Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
55 Sängerinnen und Sänger aus Hamburg, Lübeck, Rostock, Hannover und Bremen haben für den Maritim-Musikpreis vorgesungen. 15 konnten sich für das Halbfinale qualifizieren, das im Maritim-Seehotel am Timmendorfer Strand vom 10. bis zum 12. Dezember stattfindet.
Eine der Besonderheiten des Wettbewerbs ist, dass die Klavierbegleiter der Sänger ebenfalls einen Wettstreit untereinander austragen, sofern sie selbst noch studieren. Allerdings fällt die Entscheidung über diesen Gewinner bereits nach dem Halbfinale, damit alle Begleiter die gleichen Chancen haben, falls ihr Sänger das Finale nicht erreicht. Und das schaffen von den 15 Teilnehmern nur sechs. Ihr Vortragspensum ist anspruchsvoll. Neben einer Arie aus Oper oder Operette müssen sie auch ein Lied oder aus einem Oratorium vortragen.
Das Finale beginnt, und damit biegen Musikwoche und Musikpreis auf der Zielgeraden ein. Die Begrüßungsreden werden erfreulich kurz gehalten. Und schon wird der Auftritt von Bariton Jang-Won Lee angekündigt. Rainer Wulff moderiert auch das Finale. Jang-Won Lee eröffnet mit der schmissigen Carmen-Arie Votre toast, je peux vous le rendre ... Toréador, en garde - vielen besser bekannt als Auf in den Kampf, Torero. Mit großer Geste trägt der Sänger vor und sorgt so shon für erste Bravo-Rufe. Es folgt, deutlich schwergewichtiger, der Monolog des Ford aus Verdis Falstaff. Auch hier lebt der Bariton den Vortrag aus. Sehr eindrucksvoll. Seine Klavierbegleiterin ist übrigens die 33-jährige Seonwha Lee. Und es darf an dieser Stelle schon verraten werden: Sie hat den diesjährigen Klavierpreis gewonnen. Der Applaus fällt erwartungsgemäß etwas ruhiger aus - und wird so dem Vortrag nicht ganz gerecht.
Startnummer zwei ist Réka Kristóf. Sie wird begleitet von Márton Terts. Kristóf tritt in dramatischem Rot auf. Porgi, amor, qualche ristoro heißt der erste Vortrag - die Arie der Gräfin aus Mozarts Le nozze di figaro. Kurz, technisch ohne Einwände, aber auch wenig aufregend. Da muss sie jetzt mit der Arie der Rusalka Mesicku na nebi hlubokém ausgleichen. Und das gelingt ihr auch. Das Lied an den Mond bietet mehr Raum für einen emotionalen Vortrag. Der runde Sopran perlt ohne Schwierigkeiten in die Höhen und klingt auch in der Mittellage voll und kräftig. Eine großartige Leistung der 26-Jährigen, die mit Bravi belohnt wird.
Countertenor Jung Kwon Lang startet an dritter Stelle in Begleitung von Jongeun Lee. Ausgesprochen humorvoll von Wulff angekündigt. Als erstes steht wieder die Händel-Arie Ombra mai fù auf dem Programm, mit der er schon im Halbfinale begeisterte. Der Xerxes liegt dem Sänger, und dass die Arie ein bisschen was Weihnachtliches hat, ist in dieser Zeit ja auch ganz schön. Es schließt sich an Rossinis O patria dolce ... Tu che accendi ... Di tanti palpiti aus Tancredi. Steif und starr steht der 31-Jährige heute auf der Bühne. Aber sein glänzendes Gesicht verrät die Anspannung. Auch hier dankt das Publikum mit Bravi.
Marina Ber tritt heute in einem silberfunkelnden Abendkleid auf. Begleitet wird sie von Mariia Narodytska mit filigranem Spiel. Ber beeindruckt mit viel Emotionalität in der Interpretation der Bellini-Arie Eccomi in lièta vesta ... Oh! quante volte. Die Stimme erklingt im schönsten Belcanto-Klang und mit scheinbarer Leichtigkeit. Trotzdem bleibt es bei freundlichem Applaus. Jetzt muss ihr Mozart helfen. Das Alleluja aus der Motette Exsultate jubilate ist dem Publikum womöglich etwas näher. Freundlicher und lebendiger ist es allemal. Ber, die sich am Flügel festhält, gelingt trotz großer Anspannung, noch zwischendurch ein Lächeln. Das Publikum dankt knapp.
