Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Lennart Rauße

Kommentar

Das seltsame Politik-Verständnis eines Oberbürgermeisters

In der politischen Auseinandersetzung um die Kürzungsbeschlüsse des Hagener Stadtrats gegen das Stadttheater zeigen die Verlautbarungen des Oberbürgermeisters ein mehr als merkwürdiges Verständnis von politischer Kultur.
Maulkorb für das Theater? Nur eine von vielen Merkwürdigkeiten, die der Hagener OB an den Tag legt. - Foto © Theater Hagen

Wuppertal hat es vorgemacht. Da haben der damalige Oberbürgermeister und der Generalmusikdirektor die wohlfunktionierenden Bühnen der Stadt zu einem Scherbenhaufen zerschlagen. Jetzt sind beide von der Bildfläche verschwunden, aber der Schaden, den sie hinterlassen, ist so immens, dass er die Bühnen wohl noch über Jahre belasten wird. Ein hoher Preis für den Versuch, ein paar Euro mehr im maroden Stadtsäckel zu behalten. In der Nachbarstadt Hagen ignoriert man solche Erfahrungen, zeigen sich die politischen Entscheider notorisch lernunfähig. Dort hat der Stadtrat Kürzungen für das Stadttheater beschlossen, die zwar an der angespannten Haushaltslage der Stadt keinen Deut ändern, aber schon jetzt dem Theater massiven Schaden zufügen und es wohl – so die Auffassung vieler Experten – im Fall der Verwirklichung in seiner Existenz bedrohen.

Damit hat der Stadtrat eine Situation geschaffen, in der sich kein seriöser und verantwortungsbewusster Theatermacher respektive Musiker mehr auf die im kommenden Jahr freiwerdenden Stellen als Intendant und Generalmusikdirektor bewerben wird, wie bereits früher ausgeführt. Tatsächlich hatten ja die verbliebenen Aspiranten nach Bekanntwerden des Beschlusses ihre Bewerbungen zurückgezogen. Wie zu erwarten, wittern stattdessen die Scharlatane Morgenluft. Großspurig meldet sich dieser Tage der bereits von der Findungskommission abgewiesene Schauspieler Claude-Oliver Rudolph in der Hagener Tageszeitung zu Wort, die solcher Kraftmeierei auch noch Platz einräumt.

Aber es gibt auch engagierte Bürger in Hagen, die sich gegen die unsinnigen Kürzungsbeschlüsse zur Wehr setzen. So wie Christoph Rösner. Der Autor und Kabarettist will nicht zusehen, wie die Stadt dem Theater den Garaus macht. Er hat eine Petition verfasst, in der er Oberbürgermeister Erik O. Schulz auffordert, den Stadtratsbeschluss rückgängig zu machen. Offenbar hat der Hagener damit einen Nerv getroffen, denn bereits Mitte Mai, einen Monat vor Ablauf der Unterzeichnungsfrist, haben annähernd 9.000 Menschen die Petition unterzeichnet, davon etwa 3.000 Hagener Bürger.

Nun ist eine Petition kein politisch legitimiertes Instrument wie etwa das Bürgerbegehren oder der Bürgerentscheid. Aber man kann sie sehr wohl als Seismografen für die Stimmung in der Bevölkerung sehen. Und bis dahin herrscht auch weitgehend Übereinstimmung in Hagen.

Nach eigenem Bekunden des Oberbürgermeisters sei die Unterschriftenaktion „kein feindlicher Akt“. Eine befremdliche Aussage, die einen aufhorchen lässt. Welches Verständnis hat der parteilose 48-jährige Diplom-Verwaltungswirt, verheiratet, Vater zweier Kinder, eigentlich von Politik? Dass er, der Kultur als eines seiner Hobbies angibt, an den Beschlüssen des Stadtrates festhält, ist seine politische Position, so diskussionswürdig sie auch immer sein mag – und so gegensätzlich das auf seiner Website klingt, die allerdings wohl vor seiner Wahl 2014 entstanden ist. Bedenklich allerdings die Begründung, die er Ende vergangenen Monats in der Tageszeitung verlautbaren lässt. „Da hat der Souverän gesprochen“, sagt er zu den Stadtratsbeschlüssen. Der Stadtrat als Souverän? Da ist aber wohl einiges im demokratischen Verständnis des Oberbürgermeisters durcheinandergeraten.

Und nicht nur da. Er wolle, so lässt er weiter verlauten, die Unterschriften entgegennehmen, aber nicht von Rösner. Nach dem Motto – und hier drängt sich förmlich das Bild des dreijährigen, verknatschten Mädchens im Sandkasten auf – „Der war böse, mit dem spiele ich nicht mehr“ begründet er die Verweigerung, dass Rösner sich „in Internetforen so abwertend gegenüber ihm geäußert“ habe. Da könnte der Bürger womöglich bei der Übergabe mit Wattebäuschchen nach ihm werfen. Und solchen Gefahren geht ein intelligenter Mensch selbstverständlich frühzeitig aus dem Weg.

Wohler fühlt sich der ehemalige Verwaltungsangestellte da schon auf dem Gebiet der Rechtsvorschriften. Derzeit lässt er prüfen, ob er dem Theater einen Maulkorb verpassen kann. Schließlich hat das Theater, wie an vielen anderen Orten der Stadt auch, Unterschriftenlisten für die Menschen auslegen lassen, die nicht ins Internet gehen wollen, um ihren Willen zu bekunden. „Ich erinnere daran, dass es eine Loyalitätsverpflichtung der Theaterleitung gegenüber der Stadt gibt“, formuliert er schon mal tendenziös. Seit der Spielzeit 2014/15 ist das Theater eine gemeinnützige Gesellschaft und nicht mehr ein Amt der Stadt. Dass zu wissen, darf man OB Schulz schon unterstellen.

Ist ein Oberbürgermeister, dem es anscheinend an der nötigen Sozialkompetenz fehlt, der vergesslich zu sein scheint, was seine Wahlversprechen angeht, der sich offenbar nicht so genau mit den rechtlichen Gegebenheiten auskennt und ein demokratisches Verständnis wie „zu Kaisers Zeiten“ an den Tag legt, ansonsten aber jede Kommunikation, so hat es den Eindruck, ablehnt – hat der die Fähigkeiten, seine Stadt aus einer Krise zu führen oder auch nur dafür zu sorgen, dass das Theater erhalten bleibt?

Wollen die Hagener das Wuppertaler Desaster vermeiden, sollten sie nicht wie die Nachbarn auf die nächste Wahl warten, die den damaligen Oberbürgermeister für seine Lügen und Arroganz erst dann abstraften und heute mit den Folgen leben müssen, die noch gar nicht abzusehen sind. Erik O. Schulz wird mit seinen geplanten Kürzungen keinen Präzedenzfall schaffen, weil in zu vielen Städten längst Politiker versucht haben, kulturelle Werte zu zerstören. Einen Präzedenzfall könnten die Hagener Bürger schaffen, indem sie sich jetzt gegen die anscheinend mangelhafte Krisenkompetenz ihres Oberbürgermeisters zur Wehr setzen. Sie wissen nicht, wie das geht? Fragen Sie Ihren Stadtrat.

Michael S. Zerban

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