Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
Einmal im Jahr ist die norditalienische Kleinstadt auf den Beinen, um an einem außergewöhnlichen und ungewöhnlich erfolgreichen Musikfestival teilzunehmen. Viele Orte werden unkompliziert bespielt, zum Teil ist der Zugang zu den Konzerten kostenlos, teilweise ist er in der Besichtigung der herrschaftlichen Monumente eingeschlossen oder diese finden zu geringen Einheitspreisen in architektonischen Kostbarkeiten wie der romanischen Rotonda San Lorenzo, der ältesten Kirche am Platz, oder in dem einmalig schönen Teatro scientifico, bekannter unter dem Namen seines Architekten Bibiena, statt.
Es wird fleißig zwischen den unterschiedlichen Festspielorten marschiert. Dichtgedrängt geht es durch lange Wandelhallen oder imposante Zimmerfluchten im mächtigen Herzogspalast, entlang an Gemälden, Wandteppichen oder verspielten Fresken. Ein andermal durch den mittelalterlichen Stadtkern mit verwinkelten Gassen und romantischen Plätzen. Die Stadt öffnet wahrlich alle ihre Schätze und zeigt sich gut vorbereitet auf den eindrucksvollen Besucheransturm, einmal mehr in diesem Jahr als Kulturhauptstadt Italiens.
Zumeist junge, ambitionierte Künstler demonstrieren mit viel Herz und Begeisterung ihr makelloses Können mit anspruchsvollen, gut ausgewählten Kammermusikstückchen. Dazu gesellen sich international etablierte Künstler wie Vilde Frang, Alexander Lonquich oder Nicolas Altstaedt, die mit einer gemeinsamen, lebhaften, stark akzentuierten und in allen Instrumenten ausgeprägten Interpretation vom selten gespielten Trio in f-moll von Antonín Dvořák ihre Musikalität unterstreichen. An fünf Tagen werden über 100 Konzerte von 185 Künstlern förmlich abgespult. Das Konzept des Festivals überzeugt. Die Konzerte umfassen meist nur ein markantes Stück und dauern ungefähr eine halbe Stunde. Kommt es zu zeitlichen Verzögerungen, spürt man die Unruhe im begeisterten Publikum, nicht das Anschlusskonzert zu versäumen. Dazu kommt die Angst, an manchen Plätzen keinen Einlass zu finden, da die kleineren Räumlichkeiten sich schnell füllen.
Man erlebt ein für klassische Konzerte seltenes Bild. Zuschauer aus allen Generationen drängen sich auf engem Raum, sitzen auch am Boden, umkreisen die Künstler und lauschen mit Intensität und Stille. Das von morgens bis Mitternacht. Am Ende des Tages wird man noch mit romantischer Klaviermusik von Chopin in unvergesslichem romanischem Ambiente sanft in wohlverdiente Nachtruhe entlassen. Diese Festspielgestaltung ist für einen geschichtsträchtigen und an Kunstschätzen so reichen Ort wie Mantua naheliegend. Trotzdem muss man die perfekte Organisation herausheben, die es schafft, den komplexen Ablauf und das Zusammenwirken mit einem Museumsablauf so reibungslos mit sanfter Führung umzusetzen.
Die beiden verantwortlichen Agitatoren, der Direktor des Museums, Peter Assmann, und der musikalische Leiter sowie Initiator, Carlo Fabiano, spielen hier in gegenseitiger Anerkennung gut zusammen. So gelingt es, die Idee, die Kammermusik an ihrem Ursprungsort, den privaten Gemächern und Festsälen der meist adeligen Auftraggeber, wieder zum Leben zu erwecken. Ein wunderbares Erlebnis, das auch besonders durch das Gemeinschaftsgefühl lebt. So bilden sich unkompliziert grenzenlose Musikbekanntschaften, die ihre Begeisterung teilen, ja auch gegenseitig anfeuern. Gesprächsstoff gibt es ja genug, und zum Abschied verabredet man sich für das nächste Jahr. Kunst lebt und überlebt. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.
Helmut Pitsch