Nach der Vorstellung der Jury tritt Konstantin Lee in Begleitung von Ae Shell Nam auf. 27 wird der Tenor heute - und haut, wie es sich für einen Tenor gehört, erst mal einen Gassenhauer raus. La donna è mobile darf es schon sein. Der Pianist lässt sich in der Lautstärke von der Dynamik der Rigoletto-Arie mitreißen. Mit Ah, mes amis!, der Cavatine des Tonio auf Donizettis Regimentstochter holt Lee auch die letzten Zweifler auf seine Seite. Schauspielernd steht er bestens gelaunt auf der Bühne und genießt, sein Können zu präsentieren. Das Publikum ist hin und weg.
Ebben! Ne andrò lontana - Mit der Arie der Wally aus der gleichnamigen Oper von Alfredo Catalani will Raffaela Lintl Publikum und Jury überzeugen. Begleitet wird sie von Mikkel Möller Sörensen. Dramatisch das seidige Rot der Abendrobe, dramatisch auch der Gesichtsausdruck, die Bewegung auf ein Minimum reduziert. Und noch einmal eine schöne Gelegenheit, die Ausgereiftheit ihrer Stimme zu beweisen. Dann darf es als letzte Startnummer noch ein "Rausschmeißer" sein: Meine Lippen, sie küssen so heiß, schwärmt Franz Lehárs Giuditta. Zuckerguss zum Abschluss. So gefällt's. Und dann gibt's auch noch die Pirouette auf der Bühne. Das muss doch was werden. Rauschender Beifall.
Das es ein unglaublich enges Finale werden würde, war abzusehen. Aber so viel Spannung war selten. Jetzt zieht sich die Jury zurück.
Wie gewohnt, sind die Stimmen schnell ausgezählt. Den dritten Platz belegt Jung Kwon Jang, auf dem zweiten Platz landet Raffaela Lintl. Gewonnen hat den Maritim-Musikpreis 2015 das Geburtstagskind Konstantin Lee. Die Feiern können beginnen.
Michael S. Zerban
Das erste Halbfinale im Konzertsaal des Maritim ist gut besucht. Da nahezu die Hälfte der Teilnehmer in diesem Jahr aus Südkorea stammen oder andersherum nur zwei Sängerinnen aus Deutschland stammen, hält sich die Zahl der Angehörigen in Grenzen. Immerhin sind auch einige wenige Professoren gekommen, um ihre Schützlinge zu unterstützen. So fällt der Applaus nach den einzelnen Darbietungen eher zurückhaltend und kurz aus. Trotzdem dürfen sich die Vortragenden einer hohen Aufmerksamkeit und Bewunderung seitens des Publikums erfreuen. Die zehnköpfige Jury, bestehend aus Sängern und Journalisten sowie Dominique Caron, Intendantin der Eutiner Festspiele, hat sich - anders als beim Finale - über den ganzen Saal verteilt.
Traditionell stellt Rainer Wulff Sängerinnen und Klavierbegleiter sowie ihr Programm vor dem Auftritt vor. Das Spektrum ist erstaunlich breit gefächert und reicht von der 21-jährigen Klavierbegleiterin aus China bis zum 31-jährigen Sänger mit Bühnenerfahrung. Tatsächlich plätschert die erste Runde des Halbfinals zunächst vor sich hin. Hier und da sind gute Anlagen oder das Bemühen zu erkennen; man ärgert sich, dass es beim Nachwuchs immer noch Sänger gibt, die die Bedeutung der Textverständlichkeit nicht begreifen, wieder ein anderer lässt bei einer allzu bekannten Arie gleich mal Buchstaben weg, weil es sich dann besser bindet. Bei der nächsten Sängerin ist die Stimme nach vierjährigem Studium so weiß, dass man am liebsten den Gesangslehrer entlassen möchte, der sie immer noch ihre Zeit vergeuden lässt.
