt es einerseits die Einbindung der Bevölkerung mit einem Schlossfest, das Attraktionen wie Artistik und Musik bei freiem Eintritt präsentiert. Aber es gibt auch die „halben“ oder „Viertelkonzerte“ mit 45 respektive 20 Minuten an ungewöhnlichen Orten in der Stadt. Kurze, aber einprägsame Begegnungen mit der Musik beispielsweise in der Türmerwohnung oder im „ganz reizenden Museum mit einer Sammlung von ausgestopften Vögeln im Schloss“.
Den Event-Charakter will Uhde dabei vermeiden. „Event ist für mich etwas, was möglichst viel Aufmerksamkeit erregt, was schrill und bunt ist und lauter als das Ereignis, was man nur mit der Musik hätte“, sagt er. Stattdessen möchte Uhde anders mit dem Raum arbeiten. „Wo es eigentlich darum geht, die Aufmerksamkeit zu schärfen und den Gehalt, das Eigentliche, also die Musik, noch besser zum Tragen zu bringen. Ich versuche, Assoziationsräume zu schaffen“, beschreibt der Festival-Leiter den neuen Ansatz.
Zu Zeiten Bachs gab es keine Konzertsäle. Der hat seinem Fürsten vorgespielt und vielleicht einer kleinen Gesellschaft. Da würde Uhde gern die ursprünglichen Relationen wiederherstellen. Einerseits. Andererseits hat er von Midori Seiler, Violinistin mit Schwerpunkt Musik des Barock und der Klassik, ein Bachfest-Ensemble zusammenstellen lassen. „Die Jüngste ist 24, und der Älteste so knapp 60. Also ein drei Generationen umfassendes Spezialisten-Ensemble“, erläutert der Festival-Leiter. Das spielt am Mittwoch das Eröffnungskonzert, um sich danach wieder in kleinere Einheiten aufzuteilen.
Und dann blitzt da noch die andere Seite auf. Nicht der Originalklang. Stattdessen, wenn man so will, der Bach der Moderne. Francesco Tristano bespielt den Flügel, während der Klang auf einer großen Leinwand hinter ihm visualisiert wird. Ob diese Visualisierung vonnöten ist? „Das machen wir, um andere Ansätze zu präsentieren. Wie man eigentlich auch mit Bachscher Musik umgehen kann. Jenseits von dieser rein historischen Tradition. Die ich sehr wichtig finde, die aber eben nicht alles sein kann“, befindet Folkert Uhde.
Bei aller Vielfalt wird es – gerade für den unerfahrenen „Bach-Touristen“, der gern ein paar Tage in Köthen verbringen möchte – schwierig, einen Zugang zu finden. Die zugehörige Website jedenfalls scheint kaum geeignet, sich einen Überblick zu verschaffen. Und die Informationen der Kommune sind auch eher marginal. Das Eröffnungskonzert findet am 31. August statt. Ein guter Ausgangspunkt, um einen Aufenthalt bis zum Wochenende zu planen. Denn dann „kracht es so richtig. Dann ist hoffentlich die ganze Stadt ein einziges Gewimmel, und alle rennen von einem Konzert zum anderen“, freut sich Folkert Uhde.
Michael S. Zerban