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Hintergründe
Als eine Schubertiade bezeichnet man ganz allgemein eine Veranstaltung, bei der Werke des Wiener Komponisten Franz Schubert aufgeführt werden. Die ersten Schubertiaden fanden ab 1821 in Wien in Form von Hauskonzerten statt, bei denen der Komponist selbst am Klavier saß. Heute tragen vor allem Festspiele, die sich mit dem Werk Schuberts befassen, diesen Namen.
Vor allem das herrlich gelegene Schwarzenberg mit seinem auf grüne Almwiesen gebetteten, akustisch exzellenten, holzverkleideten Angelika-Kauffmann-Saal lockt immer wieder eine internationale Gästeschar zu einem Fest großer Stimmen und hervorragender Kammermusik, geboten in einer besonders stimmungsvollen Atmosphäre.
Und der Anspruch des Festivals ist hoch. Weil im vergangenen Jahr die 40. Schubertiade stattfand und heuer das vierzigjährige Bestehen seit der ersten Veranstaltung im Mai 1976 in Hohenems gefeiert wird, haben die Verantwortlichen sich vorgenommen, sämtliche 600 Lieder von Franz Schubert zur Klavierbegleitung – teilweise in mehrfacher Aufführung – zu Gehör zu bringen.
Zum ersten Mal mit dabei: Anja Harteros. Sie wird begleitet von Wolfram Rieger, dem unvergleichlich einfühlsamen Klavier-Interpreten der Lieder. Die wunderbar klare, glanzvolle Stimme der gefeierten Sopranistin präsentiert unprätentiös gleich zu Anfang bekannte Goethe-Vertonungen, so den Ganymed, fein differenzierend, bestens textverständlich, mit strahlendem Schimmer, in schmiegsamen Übergängen; auch das Lied der Mignon betört durch feinste Betonungen, macht die „Verklärung“ spürbar. Phänomenal der Einsatz der Kopfstimme, die Betonungen ohne jede Forcierung. Alles scheint ganz selbstverständlich von innerer Kraft getragen. Die Sängerin gestaltet mit Seele und Verstand, und jedes einzelne Wort besitzt bei ihr Bedeutung. Sie spielt quasi mit den Vokalen, lässt als Tod das Zwielichtige ahnen und bei der Klage des Mädchens die süße Verheißung von neuem Glück mitempfinden. Die verschiedenen Arten der irdischen, meist unglücklichen Liebe bis hin zur himmlischen, erfüllten Liebe der jungen Nonne steigert sie bis zu einem überirdisch feinen Alleluja. Auch bei der Betrachtung des Mondes faszinieren das Träumerische ebenso wie das Sehnsüchtige, das sich in der Naturidylle spiegelt; alles ist ein klangvolles Tongemälde bis hin zum kostbaren, verheißungsvollen Frühlingsglauben. Bei solchem Genuss gerät das Publikum ins Schwärmen und jubelt lange voller Begeisterung; zwei wunderbare Zugaben belohnen den riesigen Beifall.
Auch Julia Kleiter präsentiert zusammen mit Michael Gees am Klavier ein bestens aufeinander abgestimmtes Programm, der Naturbetrachtung gewidmet, die wie immer bei Schubert Seelenzustände wiedergibt. Die sympathische Sopranistin verlässt sich weniger auf differenzierte Gestaltung als auf die Schönheit ihrer klaren, hellen, großen Stimme, die vor allem in der Mittellage trägt, in der Höhe manchmal etwas spitz angesetzt ist; so entfaltet sich vom Morgenlied bis zur Abendröte ein reiner, fast unschuldiger Genuss von Naturstimmungen und den dadurch hervorgerufenen Gefühlsregungen. Vieles klingt wegen des strahlenden Stimmglanzes etwas gleichförmig, ist Wohlklang pur und endete in einem innigen Gebet. Dem Publikum aber gefällt es sehr.
Dass jedoch Stimmglanz nicht alles ist, zeigt der Liederabend mit Christina Landshamer und Maximilian Schmitt, einfühlsam und bestens unterstützend begleitet von Gerold Huber am Klavier. Doch die Sopranistin aus München, leider nicht sehr textverständlich singend, verlässt sich ganz auf ihre hell strahlende Stimme und ihre schön fundierte Mittellage; die Höhen kommen manchmal etwas eng, nicht allzu frei. Dennoch ist es ein interessanter Liederabend dank des Programms und ihrem Partner, dem Tenor Maximilian Schmitt. Er verfügt über eine jugendlich helle, füllige, angenehm timbrierte Stimme, atmet allerdings anfangs noch etwas stark an. Sein großes Plus sind seine gute Textverständlichkeit und seine ausdrucksvolle Gestaltung. Man beginnt mit dem, was Schubert der heimlich, aber vergeblich angebeteten Therese Grob ins Liederalbum 1816 geschrieben hatte, Vertonungen von Gedichten, die von Hoffnung über Melancholie bis zu verzweifelter Fröhlichkeit reichen. Im zweiten Teil des Abends stehen idyllische bis heldische Themen auf dem Programm, so Der Schäfer und der Reiter, und im dritten Teil geht es um die Beziehungen unter Liebenden; da passt dann das bekannte Du bist die Ruh gut dazu, und die Warnung vor allzu großer Zuversicht in die Beständigkeit der Liebe, gipfelnd im zweistimmig vorgetragenen Licht und Liebe.