Mit der Startnummer sechs dann der erste Lichtblick. Jung Kwon Jang ist 31 Jahre alt, kommt aus Südkorea und bereitet sich in Hamburg nach seinem Master-Studium auf das Konzertexamen vor. Der Countertenor trägt A Route to the Sky No. 4 aus The Paper Wings von Jake Heggie geradezu hinreißend vor. Geschenkt, dass die Händel-Arie Ombra mai fù nicht fehlen darf. Mit schöner Mimik und Gestik verleiht er seiner charakterstarken Stimme Ausdruck. Seitdem Valer Sabadus, Max Cencic und Kollegen dem Countertenor die Exotik genommen und ihn zu einer höchst intellektuellen Kunstform entwickelt haben, darf Jung Kwon Jang wohl auf eine außerordentliche Karriere hoffen.
Leise Aufbruchstimmung macht sich im Publikum breit, als Wulff die letzte Kandidatin des Tages ankündigt. Die 26-jährige Raffaela Lintl ist Mitglied des Internationalen Opernelitestudios Lübeck, nachdem sie ein Studium in Weimar begonnen hat und nun Schülerin bei Manuela Uhl in Lübeck ist. Ihre Meisterkurse lassen aufhorchen: Brigitte Fassbaender, Cheryl Studer, Helen Donath und Francisco Araiza haben sie geprägt. Ihr kultivierter Sopran trägt technisch einwandfrei und hochemotional ein eher seltenes Wettbewerbsprogramm vor. Mit In dem Schatten meiner Locken von Hugo Wolf holt Lintl ihr Publikum auf der dramatischen Ebene ab. Und verschafft so sich und dem ersten Teil des Halbfinals einen ganz starken Abgang. Beschlossen wird der erste Wettbewerbstag mit einem Brahms-Abend nach dem Abendessen. So schön kann Urlaub sein.
Lintl reist nach dem Abendessen ab. Sie hat am nächsten Tag einen Auftritt in Lübeck. Als Finalteilnehmerin müsste sie am Samstag noch einmal an den Timmendorfer Strand fahren. So recht scheint sie von dieser Möglichkeit nicht überzeugt zu sein.
Früher gab es in Hotels Spielzimmer, wo man mit Kartenspielen, Schach, Malefiz oder Mensch-ärgere-dich-nicht gräßlich verregnete Urlaubsnachmittage totschlagen konnte. Heute steht auf jedem Zimmer ein Fernseher, und kostenloses WLAN sorgt dafür, dass auch die Jungen Ruhe halten. Im Maritim am Timmendorfer Strand ist sowohl das eine wie das andere am zweiten Wettbewerbstag überflüssig. Pünktlich um halb vier ist der Konzertsaal etwas besser besucht als am Vortag. Weitere sieben Sängerkandidaten stehen mit ihren Klavierbegleitern bereit, für einen kurzweiligen Nachmittag zu sorgen. Wieder hat jedes Team maximal zwölf Minuten, um Publikum und Jury von seiner Exzellenz zu überzeugen.
Aus Kolumbien stammt die 24-jährige Mezzosopranistin mit dem schönen Namen Fiorella Maria Hincapié Colorado. Da freut sich jeder Programmheft-Gestalter, wenn er die Besetzungsliste setzt. Lebenslustig, mit einer ausgesprochen sympathischen Ausstrahlung und erster Schauspielerfahrung versucht sie, gleich zum Auftakt, das Publikum mitzureißen. Eigentlich hat sie dazu ein ganz schönes Programm zusammengestellt. Warum sie daraus ausgerechnet Rossinis Una voce poco fa auswählt, erschließt sich nicht so recht. Mit der Arie Al pensar en el dueno de mis amores aus der Zarzuela Las hijas del Zebedeo von Ruperto Chapi, gewinnt sie schließlich die Herzen der Besucher.
