Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
Während sich in Frankreich alles um die Fußballeuropameisterschaft dreht, liefern die diesjährigen Potsdamer Musikfestspiele passend zum Sportevent des Nachbarlandes das musikalische Begleitprogramm. Und nennen es treffend: Bonjour, Frankreich!
Das Programm, von Andrea Palent klug zusammengestellt, ist so exquisit wie vielseitig. Die musikalische Auswahl stellt Jean-Philippe Rameau und einige seiner Zeitgenossen ins Zentrum, beschränkt sich aber nicht auf Barockmusik. Impressionisten, wie Ravel, Chausson oder Duparc, sind ebenso vertreten wie französische Chansons oder Jazz, der eine Liaison mit alter Musik eingeht.
Doch es sind nicht nur die musikalischen Genüsse und das Aufgebot an erlesenen Solisten und Ensembles, die das Publikum nach Potsdam locken, sondern genauso die ausgewählten Etablissements im und um Schloss Sanssouci herum, die mit den Darbietungen harmonisieren: Auf den Terrassen der Orangerie entfaltet Jordi Savall und das Orchester Le Concert des Nations die ganze Pracht königlicher Feste von Versailles, im Palmensaal des Neuen Garten erklingt Harfen- und Gambenmusik, im Ehrenhof sind Flötenkonzerte angesetzt, in der Friedenskirche gibt es geistliche, in verschiedenen Schlossgemächern weltliche Vokalmusik und im Palais Lichtenau lebt die Pariser Salonkultur wieder auf. Und wer viel auf einmal sehen möchte, bucht eines der beiden Fahrradkonzerte und erkundet Potsdam à la française, natürlich mit entsprechender Musik bei den Stops.
Zwei Opern werden angeboten. Die erste findet im Orangerie-Schloss Sanssouci statt. Gespielt wird die Tragödie Armide von Jean-Baptiste Lully, als Koproduktion mit den Innsbrucker Festspielen für Alte Musik, wo sie im Rahmen des Nachwuchssängerprojekts Barockoper:jung einstudiert wurde. Zu den Lehrern gehören der auch selbst mitwirkende renommierte Tenor Jeffrey Francis und der Dirigent Patrick Cohën-Akenine. Sie haben erstklassige Arbeit geleistet, denn die sieben jungen Solisten, vorneweg Emilie Renard in der Titelrolle, sind durchweg vorzüglich und fühlen sich souverän ein in Lullys spezifische Sprachmelodie und Verzierungskunst. Das stützende Orchesterfundament liefert das Instrumentalensemble Les Folies Françoises, das Cohën-Akenine, der auch die erste Geige spielt, zum vital beredten Spiel inspiriert.
Abgesehen von Francesco Vitalis prächtigen Barockkostümen, kommt Armide, das Liebesdrama zwischen der Zauberin Armide und dem Kreuzritter Renaud, ohne Ausstattungspomp aus. Nur die wechselnden Prospekte im Hintergrund deuten Unterwelt oder Zaubergarten an, darüber hinaus werden die Seitenbalustraden und der Gehweg vor den Parkanlagen ins Spiel mit einbezogen. Die Inszenierung von Deda Christina Colonna verbindet moderne psychologische Personenführung mit historisch fundierten Tanzeinlagen – furios dargeboten von den Nordic Baroque Dancers – die, ein Markenzeichen der höfischen Oper, in die Handlung integriert sind.
Auch die zweite Opernproduktion, diesmal im Hans-Otto-Theater angesiedelt, bietet dem Tanz breiten Raum. Der Abend, einem Streifzug durch französische Bühnenmusik des frühen 18. Jahrhunderts gleich, beginnt mit Louis-Nicolas Clérambaults Kantate La Muse de l’Opéra, in der Chantal Santon-Jeffery als Muse des Operngesangs mit expressiver Vokalartistik brilliert und formvollendet verschiedene Charakteristika der französischen Barockoper vorstellt. Das tänzerische Pendant bildet Jean-Féry Rebels abstrakte Ballettsuite Les Charactères de la Danse, eine Reihe von Variationen, die die Compagnie Les Cavatines, ganz in Rot gekleidet, beschwingt und voller Lebensfreude tanzt.
Nach der Pause geben sich Sänger und Tänzer in Rameaus Einakter Pygmalion ein fröhliches Stelldichein. Natalie van Parys, auch sie Regisseurin und Choreografin in Personalunion, aktualisiert die mythische Sage um den Bildhauer, der sich in eine von ihm geschaffene Statue verliebt, und entwickelt ein kurzweiliges Sommervergnügen über die Liebe. In einem von Antoine Fontaine im Watteau-Stil entworfenen arkadischen Park streifen junge Leute von heute herum, unter ihnen Pygmalion, der von der Statue zu träumen beginnt. In die Realität zurückgekehrt, erkennt er in einem jungen Mädchen das Ebenbild der Skulptur. Der Pygmalion von Anders J. Dahlin, begabt mit einem weichen, alle Höhen mühelos erklimmenden Haut-Contre-Tenor, und die drei weiteren Solisten nehmen mit vokaler Stilsicherheit für sich ein. Christophe Rousset, eine Kapazität in Sachen historischer Aufführungspraxis, treibt sein fabelhaftes Instrumentalensemble Les Talens Lyriques zu solch spritzigem, farbenfrohem Spiel an, dass der berühmte Funken gleich mit Beginn der Ouvertüre aus dem Orchestergraben ins Publikum überspringt.
Nach gut zwei Wochen enden die Musikfestspiele so wie sie begonnen haben: mit einem großen Konzert und abschließendem Feuerwerk vor spektakulärer Schlosskulisse. Grund zum Feiern gibt es über das erfolgreich beendete Festival hinaus. Denn gerade erst wurde die Städtepartnerschaft zwischen Potsdam und Versailles besiegelt, die auch eine engere Kooperation zwischen den Schlossfestspielen beider Kommunen beinhalten wird.
Karin Coper