Was ein herausragender Opernsänger aus Schubert-Liedern alles an Dramatik herausholen kann, beweist der Bassbariton Gerald Finley, von Julius Drake sehr kraftvoll am Klavier begleitet. Zunächst widmet sich das Programm mythologischen Themen. Mit seiner starken, fülligen, männlich wohlklingenden Stimme gestaltet Finley, bestens artikulierend, gleich einen eindrucksvollen Prometheus als bewegende Mini-Oper, als Aufbegehren und Aufwiegelung gegen göttliche Allmacht. Dabei setzt er alle Facetten von Aussagemöglichkeiten ein, nimmt seine Stimme oft sehr zurück, steigert sich vom sanft Dahinschmelzenden, fast flüsternd, bis hin zu starker Empörung gegen die Götter. Mit solcher Gestaltung ist der Weg bereitet zu Vertonungen von Sturm-und-Drang-Gedichten Goethes. Mahomets Gesang gerät fast expressiv, ebenso An Schwager Kronos äußerst bewegt und akzentuiert. Da sind dann vier Lieder nach Gedichten von Ernst Schulze ein eher versöhnlicher Abschluss, auch wenn sie von innerem Aufruhr, so wie sie Finley vorträgt, künden, vom schmerzlichen Verzicht auf irdisches Glück und der Hoffnung auf Frieden in der Natur. Jubelnder Beifall und zwei Zugaben.
Der Ritter- und Schauerromantik und dem legendären Sängerwettstreit gewidmet ist der Abend mit Sophie Karthäuser, Christoph und Julian Prégardien sowie Michael Gees am Klavier. Während der Pianist mit etwas hartem Anschlag bei manchmal aufgesetzter Dramatik etwas laut wird, ergänzen sich die drei Stimmen bestens. Erstaunlich, was Schubert so alles an Seltsamem vertont hat. Der Abend beginnt mit Des Fräuleins Liebeslauschen vor einem Burgfenster, behandelt dann die tragische Schmonzette über Don Gayseros und enthält auch die Sage vom Gott und der Bayadere, um mit dem Erlkönig das Reich der Geister zu streifen. Oft übernimmt dabei Vater Christoph Prégardien mit kostbar klingendem, wohltönendem Tenor die Erzählerrolle, aber in einzelnen Liedern wie Alte Liebe rostet nicht kann er auch Glanz, Nachdruck und Witz entfalten, während Sohn Julian mit jugendlich heller, großer Stimme und strahlendem Schwung begeistert. Bei beiden hervorragend die Textverständlichkeit! Die ist bei Sopranistin Karthäuser nur wenig gegeben, und ihre große, leicht dunkel timbrierte Stimme mit viel opernhaftem Vibrato kann sich zwar dramatisch steigern, beeindruckt mit schöner Mitte und Tiefe, ist aber für Schlicht-Liedhaftes nicht ganz so geeignet. Dennoch präsentiert sich das Trio vorteilhaft im zweiten Teil in einer Art Sänger-Wettstreit, vereint sich schließlich im Nachtstück zu tröstlich kostbarer Harmonie und zeigt nach einem bejubelten Ende in der Zugabe Im Abendrot, was die drei zusammen an Wohlklang verströmen können.
Dass der Zyklus Winterreise für eine Männerstimme komponiert ist, aber auch gelegentlich Frauen zum Singen reizt, verwundert nicht. Nun wagt sich eine profilierte Wagner-Sängerin wie Adrianne Pieczonka an diese so traurige Absage Schuberts an die Welt, und wieder einmal erweist sich: Eine große Opernstimme, und mag sie noch so schön klingen wie die dieser Sopranistin, braucht etwas Zeit, um sich ins Schlichtere, kleinteilig Gefühlvolle hineinzufinden. Doch sie hat mit Wolfgang Rieger einen Pianisten zur Seite, der wie kaum ein anderer alle Schattierungen der emotionalen Regungen am Klavier beherrscht und auch sonst wunderbar illustrieren kann. So gelingt, nach einigen allzu starken Betonungen, die der introvertierten Seelenschau des einsamen Wanderers noch nicht ganz gerecht werden, der Sängerin schließlich doch eine beeindruckende Wiedergabe des Liederzyklus; hervorzuheben sind dabei die sehr gute Textverständlichkeit und der klare Klang dieser großen, glanzvollen Stimme, die weniger berührt durch eine verzweifelt resignierende Interpretation, eher ergreift durch schmerzliche Facetten; der fein gestaltete Frühlingstraum wird bald durch düstere Ahnungen wie in Die Krähe aufgehoben, und mit einem fast offen endenden Leiermann findet alles einen sinnvollen Abschluss. Die Zuhörer bejubeln das eigentlich gelungene Wagnis einer großen Sängerin.
Immer wieder wird die Krise, ja, der Untergang des Liedes heraufbeschworen. Und mindestens genauso oft dementiert. Die vergangene letzte Woche im August im Vorarlberger Schwarzenberg hat einmal mehr gezeigt, dass diese Kunstform auch in der Gegenwart ihre Daseinsberechtigung hat. Und, so lange es Sängerinnen und Sänger gibt, die sie dermaßen eindrucksvoll vortragen können, auch immer geben wird.
Renate Freyeisen