Mit der Startnummer zwölf nimmt das zweite Halbfinale dann richtig Fahrt auf. Wenn auch etwas verzögert. Denn, man glaubt es kaum, die 30-jährige Marina Ber startet mit Una voce poco fa. Ihr souveräner Auftritt verhindert, dass das Publikum zum "Wettbewerbsschlager" gähnt. Dass sie Richard Strauss' Zueignung nachschiebt, die immer gern genommen wird, wenn bei einem Wettbewerb die Gattung Lied gefordert ist, macht es nur insofern besser, als sie die beste Interpretation des Wettbewerbs liefert. Überzeugen kann sie schließlich mit Mein Herr Marquis - Fledermaus geht immer.
Im vergangenen Jahr kam er beim Maritim-Musikpreis ins Finale. Mit 26 Jahren hat Tenor Konstantin Lee aus Südkorea seinen Master in der Tasche und bereitet sich in Hamburg auf das Konzertexamen vor. Aber was ist passiert? Die Jury erkennt den Burschen kaum wieder. Im Stimme, Ausdruck und Impetus hat er wenigstens noch einmal hundert Prozent draufgelegt. Bei Freunde, das Leben ist lebenswert gelingt ihm gar eine Gänsehaut-Stelle. Wenn das nicht passt.
Die Ungarin Réka Kristóf wurde in der Slowakei geboren. Absolvierte zunächst ein Ökonomie-Studium. Heute studiert sie in Bremen. Man erlebt nicht so oft, dass sich jemand mit 26 Jahren als dramatischer Sopran empfiehlt. Kristóf gelingt das. Ihrem souveränen Auftritt schließt sich ein weiterer und letzter Höhepunkt des zweiten Halbfinals an. Bariton Jang-Won Lee, 28. Südkorea, schließt sich dem Trend an: Anstatt gesichtsstarr am Flügel zu kleben, gibt er mit Si corre dal notaio einen sängerisch wie darstellerisch hochakzentuierten Gianni Schicchi. Oper kann ja so viel Spaß machen. Lee zeigt es.
DIE FINALISTEN
Jang-Won Lee, Bariton
Réka Kristóf, Sopran
Jung Kwon Jang, Countertenor
Marina Ber, Sopran
Konstantin Lee, Tenor
Raffaela Lintl, Sopran
In bester Stimmung zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Der Zeitplan ist eng gestrickt. Aber selten ist sich eine Jury so einig wie heuer am Timmendorfer Strand. Selbst diejenigen Wettbewerbsteilnehmer, die auf die hinteren Plätze nach Stimmauszählung kommen, können noch mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen. Das ist ein deutliches Zeichen. Zügig kann die Reihenfolge der Auftritte für das Finale festgelegt werden. Auch die Diskussion über die Programmauswahl wird sachlich und einvernehmlich geführt. Pünktlich wird den Wettbewerbsteilnehmern das Ergebnis mitgeteilt. Und während die Sänger der Jury noch Beratungsgespräche mit denjenigen führen, die das Finale nicht erreicht haben, kommen die übrigen Jury-Mitglieder in der Reflektion einmütig zu der Auffassung, dass die Richtigen im Finale stehen. Gewöhnlich wird an dieser Stelle im harmlosesten Falle von "politischen Entscheidungen" gesprochen. Denn Jury-Mitglieder sind nicht die Experten, Spezialisten, Abgehobenen, die von oben herab Entscheidungen fällen, die sie nicht weiter berühren. Auch das war in diesen zwei Tagen spürbar: In der Jury gab es niemanden, der sich nicht mit absoluter Intensität mit den Kandidatinnen auseinander gesetzt hätte.
Und während Rainer Wulff in die Nacht zieht, um das Finale organisatorisch vorzubereiten, verabschieden sich die Jury-Mitglieder alsbald auf ihre Zimmer. So schön ein gelungener Vortrag auf der Bühne ist, so anstrengend ist die Verantwortung, den Wettbewerbsteilnehmern gerecht zu werden. Ach ja, Raffaela Lintl wird am Samstag vermutlich nicht ins Kino gehen, sondern voraussichtlich schon am Vormittag wieder auf dem Weg zum Timmendorfer Strand sein. Gut ist das. Und ab halb sechs beginnt dann das alljährliche Ritual mit Empfang und Gala-Buffet. Um acht Uhr abends wird es eng. Dann müssen sechs Spitzen-Nachwuchskräfte zeigen, dass sie keine Nerven haben.